Geschichte der Fakultät Mathematik ab 1828
Autor: Prof. Dr. Thomas Riedrich
Die Darstellung unserer Geschichte beginnt mit der Gründung der Königlich-Technischen Bildungsanstalt Dresden im Jahr 1828.
Inhaltsverzeichnis
- Die Königlich-Technische Bildungsanstalt Dresden
- Königlich Polytechnische Schule Dresden
- Königlich Sächsisches Polytechnikum
- (Königlich Sächsische) Technische Hochschule Dresden
- 1890 · Ernennung zur Hochschule
- 1900 · Promotionsrecht
- 1918 · TH Dresden
- 1919 | Paul Eugen Böhmer
- 1920 | Gerhard Kowalewski
- 1920 | Max Otto Lagally
- 1920 · Das Mathematische Seminar
- 1922 | Erich Immanuel Trefftz
- 1933 | William Threlfall und Herbert Seifert
- 1940 | Franz Rellich
- 1939 | Friedrich Adolf Willers
- 1953 | N. J. Lehmann
- 1946 · Gründung der Mathematischen Institute
- Technische Universität Dresden
Die Königlich-Technische Bildungsanstalt Dresden
1828 · Gründung
Eine der wesentlichen kulturellen Auswirkungen der industriellen Revolution - der Ablösung von Handarbeit durch Maschinenarbeit, die mit dem 18. Jahrhundert verstärkt einsetzte, ist das Entstehen eines neuen Typs der Wissenschaften: der Ingenieur- oder Technikwissenschaften. Sie sind im Grenzgebiet zwischen den Natur- und Sozialwissenschaften und der Mathematik angesiedelt.
Für die neue Art und Weise der Vermittlung wissenschaftlicher Bildung und der zugehörigen Forschung wurden polytechnische Schulen geschaffen. In diesen versuchte man, Naturwissenschaft und Mathematik so zu lehren, dass sie nicht nur einem kleinen Kreis von Spezialisten sondern einer breiteren Hörerschaft verständlich wurden.
Der Urtyp einer solchen Schule war die 1734 in Paris gegründete Ecole Polytechnique, die Vorbild für eine ganze Reihe weiterer Schulen wurde. Neben polytechnischen Schul-gründungen in Prag 1806, Wien 1815, Karlsruhe 1825, Stuttgart 1832, Hannover 1831 und zahlreichen anderen entstand am 1. Mai 1828 die Königlich-Technische Bildungsanstalt Dresden, die damals noch im (heute nicht mehr vorhandenen) Brühlschen Gartenpavillon auf der Brühlschen Terrasse beheimatet war.
Die neue Bildungsanstalt hatte sich das Ziel gesetzt, eine "praktische Übung für Mechaniker und Handwerker, verbunden mit vollständigem theoretischen Unterricht in den ihnen nötigen Kenntnissen und Wissenschaften" zu sein. Das große Gewicht, dass man dabei der Mathematik beimaß, zeigte sich auch darin, dass die erste Stunde der neugegründeten Anstalt der Mathematikprofessor Gotthelf August Fischer hielt.
—
1828 | Johann Andreas Schubert
Johann Andreas Schubert war von 1828 bis 1869 Lehrer der mathematischen und technischen Wissenschaften und Professor für Mathematik an der Königlich-Technischen Bildungsanstalt Dresden und an der Akademie der Bildenden Künste zu Dresden sowie Mitglied der ökonomischen Gesellschaft für Naturheilkunde zu Dresden.
Johann Andreas Schubert [19.03.1808 – 06.10.1870] war zu Beginn seiner Tätigkeit von 1828 bis 1832 "Zweiter Lehrer" für Mathematik und danach von 1832 bis 1838 "Erster Lehrer". Schubert eröffnete den systematischen Umgang in den Fächern Geometrie und Elementarer Arithmethik an der neuen Bildungsanstalt. Bis zu dieser Zeit beschränkte sich die mathematische Ausbildung auf das Vermitteln der elementaren Techniken zur Lösung von einfachen Aufgaben aus Geometrie und Arithmetik und offenbar waren die Kenntnisse der Schüler im algebraischen "Buchstabenrechnen" zunächst relativ gering. In seinem Bemühen wurde Schubert von Gotthelf August Fischer (1763-1832, 1. Lehrer für Mathematik) unterstützt, den er in einer Widmung in einem seiner ersten Bücher dankbar als seinen Lehrer bezeichnete: Mathematische Uebungsaufgaben und deren Auflösungen, zum Gebrauch für Lehrer und Lernende. Von Johann Andreas Schubert, Repetent der Mathematik und Lehrer der Buchhaltung an der Königl. Sächs. technischnen Bildungs-Anstalt. Erster Band: Zahlen-Rechnung. 1829 ( Titelseite, Widmung ); Zweiter Band: Buchstaben-Rechnung und Algebra, 1833, Dresden und Leipzig in der Arnoldschen Buchhandlung.
Schubert baute auf den Grundlagen von G. A. Fischer auf, die dieser bereits am Königlich-Sächsischen Cadettenhaus, an der Bauschule und der Königlich-Technischen Bildungsanstalt gelegt hatte. (Artikel Vom Knopf an der Turmspitze der Annenkirche: Professor Gotthelf August Fischer war der erste Mathematiklehrer an der Technischen Bildungsanstalt aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 06/2000, Seite 10).
Hier ist zu sehen, dass bereits in der Anfangsphase der neuen Bildungsanstalt die Mathematik, das Zahlenrechnen und die einfache Geometrie eine zentrale Rolle in der Ausbildung der Studenten spielten - dabei ist zu beachten, dass zu dieser Zeit das Eintrittsalter der Studenten in die Technische Bildungsanstalt Dresden bei 14 Jahren lag.
J. A. Schuberts späteres wesentliches Engagement war auf die konstruktiven Seiten von Maschinenbau und Bauingenieurwesen gerichtet: u.a. Lokomotive Saxonia 1838, Bau der ersten Oberelbe-Dampfschiffe 1837, Entwürfe und Berechnungen für die Göltzschtal- und die Elstertalbrücke 1846-51. Ihm zu Ehren heißt heute ein Universitäts-Gebäude am Zelleschen Weg "Andreas Schubert Bau".
Seine Lehrbücher sind: Handbuch der Mechanik für Praktiker, oder: Die Grundlehren der Mechanik auf die Konstruktion der Maschinen und auf die Baukunst bezogen, 1832; Elemente der Maschinenlehre: Vom Materiale der Maschinentheile und deren Construction ......, 1842/44; Theorie der Konstruktion steinerner Bogenbrücken, 1847/48; und Beitrag zur Berichtigung der Theorie der Turbinen, 1850.
