17.12.2018
Intelligente Reifen. Nachwuchswissenschaftler der TU Dresden entwickeln Reifengummis für autonomes Fahren
Drei internationale Doktoranden der TU Dresden haben neue Reifengummis entwickelt, die einen entscheidenden Beitrag zum autonomen Fahren leisten. So können Reifen als Sensoren funktionieren, nach einer Panne von selbst wieder zusammenwachsen und sich den Umgebungsbedingungen anpassen.
Nasse Straßen, starker Regen und dann noch Schlaglöcher: autonomes Fahren braucht ständige Kontrolle und eine laufende Verbindung zur Straße mit ihren unterschiedlichen Bedingungen und Unwägbarkeiten. Drei Nachwuchswissenschaftler der TU Dresden (TUD) haben sich dafür das Potential von Reifen näher angeschaut und sie als wichtigen Teil künftiger Mobilität erforscht. In ihren Doktorarbeiten haben sie Technologien und Prozesse entwickelt, die die Produktion sogenannter intelligenter Reifen ermöglichen:
- Reifen, die als Sensoren funktionieren. Über die Reifen wird der Fahrzustand des Autos erfasst und an den Bordcomputer übermittelt. Damit können Informationen zum Zustand der Straße, das Wetter sowie Kräfte und Drücke, die während der Fahrt auf den Reifen wirken, in Echtzeit analysiert und darauf reagiert werden. Der Reifen wird so in die Digitalisierung des gesamten Fahrzeuges integriert.
Eshwaran Subramani Bhagavatheswaran (Eshwaran S. B.), indischer Doktorand an der TU Dresden, hat einen Gummi entwickelt, der selbst als Sensor funktioniert. Das ist weltweit einmalig. Dafür hat er den Gummi mit winzigen Mengen an hochleitfähigen Kohlenstoffnanopartikeln versehen und den Zusammenhang zwischen elektrischen und mechanischen Eigenschaften detailliert untersucht. Sobald der rollende oder bremsende Reifen belastet wird, können aus den elektrischen Signalen Rückschlüsse auf Fahrzustand und Umgebungsbedingungen gezogen werden. Der Bordcomputer soll daraufhin eine Anpassung des Fahrzustandes vornehmen können. Die Dissertation zum Thema wird Anfang Februar 2019 verteidigt.
Die Idee, Sensoren in die Reifen zu integrieren ist nicht neu. Bisherige Ansätze bringen die Technik jedoch als zusätzliche Komponente aus Nicht-Gummimaterialien in die Reifen ein. Das führt zu Fehlstellen im Reifen, die zu Schädigungen führen können. -
Reifengummis sollen bei einer Panne selbst zusammenwachsen. Ein Reifen besteht immer aus netzartig angeordnetem Gummi, den sogenannten Polymernetzwerken. Bereits 2015 erregten Dresdner Wissenschaftler weltweite Aufmerksamkeit als sie nachweisen konnten, dass sich ein chemisch modifiziertes Gummi-Netz nach Schädigungen immer wieder neu vernetzt und so bestehende Risse oder Löcher verschließt. Erst jetzt ist es dem syrisch-stämmigen TU-Doktorand Aladdin Sallat gelungen, der Marktreife von selbstheilendem Gummi wirklich nahe zu kommen.
Reifen haben zwischen dem Gummi-Netz bestimmte Füllstoffe (z. B. Silika), die den Reifen verstärken. Die aktuelle Forschungsarbeit von Aladdin Sallat hat die Selbstheilungseffekte nun auch für bestimmte Gummi-Netze mit modifizierten Füllstoffen nachgewiesen und ist damit der eigentlichen Anwendung einen riesen Schritt nähergekommen. Dadurch würden die Reifengummis in Zukunft deutlich weniger verschleißen und zur Reduzierung der CO2-Emissionen und des Abriebstaubes beitragen. Im Frühjahr 2019 wird Sallat seine Dissertation verteidigen, in der er die Selbstheilungseffekte für Gummis mit Füllstoffen nachgewiesen hat. - Reifen, die sich den Umgebungsbedingungen anpassen
. Die Wissenschaftler haben sich dabei von der Seegurke inspirieren lassen, die zunächst weich ist, sich aber bei Berührung versteift. Adaptive Reifen können durch speziell modifizierte Füllstoffe bei Nässe härter werden und damit z. B. vor Aquaplaning schützen. Bei Wärmezufuhr werden die Reifen wieder weich.
Möglich wird das durch bestimmte Polymere zusammen mit dem Füllstoff Kalziumsulfat, der so modifiziert wurde, dass er Wasser aufnehmen und seine Struktur dann in eine zehnmal steifere nanokristalline Form ändern kann.
Der indische TU-Doktorand Tamil Selvan Natarajan (Tamil S. N.) wird seine Dissertation Mitte Januar 2019 verteidigen. Seine weltweit patentierte Entwicklung ist für verschiedene Anwendungen bei Reifen und Scheibenwischern geeignet.
Die drei Nachwuchsforscher der TU Dresden promovieren an der Fakultät Maschinenwesen (Eshwaran S. B. und Tamil S. N.) und an der Fakultät für Chemie und Lebensmittelchemie (Aladdin Sallat). Sie führen die experimentellen Arbeiten zu ihren Promotionen am Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden e.V. (IPF) unter der Betreuung von Prof. Gert Heinrich (Eshwaran S. B. und Tamil S. N.) und Prof. Brigitte Voit (Aladdin Sallat) durch. Alle drei haben ihre bisherigen Forschungsergebnisse vor kurzem in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht.
„Der Reifen ist das verkannteste Hochleistungsprodukt unserer Gesellschaft, weil Änderungen nicht sichtbar sind. Gegenwärtig forschen etwa fünf- bis siebentausend Personen weltweit am Reifen und versuchen ihn zukunftsfähig zu machen. Intelligente Reifen können Unfälle verhindern und das autonome Fahren entscheidend voranbringen. Unser Ziel ist es, Forschungsergebnisse zu produzieren, die mit herkömmlichen Misch- und Verarbeitungsmethoden auskommen, so dass intelligente Reifengummis nicht nur im Labor, sondern auch mit bestehender industrieller Technik hergestellt werden können“, erklärt Prof. Gert Heinrich, Seniorprofessor für Polymerwerkstoffe an TUD und IPF. Die Forschungsarbeiten sind ein Beispiel für die enge Kooperation der TU Dresden mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Rahmen des Wissenschaftsverbundes DRESDEN-concept.
Informationen für Journalisten
Prof. Dr. Gert Heinrich
Seniorprofessor TU Dresden
Fakultät Maschinenwesen / Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik
Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden e.V.
Tel.: 0179 9418316