Stipendienaufenthalt auf Martinique 2002/03
Abschlußbericht über die Stipendienzeit vom 01.10.2002 bis zum 28.02.2003 an der Université des Antilles et de la Guyane auf Martinique
1 Praktische Tipps
2 Politische und wirtschaftliche Lage
3 Université des Antilles et de la Guyane (U.A.G.) 4 Kreolsprache
5 Abschließende Worte
1 Praktische Tipps
Martinique ist seit 1946 französisches Überseedepartement, und somit reicht der Personalausweis für EU-Bürger zum Einreisen aus. Es empfiehlt sich allerdings, seinen Reisepass mitzubringen, um die umliegenden Inseln – u.a St. Lucie und Dominca.- zu besuchen. Wenn man sich länger als 3 Monate auf Martinique aufhält, ist es Pflicht, eine Aufenthaltsgenehmigung („carte de séjour“) in der Präfektur in Fort-de-France zu beantragen. Unterkunftsmöglichkeiten gibt es für Studenten auf dem Universitätscampus in Schoelcher in den Studentenwohnheimen des C.R.O.U.S.. Allerdings sind diese sehr schnell überfüllt und vorrangig den einheimischen Studenten vorbehalten, worauf man mich im Voraus freundlicherweise am Telefon hinwies. So ist es anzuraten, sich privat eine Unterkunft zu suchen. Ich wohnte wie der Grossteil meiner Kommilitonen zur Untermiete in einem kleinen Apartment („studio“), ca. 18 qm2 groß und bezahlte 410 Euro (Warmwasser und Elektrizität inkl.) im Monat. An diesem Beispiel wird deutlich, wie hoch die Kosten auf dieser Insel sind. Deswegen möchte ich hiermit nochmals ausdrücklich darauf hinweisen, dass es für den DAAD-Stipendiaten finanziell ungünstig ist, wenn Martinique auch weiterhin zum Lateinamerikareferat gezählt wird. Es wäre in diesem Zusammenhang anzumerken, dass man im öffentlichen Dienst auf den drei französischen Überseedepartements Martinique, Guadeloupe und Guyana 40% „de vie chère“ (für teures Leben) mehr verdient als in der „Metropole“ (französisches Festland); auf Réunion sind es sogar 60%.
Martinique ist eine regelrechte Autoinsel. Die öffentlichen Verkehrsmittel (Busse oder Sammeltaxen, „taxicos“ genannt) halten sich an keinerlei Fahrplan und bieten ihre Dienste unter der Woche auch nur bis ca. 18.00 Uhr an. Somit gibt es überproportional viele Autos (Konsequenz: zu Hauptverkehrszeiten regelmäßigen Stau), die realistisch betrachtet jedoch die einzige Möglichkeit darstellen, sich auf dieser Insel anständig zu bewegen.
2 Politische und wirtschaftliche Lage
Obwohl Martinique ökonomisch von Frankreich in hohem Maße profitiert (für einheimische Studenten heißt das konkret relativ großzügiges Bafög und Wohngeld z.B.), gibt es auch eine nicht zu ignorierende Unabhängigkeitsbewegung, welcher der Präsident des Regionalkongresses, M. Alfred Marie-Jeanne, angehört. Kulturell fühlen sich die Martiniquaner den Antillen zugehörig, auch wenn es auf mich den Eindruck machte, dass die „breite Masse“ der Bevölkerung weiterhin wirtschaftlich zu Frankreich gehören will. Da Martinique seit 1982 nicht nur ein eigenständiges Departement, sondern auch eine eigenständige Region ist, wird momentan diskutiert, den „Conseil régional“ (Regionalkongress bzw. oberstes Exekutivorgan einer Region) und den „Conseil général“ (oberstes Exekutivorgan eines Departements) in eine „Assemblée unique“ (einheitliche Versammlung) umzustrukturieren. Dies würde sicherlich eine effizientere selbstverantwortliche Politik für diese Region bedeuten und ohne Zweifel auch unnötige Verwaltungskosten einsparen.
Erschreckend ist die relativ hohe Arbeitslosigkeit (ca. 33%), bei Jugendlichen liegt sie sogar bei über 50%, auf der Insel. Es ist somit auch nicht verwunderlich, dass ein Großteil der Antillaner auf dem französischen Festland Arbeit sucht.
Auch wenn die Landwirtschaft ein wichtiger Bestandteil der martiniquanischen Wirtschaft ist, decken die Erträgnisse der Landwirte und Fischer gerade einmal 10-13% der Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung ab. Daher muss der Löwenanteil importiert werden, was dann zu den oft überzogenen Lebensmittelpreisen führt. Dies mag einer der Gründe sein, warum sich die Insel in einer sogenannten Tourismuskrise befindet: Es ist einfach zu teuer bzw. das Preis- Leistungsverhältnis stimmt nicht. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass nur eine ganz bestimmte Klasse der Bevölkerung die Landwirtschaft in der Hand hat, da dieser ca. 80% des Landes gehören. Dies sind die als allgemein bezeichneten „békés“ (die alten Kolonialherren), welche nur ungefähr 1% der Bevölkerung ausmachen. Sie bleiben unter sich und „vermischen sich“ unter keinen Umständen mit der eigentlichen Bevölkerung Martiniques.
Auch wenn die wirtschaftliche Lage in vieler Hinsicht desolat ist, hat man auf Martinique nicht das Gefühl, im alltäglichen Leben von einer steigenden Kriminalität bedroht zu sein. Es empfiehlt sich nur nicht als weibliche Person sehr spät nach Einbruch der Dunkelheit allein unterwegs zu sein. Doch dies ist eher kulturell zu begründen.