Der Kreis dieser Ersten bzw. Zweiten Lehrer für Mathematik an der Technischen Bildungsanstalt wurde im Laufe der weiteren Jahre durch folgende Persönlichkeiten ausgefüllt: Moritz Rühlmann (1833-1836), Traugott Franke (1836-1849), Carl Kuschel (1837-1879) und Karl Osmar Alexander Fort (1842-1879).
—
1849 | Oskar Schlömilch
Eine neue Ära begann mit der Berufung von Oscar Xaver Schlömilch im Jahre 1849 zum Ordentlichen Professor für Reine Mathematik. Schlömilch war der erste Mathematiker, der auf den Gebieten Analysis und ihrer Anwendungen eigenständige Forschungsergebnisse publizierte und von 1849 bis 1874 das Gebiet der Reinen Mathematik wesentlich bereicherte. Mit seiner Berufung an die Königlich-Technische Bildungsanstalt Dresden erfolgte der Einzug der praktischen und theoretischen Ingenieurmathematik. 1874 wechselte Schlömilch dann als Referendar für Realschulwesen in das Sächsische Ministerium für Kultus und öffentlichen Unterricht.
Oskar Schlömilch [13.04.1823 – 07.02.1901] nahm vielfältige Lehrverpflichtungen wahr – vor allem auf dem Gebiet der Analysis, aber auch in Darstellender Geometrie und ab 1863 kontinuierlich in Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ab 1868 hielt er auch Vorlesungen zu philosophischen Themen.
O. Schlömilch verfasste zahlreiche mathematische Monographien und Lehrbücher (Kompendium der höheren Analysis, 1848) sowie Tafelwerke. Seine 5-stelligen Logarithmentafeln erschienen ab 1866, in einer Schulausgabe 1899 und schließlich – bis zur Ablösung durch den Taschenrechner – in der 63. Auflage 1978 in Braunschweig.
Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Analysis soll hier als Beispiel seine Monographie Allgemeine Umkehrung gegebener Funktionen (Titelblatt) aus dem Jahr 1849 genannt werden. Eine allgemeine Umkehrung einer Funktion betrachtet Schlömilch darin als eine Fourier-Reihe, deren Koeffizienten es zu ermitteln gilt.
Weithin bekannt ist ferner die Schlömilch'sche Form des Restgliedes der Taylorformel
(Darstellung).
Schlömilch eröffnete eine modernen Zugang zu den heute noch wesentlichen Bessel-Funktionen, für die er eine besondere Integralgleichung nachwies. Die Bezeichnung "Bessel-Funktion" geht auf ihn zurück. Diese gehören zu den speziellen Funktionen der mathematischen Physik und spielen bei zylindersymmetrischen Schwingungsproblemen eine wesentliche Rolle.
Liste der Veröffentlichungen von Oskar Schlömilch im Zeitraum 1841-1893
—
Königlich Polytechnische Schule Dresden
1851 · Ernennung
Die Ernennung der Königlich-Technischen Bildungsanstalt zur Königlich Polytechnischen Schule am 23. November 1851 würdigt die neue Qualität, die die Bildungsanstalt erreicht hatte. Zum Beispiel werden in der Verordnung für die Staatsprüfung der Techniker aus dem Jahr 1851 eben jene Fachkenntnisse verlangt, die man an der oberen Abteilung der Polytechnischen Schule erlangen kann. Die vier Fachabteilungen sind eine mechanisch-technische und eine chemisch-technische Schule, eine Ingenieurschule und - bereits institutionell - eine eigene Abteilung für zukünftige Lehrer der Mathematik, Naturwissenschaften und Technik.
Das Engagement Oscar Schlömilchs für die Lehrerbildung ist im Artikel Zur frühen Lehrerbildung an unserer Dresdner Einrichtung aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 07/2000, Seite 10, beschrieben. Das Eintrittsalter der Studenten erhöhte sich nunmehr schrittweise von 14 Jahren zu Zeiten der Gründung der Bildungsanstalt auf 18 Jahre am Ende des 19. Jahrhunderts.
Schlömilch engagierte sich auch wesentlich in der Hochschulpolitik und begleitete aktiv die Weiterentwicklung der im Jahr 1851 gegründeten Polytechnischen Schule. Hervorzuheben ist seine Denkschrift von 1869 mit einem 10 Punkte-Programm von Vorschlägen, die den Weg der Polytechnischen Schule hin zu einer Technischen Hochschule wiesen und die wegen ihrer großen Bedeutung nachfolgend im Originaltext aufgeführt sind:
Aus der Denkschrift von 1869 von Oscar Schlömilch:
- Die Abteilung für Musterzeichnen, Ornamentik und Modellieren wird vom Poytechnikum völlig getrennt.
- Der bisherige "allgemeine Cursus" des Polytechnikums wird von letzterem durchaus - auch räumlich - getrennt und bildet, falls ihn die Realschulen nicht übernehmen, eine besondere Schule unter dem Namen "Protechnikum". Zur Aufnahme in dieses ist das Maturitätszeugnis einer Realschule erster Ordnung unbedingt erforderlich.
- Die bisherigen 3 Jahreskurse der Fachschulen A, B, C, D werden zu einer "Hochschule" vereinigt, welche den Namen "technische Akademie" führt. Zur Immatrikulation an derselben ist das Maturitätszeugnis des Protechnikums unbedingt erforderlich.
- In der technischen Akademie existiren keine Jahreskurse; jeder Studirende hat sich bei dem Vorstand seiner Fachabteilung zu melden und mit diesem zu berathen, wie er seinen Studiengang am zweckmäßigsten einrichtet.
- Wer die technische Akademie verläßt, kann sich durch Bestehen einer Prüfung ein Absolutorialdiplom erwerben. Wer diese Prüfung nicht bestehen will oder nicht bestanden hat, erhält nur ein Testat seines Besuches der Akademie.
- Die bisherigen Auszeichnungen durch Belobigungsdekrete und Medaillen kommen in Wegfall; an deren Stelle treten Preisaufgaben.
- Die Verwaltungsgeschäfte der Akademie werden von der wissenschaftlichen Leitung der Akademie völlig getrennt.
- Die wissenschaftliche Leitung und die Vertretung der Akademie erfolgen durch den Rector, welcher von den ordentlichen Professoren, vorbehaltlich höherer Genehmigung, auf bestimmte Zeit gewählt wird.
- An der technischen Akademie wird das Institut der Privatdocenten eingeführt.
- Der bisherige "Beitrag zur Schulkasse" kommt in Wegfall; für die Collegia und Uebungen sind einzelne Honorare zu entrichten, von welchen die Professoren und Privatdocenten einen bestimmten Antheil erhalten.
