14.09.2021
Nachruf auf Professor Günter Schramm
Die Fakultät Maschinenwesen nimmt Abschied vom ehemaligen Professor für Strömungsmaschinen, Prof. Dr.-Ing. habil. Günter Schramm, der am 24. August 2021 im Alter von 91 Jahren verstarb. Unsere Gedanken sind bei seinen Angehörigen, denen wir viel Kraft in dieser schweren Zeit wünschen.
Günter Schramm gehörte zu den Menschen, die in ihrem Leben drei Gesellschafts-systeme und einen großen Krieg erlebt haben. Er wurde 1930 in Breslau, dem heutigen Wroclaw, geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen im Arbeiterviertel im Breslauer Westen auf. Für den Besuch des Gymnasiums fehlte der Familie das Geld, so dass Günter Schramm 1940 in die Mittelschule wechselte. 1945, an einem kalten Januartag flüchtete die Familie in einem Güterwaggon aus der Stadt und erreichte nach zwei Tagen Zwickau, wo sie sesshaft wurde und Günter Schramm weiter zur Schule gehen konnte. Der Schulabschluss 1946 fiel in eine Zeit, in der es kaum Lehrstellen gab. Aufgrund seines Schulabschlusses und der Arbeit seines Vaters bei der Reichsbahn, konnte Günter Schramm eine Lehre als Maschinenschlosser im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Zwickau aufnehmen, die er als Lokomotiv-Schlosser abschloss. Der Kontakt zum Leiter der Betriebsberufsschule, einem Diplomingenieur der Flugzeugindustrie, der nach Wiederaufnahme der Flugzeugindustrie im Jahr 1955 dorthin wieder zurückkehrte, sollte die berufliche Entwicklung von Günter Schramm nachhaltig beeinflussen.
1948 nahm Günter Schramm ein Studium als Arbeiterstudent an der Vorstudienanstalt der Universität Leipzig auf. Nach erfolgreicher Abiturprüfung begann er 1949 sein Maschinenbaustudium an der Technischen Hochschule Dresden, das er 1954 als Diplomingenieur für Kraft- und Arbeitsmaschinen erfolgreich abschloss. Sehr bemerkenswert ist die Diplomarbeit von Günter Schramm. Am Maschinenlaboratorium der TH Dresden unter der Leitung von Prof. Oehmichen wurde 1954 mit 4 Diplomarbeiten die Konzeption einer 1500KW-Versuchsgasturbinenanlage erarbeitet. Es war die erste Arbeit auf dem Gebiet der Gasturbinen nach dem Krieg, denn nach Kontrollratsgesetz waren in Deutschland Arbeiten für Gasturbinen verboten. Bei Prof. Oehmichen lief die Lehrveranstaltung unter dem Namen „Sonderkraftmaschinen“. Günter Schramm entwickelte die Turbine für die Gasturbinenanlage (GTA) mit einer Eintrittstemperatur von 650 °C und Druckverhältnis 4. Die Fertigung der GTA mit der Bezeichnung „G4“ erfolgte 1956 im Görlitzer Maschinenbau. Prof. Oehmichen stellte die Gasturbine im Maschinenlaboratorium für die Ausbildung der Studenten auf. Infolge der hohen Betriebskosten konnte sie jedoch nicht betrieben werden, sondern war nur Anschauungsobjekt.
Mit Prof. Albring und Prof. Oehmichen pflegte Günter Schramm eine enge und lebenslange Verbindung.
Als junger Diplomingenieur begann Günter Schramm eine Tätigkeit als Versuchs-ingenieur in der Gasturbinenabteilung des Konstruktions- und Entwicklungsbüros Dresden. In der 1956 neu gegründeten Forschungs- und Versuchsanstalt für Strömungsmaschinen (FVAS) übernahm Günter Schramm nach nur 1 ½ Jahren Industrietätigkeit die Leitung der Versuchsabteilung in der Hauptabteilung Gasturbine.1963 wurde er in dem im gleichen Jahr neu gegründeten „VEB Gasturbinenbau und Energiemaschinenentwicklung Pirna“ Leiter der Abteilung Gesamtanlage und stellvertretender Hauptabteilungsleiter. Parallel zu den Kraftwerksanlagen der konventionellen Bauweise wurde der Einsatz des ersten deutschen Flugtriebwerks der Nachkriegszeit „Pirna 014“ für die industrielle Anwendung und den Schiffsantrieb bearbeitet.
Im Rahmen einer außerplanmäßigen Aspirantur promovierte Günter Schramm 1968 auf dem Gebiet der Strömung in Gehäusen.
Weitere Stationen seiner Industrietätigkeit waren die Leitung der Prototyperprobung des 500MW-Kraftwerksblocks im KW Hagenwerder und die Leitung der Hauptabteilung Maschinentechnik des Kombinates Kraftwerksanlagenbau.
1978 erhielt Günter Schramm von der Fakultät Maschinenwesen die „facultas docendi“ und ein Jahr später wurde er habilitiert (Promotion B, 1991 umgewandelt in Habilitation).
Nach der Emeritierung von Prof. Dipl.-Ing. Gerhard Schilg nahm Günter Schramm im September 1979 die Arbeit am Lehrstuhl für Dampf- und Gasturbinen an der TU Dresden auf und wurde als ordentlicher Professor für Strömungsmaschinen berufen. Anknüpfend an seine fachliche Tätigkeit in der Industrie und die von seinem Vorgänger begonnene Ausrichtung profilierte er die Forschung auf dem Gebiet der Dampf- und Gasturbinen mit Schwerpunktsetzung auf die Thermomechanik.
Prof. Günter Schramm hat in seiner Hochschultätigkeit bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1992 und insbesondere als Direktor der Sektion Energieumwandlung die Entwicklung der Dresdner Energietechnik wesentlich geprägt. Er pflegte sehr enge wissenschaftliche Kontakte mit energietechnisch ausgerichteten Universitäten und Hochschulen im In- und Ausland, in der Zeit bis zur politischen Wende insbesondere mit Partnerinstituten in Moskau, St. Petersburg, Plzen, Prag, Poznan und Gdansk. Seiner Initiative und Bekanntheit im Wissenschaftsgebiet war es zu verdanken, dass gleich nach der politischen Wende Forschungskooperationen mit westdeutschen Partnern aufgebaut wurden. Er gehörte diesbezüglich zu den Pionieren der ersten Stunde.
Wir gedenken eines außerordentlich kollegialen, hilfsbereiten und bescheidenen Menschen, der für seine Studierenden, Mitarbeiter und Kollegen ein hochgeschätzter Gesprächspartner, Ratgeber und Leiter und in der Wissenschaftsgemeinschaft ein anerkannter Experte und Netzwerker war. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Für die Fakultät Maschinenwesen
Der Dekan
Prof. Dr.-Ing. Michael Beckmann
Für das Institut für Energietechnik
Prof. Dr. rer. nat. habil. Cornelia Breitkopf, Prof. Dr.-Ing. Uwe Gampe