3 Université des Antilles et de la Guyane (U.A.G.)
Die verschiedenen Fakultäten der Universität sind in den drei folgenden Übersee-departements Frankreichs verteilt: Martinique (Geisteswissenschaften), Guadeloupe (Naturwissenschaften) und Guyana (technische Studiengänge). Seit geraumer Zeit gibt es allerdings Bestrebungen, in allen drei Regionen eigenständige Universitäten entstehen zu lassen.
Das Universitätspersonal auf Martinique empfängt ausländische Studenten mit offenen Armen und ist vor allem am Anfang mit seiner freundlichen und zuvorkommenden Hilfsbereitschaft eine große Hilfe. Dies liegt vielleicht daran, dass es noch nicht sehr viele ausländische Stundenten in Schoelcher gibt. Meist sind es Studierende aus den umliegenden karibischen Inseln, mit der Ausnahme von einem relativ großen Anteil an englischen Studenten. Während meines Auslandsemesters war noch ein deutscher Jurastudent mit mir an der Universität. Deutsch wird übrigens an der U.A.G. nicht angeboten.
Wie nicht wirklich anders erwartet, bestätigte sich das französische Universitätsklischee – ein wesentlich verschulteres System als das deutsche – auch im Überseedepartement : vorgegebener Stundenplan, stark überwachte Anwesenheitspflicht und kontinuierliche Leistungskontrollen und Hausaufgaben. Allgemein ist das Verhältnis zwischen Dozent und Student relativ unpersönlich ja sogar distanziert.
Die Bibliothek ist für meine Studienbereiche (Sprache, Literatur und Kultur der frankophonen Welt) gut ausgestattet, für meinen dortigen Studienschwerpunkt (Kreolsprache) mag es wohl keinen besseren Ort geben. Die Internetzugangs-möglichkeiten lassen an der U.A.G. leider etwas zu wünschen übrig. Ich war sowieso erstaunt, wie wenig vertraut viele meiner Kommilitonen mit diesem Medium sind.
4 Kreolsprache
Wie schon in Punkt 3 angedeutet, sitzt man in der U.A.G. sozusagen direkt an der Quelle. Man hat dort phantastische Voraussetzungen, sich im Bereich der Kreolsprache sprachwissenschaftlich weiterzubilden. Seit geraumer Zeit wird übrigens an der U.A.G. die Möglichkeit des Abschlusses der Lehrbefähigung zur Unterrichtung der Kreolsprache -
C.A.P.E.S. Kreol (Certificat d’Aptitude Pédagogique à l’Enseignement Secondaire) - angeboten.
Auch ich kam in den Genuss, bei den Gründervätern des Kreols als einheitliche Schriftsprache unterrichtet zu werden. Ich besuchte Kurse bei Jean Bernabé (er schrieb die erste kreolische Grammatik)und Raphaël Confiant (er ist einer der ersten und wichtigsten Autoren, die ihre Werke auf Kreol verfassen).
Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass meine theoretischen Kenntnisse des Kreols weitaus besser sind als meine praktischen. „Kreol als Fremdsprache“ wird so an der Universität nicht angeboten, sondern die Kurse (Sprachpraxis: Erlernen der kreolischen Grammatik und Schriftsprache; Linguistik: Entstehungstheorien, etc.) sind ausschließlich auf Muttersprachler ausgerichtet. Im täglichen Leben ist es besonders für eine ausländische Frau schwierig, Kreol zu sprechen, da es – begründet durch die jahrzehntelange Abwertung der Sprache – bei vielen Antillanern immer noch als unhöflich gilt, eine „Mademoiselle“ auf Kreol anzusprechen. Auch reden die Studentinnen untereinander viel weniger Kreol als ihre männlichen Kommilitonen. Wenn man heute meine Generation fragt, was sie als ihre Muttersprache ansehen, wird der Großteil mit „französisch“ antworten. Befragt man die Generation unserer Eltern, so sieht es schon wesentlich anders aus. Auch wenn es gerade dieser Generation aus gesellschaftlichen Gründen von ihren Eltern verboten war, zu Hause Kreol zu sprechen, so versteht sie diese Sprache doch noch eher als ihre Muttersprache als meine Generation. Man kann also ein sehr interessantes Phänomen auf den französischen Antillen beobachten: Auf der einen Seite gibt es die starken Bestrebungen der Intellektuellen (Confiant, Bernabé, Glissant, Chamoiseau etc...) das Kreol aufzuwerten und zu institutionalisieren, auf der anderen Seite muss man faktisch von einer quantitativen und sogar qualitativen Dekreolisierung sprechen, da die jüngeren Generationen immer weniger Kreol untereinander sprechen und somit ihr Wortschatz in dieser Sprache verarmt bzw. sie das Kreol „französisieren“. Letzteres mag durch die jahrzehntelange Unterdrückung dieser Sprache und den heutigen immer größer werdenden Medieneinfluss Frankreichs begründet sein.
5 Abschließende Worte
Ich würde mir wünschen, dass der antillianisch-deutsche Austausch in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnt. Auch wenn die Bevölkerung Martiniques oder Guadeloupes einen europäischen Pass hat oder mit dem Euro bezahlt, ist für einen Großteil dieser Menschen Deutschland ein Land irgendwo in Europa. Dass wir vielleicht der wichtigste Nachbar ihres Mutterlandes sind, ist vielen nicht bewusst. Die Menschen sind jedoch fremden Kulturen gegenüber außergewöhnlich aufgeschlossen und haben mich als „Neuankömmling“ relativ schnell sehr herzlich in ihren Kreis aufgenommen.
Marianne Bedbur
Dresden, 22. April 2003