- Ende des Zitats -
Oscar Schlömilch folgten die Professoren Johann Heinrich Benthien (1864-1865) und Gustav Richard Heger (1867-1917, ab 1878 Honorarprofessor), ferner Ludwig Burmester (1870-1888), Leo Königsberger (1874-1877), ein im wesentlicher "reiner" Mathematiker (Analysis), und Arwed Fuhrmann, der von 1874-1906 den Lehrstuhl für Angewandte Mathematik besetzte.
—
Königlich Sächsisches Polytechnikum
1871 · Namensgebung
Die Namensgebung Königlich Sächsisches Polytechnikum würdigt das hohe Niveau der technik- und naturwissenschaftlichen Ausbildung. Das Polytechnikum nimmt den Charakter einer Hochschule an.
1875 wird das repräsentative Hauptgebäude des Polytechnikums an der Südseite des Hauptbahnhofs fertiggestellt, welches später im 2. Weltkrieg zerstört wurde.
—
1877 | Axel Harnack
Axel Harnack lehrte am Königlich Sächsisches Polytechnikum ab 1877 und hatte bis zu seinem frühen Tod 1888 den Lehrstuhl für Reine Mathematik inne.
Axel Harnack [07.05.1851 – 03.04.1888] befasste sich mit unterschiedlichen Themen der Analysis und insbesondere mit der zweidimensionalen Potentialtheorie. Zu dieser verfasste er eine heute noch interessante Monographie, in welcher er die sogenannte Harnacksche Ungleichung bewies, deren Vertiefungen ein heutzutage noch sehr spannendes Thema aktueller Forschungen darstellen ("Die Grundlagen der Theorie des logarithmischen Potentials und der eindeutigen Potentialfunktion in der Ebene" von Dr. Axel Harnack, Professor am Polytechnikum zu Dresden, 1887, Titelseite) . Insbesondere erschienen in den letzten Jahren in internationalen mathematischen Zeitschriften eine Vielzahl von Erweiterungen und unerwarteten Anwendungen der Harnack'schen Ungleichung. Er initiierte ein völlig neues Herangehen in der Potentialtheorie mittels der von ihm aufgestellten und bewiesenen "Harnack'schen Ungleichung" und erschloss damit eine bis heute aktuelle Untersuchungstechnik für partielle Differentialgleichungen. Die grundlegende Bedeutung der "Harnack'schen Ungleichung" bzw. "Harnack-type inequality" besteht in der Bereitstellung globaler Eigenschaften einer Funktion, einer Mannigfaltigkeit, ..., die aus der lokalen Eigenschaft eines z.B. differentiellen Zusammenhangs gefolgert werden. Bis heute erscheint jedes Jahr eine Vielzahl von mathematischen Arbeiten, die sich im Titel auf die "Harnack inequality" beziehen. Harnack war auch besonders interessiert an der Mathematikausbildung von Ingenieurstudenten, z. B. bearbeitete er die deutsche Übersetzung des Mathematiklehrbuchs Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung des französischen Mathematikers J.-A. Serret im Hinblick auf eine gründliche Ausbildung in Differential- und Integralrechnung.
—
Den Lehrstuhl für Analytische Geometrie hatte Aurel Voß von 1879 bis 1885 inne, dann folgte Karl Friedrich Rohn auf den Lehrstuhl für Analytische Geometrie von 1885 bis 1888 und anschließend auf den Lehrstuhl für Darstellende Geometrie von 1888 bis 1904.
—
Erwin Papperitz war von 1886 bis 1892 a.o. Professor auf dem Lehrstuhl für Mathematik, er war später zwischen 1901 und 1924 in mehreren Amtsperioden als Rektor der Bergakademie Freiberg tätig. Ihm folgte als a.o. Professor auf dem Lehrstuhl für Mathematik Alexander Witting von 1892 bis 1910 (siehe dazu auch zwei Artikel in den TU-Universitätsjournalen 13/2000, Seite 11 und 16/2012, Seite 7).
Martin Krause hatte von 1888 bis 1920 den Lehrstuhl für Reine Mathematik inne und war im Jahr 1914 auch Rektor der Technischen Hochschule Dresden (siehe auch den Artikel Neuer Aufschwung nach zehn schwierigen Jahren aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 12/2000, Seite 11).
Nachträgliche Anmerkungen gemäß Hinweisen von Waltraud Voss: Alexander Witting hatte am Polytechnikum Dresden studiert und dort 1885 mit ausgezeichnetem Erfolg die Prüfung für das höhere Schulamt abgelegt. Während seines Leipziger Probejahres hatte er Gelegenheit, Vorlesungen bei Felix Klein zu hören, der ihm auch das Thema zur Dissertation gab. Da Felix Klein nach Göttingen wechselte, wurde Witting 1886 der erste Göttinger Promovend von Klein. Alexander Witting lehrte Mathematik und Physik am Gymnasium zum Heiligen Kreuz in Dresden, er war Gymnasialprofessor. Witting ist als Autor und Herausgeber und auch durch sein Mühen um die Reform des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts bekannt geworden. An der TH Dresden leistete er nebenamtlich bald 20 Jahre (von 1892 bis 1910) dem Professor für Darstellende Geometrie Assistenzdienste - erst Karl Rohn, dann Martin Disteli, dann ganz kurze Zeit noch Walter Ludwig. Er hat sich nicht habilitiert und wurde nicht außerordentlicher Professor. In den Assistenzleistungen folgte er 1892 Erwin Papperitz nach, als dieser an die Bergakademie Freiberg als ordentlicher Professor berufen worden war.
—
1888 | Georg Helm
Von 1888 bis 1919 hatte Georg Ferdinand Helm die Professur für Mathematik inne und war von 1910 bis 1911 auch Rektor der TH Dresden.
Für Georg Helm [15.03.1851 – 13.09.1923] seien hier folgende Stationen seines Lebens und Wirkens aufgeführt:
1867 Abitur an der Annenrealschule,
1867-1871 Studium an der Polytechnischen Schule Dresden,
1871-1873 Studium an der Universität Leipzig, er war als Assistent unter der Leitung von Bruhns an der Vermessung der Großenhainer Basis der Europäischen Gradmessung beteiligt,
1873 Prüfung für das Höhere Lehramt in Leipzig,
1873/74 Ein Semester in Berlin: Studium bei Weierstraß, Kronecker und Helmholtz,
1874-1888 Lehrer für Physik und Mathematik am Annenrealgymnasium,
1888-1919 Professor am Polytechnikum Dresden.
Für sein Wirken an der TH Dresden sei hier besonders das von ihm begründete "Versicherungstechnische Seminar" genannt: als erste Institution, an der man sich systematisch mit mathematischen, insbesondere mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Fragen der Versicherungswirtschaft befasste. (Siehe dazu auch den Artikel Das Versicherungstechnische Seminar - Zur Institutionalisierung der Versicherungsmathematik in Dresden aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 05/2001, Seite 10).
