P3 "Selbststeuerung, kognitive Kontrolle und Persönlichkeitsaspekte bei einer Störung durch Glücksspiel"
Promotionsstudent: André Schmidt
Betreuer: Prof. Gerhard Bühringer, Prof. Thomas Goschke
Dauer: 05/2012 – 04/2018
Hintergrund
Glücksspiele und die negativen Folgeerscheinungen daraus sind seit einigen Jahren im Fokus der Forschung. Trotzdem sind zugrunde liegende Prozesse, insbesondere im Be- reich der Störung durch Glücksspiel, weitestgehend ungewiss. Zwar existieren bereits ver- schiedene Modelle zur Störungsentwicklung, jedoch betrachten die bisherigen Ansätze jeweils nur Teilbereiche des Wirkgefüges und vernachlässigen Wechselwirkungen zwi- schen kognitiven Prozessen, der Persönlichkeit und den Fähigkeiten zur Selbststeuerung. Fähigkeiten der kognitiven Kontrolle beinhalten hierbei sensorische und motorische Me- chanismen auf unterer Ebene, um ein internes Ziel zu erreichen (Miller & Cohen, 2001) und bilden einen zentralen Bestandteil der Störungsbetrachtung. Die Selbststeuerung, die höhere, volitionale Prozesse beinhaltet (Baumeister & Heatherton, 1996), wird in bisheri- gen Modellen nur oberflächlich einbezogen. Insbesondere implizite Motive und Schemata wurden in den bisherigen Forschungen unberücksichtigt gelassen. Ein grundlegendes Verständnis der Störung und der Wirkbeziehungen stellt jedoch die essenzielle Basis für eine fundierte Störungstheorie, Intervention und Therapie dar.
Fragestellungen
In der vorliegenden Studie sollen die Zusammenhänge zwischen diesen verschiedenen Aspekten bei der Störung durch Glücksspiel betrachtet werden. Hierbei soll die Frage be- antwortet werden, inwieweit Personen mit einer Störung durch Glücksspiel (SdG) geringe- re Fähigkeiten zur Selbststeuerung und der kognitiven Kontrolle in Form einer erhöhten Impulsivität aufweisen und wie die kognitiven Kontrollmechanismen durch die Frustration von impliziten Motiven beeinflusst wird. Insbesondere die Motive nach Anerkennung und Autonomie nach Sachse (2004) sollen hierfür auf ihre Wirkung geprüft werden.
Methoden
Die Analyse der Forschungsfrage wurde durch eine Kombination verschiedener Verfahren realisiert. Die Stichprobe (N = 82) basierte auf Personen mit einer Störung durch Glücks- spiel, die sich in einer stationären Therapie befinden, und einer dazu passenden, ge- matchten Kontrollgruppe. Die Messung der kognitiven Kontrollfähigkeiten wurde durch zwei unterschiedliche Verhaltensaufgaben (Delay-Discounting-Aufgabe und Go-/No-go- Aufgabe) durchgeführt. Zur Prüfung der Auswirkungen von Motivfrustrationen im quasiex- perimentellen Messwiederholungsdesign wurden grafische Reize genutzt, die mittels Vor- befragung ausgewählt wurden. Zur Messung der Selbststeuerungsfähigkeiten wurde die Therapiebegleitende Osnabrücker Persönlichkeitsdiagnostik (TOP-Diagnostik) sowie für das Ausmaß der Störung durch Glücksspiel der Kurzfragebogen zum Glücksspielverhalten (KFG) verwendet. Abschließend wurde unter Einbezug des erlebten Alltagstresses (Per- ceived Stress Questionnaire) ein Strukturgleichungsmodell getestet.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen einen voneinander unabhängigen Einfluss der kognitiven Kontroll- fähigkeiten und der Fähigkeiten zur Selbststeuerung auf das Ausmaß der Störung durch Glücksspiel. Im Rahmen der Selbststeuerungsfähigkeiten ist nicht – wie meist erwartet – die Selbstkontrolle bei Personen mit einer Störung mangelhaft ausgeprägt, sondern mit der Willensbahnung die Fähigkeit, aus positiven Emotionen heraus Handlungsabsichten zu generieren. Der Einfluss der kognitiven Kontrolle auf das Ausmaß der Störung ergibt sich nur im Zusammenhang mit der Folge einer Motivfrustration in den Bereichen Autono- mie und Anerkennung. Während der erlebte Stress keinen Einfluss auf die kognitiven Kon- trollfähigkeiten hat, beeinflusst das Stresserleben die Willensbahnung negativ. Abschließend konnte ein Strukturgleichungsmodell bestätigt werden, in dem das Ausmaß der Stö- rung durch Glücksspiel durch die Selbststeuerung, den Lebensstress sowie der kognitiven Kontrolle erklärt wird.
Diskussion und Schlussfolgerungen
Die vorliegende Untersuchung lenkt den Fokus auf das Zusammenspiel von den in bishe- rigen Forschungen weitestgehend unberücksichtigt gelassenen Aspekten der impliziten Motive und Schemata bei der Störung durch Glücksspiel, die einen relevanten Bestandteil bilden. Die gefundenen Ergebnisse lassen auf komplexe Wirkzusammenhänge zwischen der Frustration des Motivs nach Autonomie mit den Fähigkeiten der kognitiven Kontrolle sowie der Willensbahnung und dem erlebten Stress schließen. Fähigkeiten der kognitiven Kontrolle und der Selbststeuerung bilden voneinander unabhängige Einflussfaktoren auf die Störung, wobei die kognitive Kontrolle von motivationalen Aspekten, im Sinne eines Erlebniszustands als Folge der Interaktion zwischen situativen Einflüssen und inneren Schemata, bedingt wird. Gleichzeitig ist das Stresserleben nur mit der Willensbahnung als Teil der Selbststeuerung verknüpft, ohne einen direkten Zusammenhang mit der Störung zu zeigen. Bisherige Theorien und Ansätze aus den verschiedenen Bereichen können somit nicht vollständig voneinander getrennt betrachtet werden, sondern müssen für einen ganzheitlichen Blick kombiniert werden. Ein erster Ansatz zur Kombination der Theorien wird im Rahmen der Integration der Ergebnisse diskutiert. Die Ergebnisse stärken in die- sem Zusammenhang die Relevanz interner Verarbeitungsprozesse für das Störungsbild. Insbesondere für die Intervention und Therapie ergeben sich somit neue Erkenntnisse.