Ein Meilenstein in der Entwicklung der Mathematikausbildung für Ingenieure war sein 1910 erschienenes Lehrbuch "Die Grundlehren der Höheren Mathematik" ( Titelblatt der Ausgabe von 1914). Helm setzte mit diesem Lehrbuch Maßstäbe für die mathematische Grundlagenausbildung der Ingenieurstudenten, die bis heute noch im wesentlichen Bestand haben. In diesem Buch, das neben der Differential- und Integralrechnung auch eine ausführliche Darstellung der analytischen Geometrie sowie der Differentialgleichungen und der Anfangsgründe der mehrdimensionalen Differentialgeometrie enthält, wird erstmals das einheitliche und tragfähige Konzept einer Grundlagenausbildung für Ingenieure durchgestaltet, das sich bis in unsere Tage erhalten und bewährt hat. So sprach Prof. Dr.-Ing. Hans Görges (1859 - 1946) in seiner Antrittsrede am 28. Februar 1914 als Rektor der TH Dresden "Über die dreifache Sprache des Ingenieurs" mit der Gliederung "Zeichnen - Mathematik - (Fremd-)Sprachen" über die besondere Bedeutung der Mathematik in der Ingenierausbildung. Erinnert sei hier auch an das Lehrwerk MINÖL: Mathematik für Ingenieure, Naturwissenschaftler, Ökonomen und Landwirte, welches in den 1970er Jahren in dieser Tradition entstand und in der Mathematikausbildung für Ingenieure und "Nichtmathematiker" seit Jahrzehnten vielfältig genutzt wird.
Georg Helm skizziert mit der Veröffentlichung der Arbeit Die bisherigen Versuche, Mathematik auf volkswirtschaftliche Fragen anzuwenden im Jahr 1887 in den Mitteilungen der Gelehrten-Gesellschaft "Isis" erstmals Überlegungen - ein "energetisches Bild" der Ökonomie - , die in die später so erfolgreiche Richtung der mathematischen Ökonomie von J. v. Neumann, O. Morgenstern und J. Nash (Nobelpreis für Wirtschaftsmathematik 1994) gehen. 1887 bereits erschien von ihm Die Lehre von der Energie historisch-kritisch entwickelt – Nebst Beiträgen zu einer allgemeinen Energetik, in der er sich mit einschlägigen Begriffen wie z.B. der Entropie ausführlich auseinandersetzt und dem Satz von der Erhaltung der Energie Geltung verschaffte. Analogien und Parallelen brachten Helm auch auf das Gebiet der Wirtschaftsmathematik. Der erste Satz des Vorwortes im oben genannten Aufsatz klingt heute noch wie ein Programm:
"Die allgemeine und umfassende Bedeutung, welche der Mathematik für das weite Gebiet der exakten Wissenschaften zukommt, liegt nicht sowohl in den einzelnen Kenntnissen, welche aus der mathematischen Forschung erwachsen, als vielmehr in der Methode mathematischer Untersuchungen."
(Zur Arbeit von Mathematikern in der Naturforschenden Gesellschaft Isis siehe auch den Artikel Mathematiker in der ISIS in der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 14/2000, Seite 11.)
Weitere Monographien von Helm sind Grundzüge der mathematischen Chemie (1894) - Helm prägte diesen Begriff - , Die Energetik (1898) und Die Theorie der Elektrodynamik nach ihrer geschichtlichen Entwicklung (1904).
Siehe für das Wirken von Helm auch den Artikel Neuer Aufschwung nach zehn schwierigen Jahren aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 12/2000, Seite 11.
—
(Königlich Sächsische) Technische Hochschule Dresden
1890 · Ernennung zur Hochschule
Im Jahr 1890 wurde aus dem Königlich Sächsischen Polytechnikum die "Königlich Sächsische Technische Hochschule Dresden".
1900 · Promotionsrecht
Seit 1883 verfertigen die Studierenden Diplomarbeiten und im Jahr 1900 tritt die Promotionsordnung mit der Verleihung des Titels Dr.-Ing. in Kraft.
Laut einer Mitteilung von F. A. Willers war der erste Promovend der Allgemeinen Abteilung ein Chemiker.
1918 · TH Dresden
Ab 1918 hieß die Hochschule: Technische Hochschule Dresden (TH Dresden).
—
Professoren in den mathematischen Fächern waren in dieser Zeit ab 1890:
• Emil Naetsch (Lehrstuhl für Analytische Geometrie, 1896 zunächst Honorarprofessor, dann Privatdozent, ab 1903 a.o. Professor)
• Martin Grübler (Lehrstuhl für Technische Mechanik, 1900-1925)
• Martin Disteli (o. Professor für Darstellende Geometrie, 1905-1909)
• Walter Ludwig (o. Professor für Darstellende Geometrie, 1909-1945 )
• Richard v. Mises (Professor für Technische Mechanik, Fluglehre, 1919-1920)
• Karl Wieghardt (o. Professor für Technische Mechanik, 1920-1924)
—
1919 | Paul Eugen Böhmer
Paul Eugen Böhmer
[21.02.1877 – 03.11.1958]
war von 1919 bis 1945 Inhaber des ersten Lehrstuhls für Versicherungsmathematik, welcher der erste und bis 1945 einzige Lehrstuhl in Deutschland gewesen ist, der allein der Versicherungsmathematik gewidmet war. Gleichzeitig war er Direktor des damit verbundenen Dresdner Versicherungsseminars, welches (organisatorisch unabhängig) neben dem Mathematischen Seminar bestand und welches nach dem Göttinger Versicherungswissenschaftlichen Seminar das zweite im deutschen Hochschulwesen war.
Siehe zum Wirken von P. E. Böhmer auch den Artikel Dresdner Lehrstuhl erster seiner Art in Deutschland aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 06/2001, Seite 08, und den Aufsatz von Waltraud Voß: Zur Geschichte der Versicherungsmathematik an der TU Dresden bis 1945, Dresdner Schriften zur Versicherungsmathematik. 1/2001.
—
1920 | Gerhard Kowalewski
Gerhard Kowalewski
[27.03.1876 – 21.02.1950)
war von 1920 bis 1939 o. Professor für Reine Mathematik, Mitdirektor des Mathematischen Seminars und
Rektor der TH Dresden (1935-1937).
Siehe auch den Artikel Ein mitreißender Hochschullehrer aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 05/2000, Seite 08.
1920 | Max Otto Lagally
Max Otto Lagally
[07.01.1881 – 31.01.1945]
war von 1920 bis 1943/44 o. Professor für Angewandte Mathematik und Mitdirektor des Mathematischen Seminars.
Hervorzuheben ist sein Engagement in der Lehre für die umfassende Verbreitung gründlicher, anwendungsorientierter Kenntnisse in den Gebieten Vektorrechnung bzw. Vektoranalysis, so zum Beispiel mit seinem Lehrbuch Vorlesungen über Vektor-Rechnung aus dem Jahr 1928.
—
1920 · Das Mathematische Seminar
Als verbindende Struktureinheit wurde 1920 das "Mathematische Seminar" gegründet, welches bis 1945 bestand. Ihm standen ausgewiesene Wissenschaftler als Direktoren vor, wie zum Beispiel Gerhard Kowalewsky, Max Lagally und Erich Trefftz. Die Anzahl der zu unterrichtenden Studenten, die in der vorhergehenden Periode in der Größenordnung von 300 bis 400 Studenten lag, stieg auf bis zu 1000 an, erst der 2. Weltkrieg brachte eine starke Reduzierung der Studierendenzahlen mit sich.
Zur Erklärung: "Seminar" bedeutete damals nicht - wie in der heutigen Verwendung - eine besondere Lehrveranstaltung oder Vortragsreihe sondern eine institutionelle Zusammenfassung von Professoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Studierenden des Grundlagenfachs Mathematik.
Nachträgliche Anmerkung (gemäß Hinweisen von Waltraud Voss): Das Dresdner Mathematische Seminar wurde 1875 durch Initiative des Mathematikordinarius Leo Königsberger und des Direktors Gustav Zeuner gegründet. Ein solches Seminar an einer technischen Bildungsstätte war derzeit etwas Besonderes. An der Spitze des Dresdner Mathematischen Seminars stand der Inhaber des Ersten Mathematischen Lehrstuhls (für Reine Mathematik). Nach Königsberger, der nach vier Dresdner Semestern einem Ruf an die Universität Wien folgte, waren das Axel Harnack und Martin Krause. Nach dem 1. Weltkrieg, dem Tod von Martin Krause (1920), der Emeritierung von Georg Helm und der Berufung der neuen Professoren erfolgte (noch 1920) eine Neuorganisation in der Leitung des Mathematischen Seminars. Die drei Professoren für Reine Mathematik, für Angewandte Mathematik und für Darstellende Geometrie (Gerhard Kowalewski, Max Lagally und Walter Ludwig - letzterer seit 1909 an der TH Dresden) wechselten sich nun im regelmäßigen Turnus an der Spitze des Mathematischen Seminars ab. Paul Eugen Böhmer hatte den Lehrstuhl für Versicherungsmathematik inne und leitete das Versicherungs-Seminar, in die Leitung des Mathematischen Seminars war er nicht einbezogen. Erich Trefftz war ebenfalls nicht in die Leitung des Mathematischen Seminars einbezogen.
—
1922 | Erich Immanuel Trefftz
Erich Immanuel Trefftz
[21.02.1888 – 21.01.1937]
wurde 1922 als Professor an die TH Dresden berufen – zunächst an die Mechanische Abteilung, dem Vorläufer der heutigen Fakultät Maschinenwesen.
1927 erfolgte die Berufung zum Ordentlichen Professor für Technische Mechanik in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Abteilung (heute: Bereich Mathematik und Naturwissenschaften). Im Jahre 1929 wurde Erich Trefftz der Ehrendoktortitel Dr. Ing. E. H. von der TH Stuttgart verliehen.
Sein umfangreiches, auf die Anwendungen hin orientiertes Werk, ist in der Arbeit von Thomas Riedrich: O. Schlömilch – G. Helm – E. I. Trefftz – F. A. Willers: 100 Jahre anwendungsorientierte Mathematik an der TH Dresden dargestellt.
Zur Illustration sei in einer Beispielskizze sein Vorgehen für das sogenannte Trefftz'sche Verfahren zur Lösung von Randwertaufgaben für partielle Differentialgleichungen von 1926 dargestellt.
Sein früher Tod 1937 rief eine große internationale Resonanz hervor (Nachruf). Das ab 1950 am Zelleschen Weg errichtete Hörsaalgebäude für Mathematik und Physik trägt seit 1994 seinen Namen: Trefftz-Bau.
Siehe zu seinem Wirken auch den Artikel Erich Immanuel Trefftz: bedeutender Wissenschaftler aus der Serie 'Dresdner Mathematiker' im TU-Universitätsjournal 19/2000, Seite 10.
Der Nachlass von E. Trefftz befindet sich im Universitätsarchiv: Nachlass des Mathematikers Erich Trefftz im Universitätsarchiv, TU-Universitätsjournal 06/2000, S. 2.
—
Professoren in den mathematischen Fächern waren ab 1925:
• Georg Wiarda (a.o. Professor für Technische Mechanik, 1928-1935)
• Bernhard Schilling (a.o. Professor für Mathematik, 1928/29 und 1931-1945 , dazwischen von 1929 bis 1931 o. Professor an der Universität von Santiago de Chile)
• Felix Burkhardt (Privatdozent am Lehrstuhl für Mathematische Statistik, 1930-1945)
• Alfred Kneschke (Privatdozent, 1929-1938, dann Professor für Angewandte Mathematik, 1938/39-1945, danach Professor in Freiberg an der Bergakademie)
• Walter Tollmien (Dozent, 1937-1939, Professor für Technische Mechanik, 1939-1945)
• Wilhelm Schmid (zunächst Dozent, dann o. Professor für Darstellende Geometrie, 1941-1945, später Professor in Freiberg an der Bergakademie, ab 1951)
• Erich Günther: 1943-1944 Professor für Geschichte der Mathematik
—
1933 | William Threlfall und Herbert Seifert
William Richard Maximilian HugoThrelfall [25.06.1888 – 04.04.1949]
war von 1933 bis 1935 a.o. Professor für Mathematik an der TH Dresden.
Karl Johann Herbert Seifert [27.05.1907 – 01.10.1996]
war in den Jahren 1934 bis 1936 Privatdozent für Mathematik an der TH Dresden.
Beide arbeiteten gemeinsam in Dresden auf dem Gebiet der Topologie mit Ergebnissen "ohne die es die heutige Topologie nicht gäbe". Hier sei der Begriff des "Faserraums" von H. Seifert und das gemeinsame Lehrbuch der Topologie genannt, welches heute noch ein Standardwerk ist.
Nach Ende des 2. Weltkrieges gingen beide nach Heidelberg, wo Seifert die Fachrichtung Mathematik aufbaute.
Siehe auch den Artikel Als Mathematikordinarien an der Universität Heidelberg aus der Serie 'Dresdner Mathematiker im TU-Universitätsjournal 16/2000, Seite 10.
—
1940 | Franz Rellich
Franz Rellich [14.09.1906 – 25.09.1955]
war von 1940 bis 1945 Professor für Mathematik an der TH Dresden.
Weltweite Anerkennung fand seine Serie von Arbeiten zur Störungstheorie der Spektralzerlegungen linearer Operatoren in Hilbert- bzw. Banach-Räumen, deren abschließende Arbeit er während seiner Zeit an der TH Dresden verfasste.
—
1939 | Friedrich Adolf Willers
Friedrich A. Willers war seit April 1939 bis 1944 Professor für Mathematik und vertrat hier den schwer erkrankten Max Lagally. 1944 wurde er als Nachfolger von Lagally als o.Professor für Angewandte Mathematik berufen und hatte diese Professur bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1956 inne.
Seiner Dresdner Wirkungszeit gingen Jahre als Professor für Mathematik und Darstellende Geometrie an der Bergakademie Freiberg von 1928 bis 1934 voraus:
"Willers wirkte in Freiberg, auch unterstützt durch die übrigen Mitglieder des Lehrkörpers, energisch auf eine Hebung des stark abgesunkenen Leistungsstandes der Studierenden hin. Das führte zu einem heftigen Gegensatz zwischen ihm und der NS-Studentenschaft. Auf ihren Einfluss hin musste er 1934 gegen den Willen des Professorenkollegiums um seine Emeritierung nachsuchen. ... In dieser für ihn so überaus schwierigen und heiklen Lage fand er in Trefftz einen zuverlässigen und hilfsbereiten Freund. Dieser sorgte für einen regen wissenschaftlichen Gedankenaustausch, besonders im ständigen Kolloquium des mathematischen Seminars der TH Dresden. Angeregt durch die Zusammenarbeit mit Trefftz entstand bei Willers eine ganze Folge von beachtenswerten wissenschaftlichen Arbeiten aus den Gebiet der Elastizitätstheorie."
(Zitat aus Bedeutende Gelehrte der Technischen Universität Dresden: W.G. Lohrmann,
J.A. Hülsse, F.A. Willers, Veröffentlichung der TU Dresden, 1990, Band 2, S.55f).
Erst 1944 mit der Berufung zum o.Professor in Dresden wurde er rehabilitiert.
Friedrich Adolf Willers
[29.01.1883 – 05.01.1959]
wurde zu der zentralen Persönlichkeit für den Neuaufbau der Fachrichtung Mathematik nach 1945.
So war zum Beispiel die erste Vorlesung an der TH Dresden nach dem Ende des zweiten Weltkrieges eine Mathematikvorlesung: gehalten von F. A. Willers für Hörerinnen und Hörer aller Fachrichtungen im Oktober 1946 im großen Hörsaal 222 im Zeuner-Bau.
Willers initiierte und begleitete in den Jahren nach 1945 folgende Entwicklungen und Neuerungen:
- die Ausbildung von Diplom-Mathematikern - dem deutschlandweiten Trend entsprechend - und mit diesen Dresdner Besonderheiten:
— mit einem mathematischen Praktikum,
— mit einem obligatorischen "Technischen Nebenfach" für alle Mathematik-Studierenden (Mathematiker sollen die "Sprache des Ingenieurs" verstehen) und
— mit einer Studiendauer von 5 Jahren, davon einem Jahr Diplomarbeit
(Dies trug wesentlich zur Steigerung der Einsatzfähigkeit der Dresdner Mathematikabsolventinnen und -absolventen in der Industrie bei.) - den Neubau der Gebäude für die Mathematischen Institute am Zelleschen Weg und den angrenzenden Hörsälen für Mathematik und Physik in den Jahren 1950 bis 1956
(Das Gebäude der Mathematik trägt seit dem 6. Oktober 1961 seinen Namen:
Willers-Bau.) - die Herausgabe der "Zeitschrift für Angewandte Mathematik und Mechanik" (ZAMM) in den Jahren 1937 bis 1959
- den Aufbau des 'Institutes für Angewandte Mathematik'
- den Aufbau der 1949 neugegründeten "Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften" als deren erster Dekan
- Die inzwischen vorangegangene Entwicklung von großen Integrieranlagen und Differentialanalysatoren zur mechanischen Lösung komplizierter Differential-gleichungen und das Aufkommen der ersten elektronischen Rechenanlagen veranlassten Willers zu einer Erweiterung und Umarbeitung seines Buches über mathematische Instrumente und sogar zu einer Abänderung des Titels in "Mathematische Maschinen und Instrumente" (1951, nachdem es 1949 in russischer Übersetzung erschienen war).
Ebenso initiierte und förderte er die Entwicklungsarbeiten zur elektronischen Rechentechnik durch N. J. Lehmann.
Stellvertretend für die wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Lehrbücher von F.A. Willers seien hier genannt:
- mit Carl Runge (Göttingen): Numerische und graphische Quadratur und Integration gewöhnlicher und partieller Differentialgleichungen. In: Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen, Band 2 Analysis, 3. Heft, Leipzig, Druck und Verlag von B.G. Teubner, 1915
(Inhaltsverzeichnis der Arbeit, Titelblatt der Encyklopädie) - Das Falten des Randes beim Pressen von Schalen. Zeitschrift für Angewandte Mathematik und Mechanik, Bd. 25, Nr. 1, 1945 (Seite 1)
Die folgende kleine Statistik widerspiegelt die erfolgreiche Hochschulpolitik am Beispiel der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der TH Dresden in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre:
1949 | 1951 | 1955 | |
---|---|---|---|
DirektstudentInnen | 303 | 1129 | |
FernstudentInnen | 446 | 634 | |
AbsolventInnen (von 49-55) | 1 | 257 | |
HochschullehrerInnen | 16 | 34 | |
Lehrbeauftragte | 31 | 149 |
—
1953 | N. J. Lehmann
Joachim Nikolaus Lehmann
[15.03.1921- 27.06.1998] studierte von 1940 bis 1945 Mathematik und Physik an der TH Dresden.
Nach seiner Promotion zum Dr.-Ing. im Jahr 1948 und der Habilitation 1951 wurde er hier 1952 zum Dozenten berufen und war ab 1953 Professor für Angewandte Mathematik an der TH (später TU) Dresden.
Er war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1986 erst Direktor des Instituts für Maschinelle Rechentechnik und ab 1968 Leiter des Wissenschaftsbereiches "Mathematische Kybernetik und Rechentechnik".
Die wissenschaftlichen Arbeiten Lehmanns, die langfristig das Profil des von ihm geleiteten Instituts bestimmten, repräsentierten eine auf reichen Erfahrungen in der analytischen und numerischen Mathematik, der Technik und der Physik basierende, langfristig angelegte Arbeitsrichtung. Ihr Ziel bestand in der Bereitstellung geeigneter Rechentechnik und von Hilfsmitteln für deren zweckmäßige Nutzung, die den Möglichkeiten entsprechend optimal an die Denkweise des Menschen angepasst sind.
Genannt sei hier - beginnend mit den Arbeiten im Jahr 1948 - die Serie der Rechenautomaten vom D1 aus dem Jahr 1950 bis hin zum D4a aus dem Jahr 1964,
siehe auch Darstellung der Entwicklung der Maschinellen Rechentechnik / Elektronik (1953-1965).
Eine umfassende Darstellung zu den Forschungsarbeiten findet sich in der Würdigung von Prof. Dr. Manfred Ludwig aus dem Jahr 2011:
Das Leben und Wirken von Prof. N. J. Lehmann - Zum 90. Geburtstag.
In diesem Aufsatz werden auch die wissenschaftlichen Arbeiten zur historischen Rechenmaschine von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und der Nachbau (Foto) derselben unter der wissenschaftlicher Anleitung von N. J. Lehmann in Dresden dargestellt. (Sammlung historischer Rechenmaschinen an der TU Dresden)
—
1946 · Gründung der Mathematischen Institute
Die sechs heutigen Institute für Algebra, Analysis, Geometrie, Mathematische Stochastik, Numerische Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen haben eine wechselvolle Geschichte. Zuerst sei hier ein kurzer Abriss zur Entwicklung der Institute und der wechselnden Organisationsformen der Mathematik bis heute gegeben. Im Anschluss daran werden die Institute ausführlicher dargestellt.
Die Gründungsgeschichte unserer Institute beginnt im Zeitraum von 1946 bis 1956
und ist eng verknüpft mit der im Herbst 1949 gegründeten Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften.
Die Fakultät bestand aus ca. 30 Instituten, die sich in zwei Abteilungen gliederten:
in die Abteilung für Mathematik und Physik und in die Abteilung für Chemie und Biologie. Der erste Dekan für Mathematik und Physik war bis 1954 Prof. Dr. phil. habil. Dr. rer. nat. h. c. F. A. Willers. Er war gleichzeitig der Leiter der Abteilung für Mathematik und Physik bis 1958. Ihm folgte als Abteilungsleiter bis zur "III. Hochschulreform" 1968/1969 Prof. Dr. Helmut Heinrich.
Die Institutsgründungen hatten das Ziel, den Forderungen der Praxis - sowohl in der Ausbildung der Ingenieurstudenten als auch in der Forschung zur Nutzbarmachung in der Industrie - gerecht zu werden.
Ab 1947 begannen die Studienjahrgänge, die als Diplom-Mathematikerin bzw. Diplom-Mathematiker abschlossen (siehe auch den Abschnitt zu F. A. Willers).
1949 bestanden in der neugebildeten Fakultät drei mathematische Institute: Reine Mathematik (Karl Maruhn), Angewandte Mathematik (Friedrich A. Willers) und Geometrie (Ott Heinrich Keller).
Nachdem die mathematischen Institute in den ersten Nachkriegsjahren sehr beengt, zunächst im Materialprüfungsamt, später im Zeuner-Bau und in den Jahren 1953 bis 1955 in einer Villa in der Tiergartenstraße 8 untergebracht waren, konnten sie, u.a. Dank Willers außerordentlicher Initiative und detailiierter Begleitung, 1955 in die neuen Gebäude am Zelleschen Weg einziehen.
Aus dem Institut für Angewandte Mathematik gingen ab dem Jahr 1956 folgende Institute hervor: Maschinelle Rechentechnik (N.J. Lehmann), Institut für Angewandte Mathematik (Helmut Heinrich) und das Institut für Mathematische Statistik (Opitz), ab 1964 das II. Institut für Angewandte Mathematik (P. Heinz Müller).
—
Technische Universität Dresden
1961 · Aus der TH wird die TU Dresden
Im März 1961 wurde der TH Dresden vom Ministerrat der DDR der Status einer Universität zuerkannt. Der Festakt zur offiziellen Umbenennung in "Technische Universität Dresden" fand am 5. Oktober 1961 während einer Festwoche statt.
—
1968 · III. Hochschulreform
Mit der "III. Hochschulreform" 1968/1969 wurden an allen Hochschulen und Universitäten in der DDR die historischen Strukturen weitgehend aufgelöst und die vorhandenen Fachrichtungen in "Sektionen" umgewandelt: so wurde an der TU Dresden 1968 zur Gründungsversammlung am 22. Oktober aus der Fachrichtung Mathematik die Sektion Mathematik (Sektion 07). Der erste Sektionsdirektor war bis 1970 Prof. Dr. Helmut Heinrich. Ihm folgten als Sektionsdirektoren Prof. Dr. Wolfgang Winkler (1971-1977), Prof. Dr. Karl-Heinz Körber (1977-1982), Prof. Dr. Joachim Metz (1982-1988) und Prof. Dr. Christian Großmann (1988-1990).
Die Fakultät Naturwissenschaften und Mathematik und deren Dekane waren in dieser Zeit bis 1991 hauptsächlich für den korrekten Ablauf der Promotionen A bzw. Promotionen B zuständig.
Mit der III. Hochschulreform erfolgte an der Sektion Mathematik auch eine Neustrukturierung, nunmehr gab es die vier folgenden Wissenschaftsbereiche (WB):
– Mathematische Kybernetik und Rechentechnik (WB MKR),
– Numerische Mathematik (WB NM),
– Wahrscheinlichkeitstheorie und Mathematische Statistik (WB WMS) und
– Allgemeine Mathematik (WB AM, Ingenieurmathematik).
Diese Neustrukturierung war mit massiven Eingriffen in die vorhandene Forschungs- und Leitungsstruktur verknüpft. So wurden z.B. die am Institut für Geometrie tätigen Wissenschaftler aufgeteilt – in eine Arbeitsgruppe "Computergeometrie" am WB Mathematische Kybernetik und Rechentechnik während andere Mitarbeiter dem WB Allgemeine Mathematik zugeordnet wurden. Als Folge davon war z.B. die Mathematikausbildung der Ingenieurstudenten und der Studierenden anderer Fachrichtungen (gemeinsam mit den anderen Wissenschaftsbereichen) und insbesondere auch die Übungsveranstaltungen durch extra dafür angestellte sogenannte "Lehrer im Hochschuldienst" (= Mitarbeiter für besondere pädagogische Aufgaben) dem WB Allgemeine Mathematik zugeordnet.
Trotz dieser verordneten Umstrukturierung und veränderten fachlichen Zuordnung haben sich die Wissenschaftler an den neuen Wissenschaftsbereichen Aufgaben zugewandt, die ihrem eigentlichen Forschungsprofil entsprachen und haben auf diesen Gebieten nennenswerte Leistungen vollbracht.
1990 · Neueinrichtung der Fakultäten, Fachrichtungen und Institute
Erst ab 1990 ergab sich wieder die Chance eines Umbruchs:
Ein wesentliches Ergebnis der politischen Wende war die wiedererlangte Freizügigkeit des internationalen wissenschaftlichen Austauschs - sowohl inhaltlich als auch personell.
An der TU Dresden wurden die Fakultäten neu eingerichtet, darunter die
Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften mit den fünf Fachrichtungen
Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Psychologie.
Erster Dekan der neu gegründeten Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften war Prof. Dr. Gerhard Geise (1991-1992) aus der Fachrichtung Mathematik, weitere Dekane aus der Mathematik waren Prof. Dr. Rolf Kühne (1994-1997), Prof. Dr. Volker Nollau (amtierender Dekan 2004) und Prof. Dr. Bernhard Ganter (2009-2014).
Die Fachrichtung Mathematik (1991 - 2016)
Die Gestaltung der demokratischen Erneuerung an der Fachrichtung Mathematik, die 1990 begann, verdankt ganz wesentliche Impulse dem Wirken von Prof. Dr. Winfried Schirotzek, Prof. Dr. Gerhard Geise und Prof. Dr. Jochen W. Schmidt. Prof. Dr. Schirotzek, der in der vorausgehenden Zeit viele Zurücksetzungen erleben musste, wurde 1991 erster Prodekan für Mathematik. Ihm folgten als Prodekane bzw. ab dem Jahr 2010 als "Sprecher der Fachrichtung": Prof. Dr. Gerhard Geise (1990-1991), dann erneut Prof. Dr. Winfried Schirotzek (1991-1993), Prof. Dr. Rolf Kühne (1993-1994), Prof. Dr. Johannes Terno (1994-2000), Prof. Dr. Volker Nollau (2000-2006), Prof. Dr. Gunter Weiß (2006-2009), Prof. Dr. Stefan Siegmund (2009-2013), Prof. Dr. René Schilling (2013-2016) und Prof. Dr. Axel Voigt (2016-2017).
Die Fakultät Mathematik (2017 - )
Mit der Neustrukturierung an der TU Dresden im Jahr 2017 wurde die Mathematik eine eigenständige Fakultät im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften.
Erster Dekan der Fakultät Mathematik ist Prof. Dr. Axel Voigt (2017- ).
Im Jahr 2019 ist die Fakultät Mathematik mit 29 Professuren eine der größten mathematischen Fakultäten Deutschlands. Sie ist gekennzeichnet durch ein breites Forschungsspektrum mit mehreren ERC Grants, DFG-, BMBF- und EU-Projekten und Beteiligungen an Exzellenzclustern, Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs. Durch die Breite der sowohl grundlagenorientierten als auch anwendungsbezogenen Forschung ist die Fakultät Mathematik zentraler Bestandteil verschiedener Forschungsprofillinien der TU Dresden und verbindendes Glied zahlreicher interdisziplinärer Projekte.
Zwei Forschungsschwerpunkte haben sich in den letzten Jahren an der Fakultät Mathematik etabliert:
(1) Partielle Differentialgleichungen und deren Anwendungen in Ingenieur- und Naturwissenschaften und
(2) Diskrete Strukturen und Optimierung.
Weitere Schwerpunkte finden sich im Bereich der Wirtschaftsmathematik und Didaktik.
Neben den verschiedenen Forschungsprojekten wird das Spektrum auch in der Lehre in unseren Bachelor-, Master- und Promotions- sowie in den Lehramtsstudiengängen abgebildet, was unseren Absolventinnen und Absolventen eine breite und aktuelle mathematische Ausbildung garantiert und die Chancen auf einen attraktiven Arbeitsplatz erhöht. Das Studium vermittelt hierbei Fachkompetenzen sowohl für eine akademische Laufbahn als auch für eine anspruchsvolle forschungsorientierte Industrietätigkeit.
Neben dem klassischen Mathematikstudium im Bachelor- und Master-Studiengang stehen weitere Studiengänge zu Auswahl: Wirtschaftsmathematik (seit 2019), Master Technomathematik, Master Wirtschaftsmathematik und der Internationale Master-studiengang Computational Modeling and Simulation (seit 2018). Unsere Studierende profitieren darüber hinaus von einer starken internationalen Vernetzung und einem englischsprachigen Lehrangebot ab Masterniveau.
Die Mathematischen Institute (1990 / 1991 - )
In den Jahren 1990 und 1991 wurden auch die heute existierenden Institute wieder-errichtet bzw. neu gegründet und diese wurden wieder zu den entwicklungs-bestimmenden wissenschaftlichen Einheiten:
Organisiert ist die Fakultät Mathematik in sechs Instituten, dem Institut für Algebra mit fünf Professuren, dem Institut für Analysis mit drei Professuren, dem Institut für Geometrie mit fünf Professuren, dem Institut für Mathematische Stochastik mit fünf Professuren, dem Institut für Numerische Mathematik mit vier Professuren und dem Institut für Wissenschaftliches Rechnen mit vier Professuren (Stand 2019).
[Da in den neunziger Jahren an der TU Dresden nun auch Lehramtsstudiengänge eingerichtet wurden, wurde 1994 eine Professur für Didaktik der Mathematik geschaffen, die ab dem Jahr 2016 dem Institut für Analysis zugeordnet wurde.]
Hinzu kommen das drittmittelfinanzierte interdisziplinäre Zentrum für Dynamik (CfD) und drei Professuren der Fakultät für Informatik, die die enge Verzahnung beider Fakultäten belegen.
[In Vorbereitung] Nachfolgend werden für alle Institute jeweils Daten zur Geschichte von der Gründung bis heute dargestellt und es werden in Übersichten die jeweils zugehörigen Professorinnen und Professoren mit ihrem Fachgebiet bzw. der Professur und den Berufungsdaten vorgestellt:
- Institut für Algebra (Historie ab 1954)
- Institut für Analysis (Historie ab 1949)
Seit 2017 einschließlich der Professur für Didaktik der Mathematik - Institut für Geometrie (Historie ab 1952)
- Institut für Mathematische Stochastik (Historie ab 1956)
- Institut für Numerische Mathematik (Historie ab 1946)
- Institut für Wissenschaftliches Rechnen (Historie ab 1956)
- Professur für Didaktik der Mathematik (Historie 1994–2016)
Stefan Deschauer, Geschichte der Mathematik, Lehrerfort- und Weiterbildung