P4 "The socioeconomic profile of alcohol-attributable mortality in South Africa"
Promotionsstudentin: Dipl.-Psych. Charlotte Probst
Betreuer: Prof. Hans-Ulrich Wittchen, Prof. Jürgen Rehm
Eingereicht am: 8. November 2017
Zusammenfassung:
Hintergrund Aus der Forschung zu Mortalität und sozioökonomischem Status (SES) ist bekannt, dass weltweit niedriger SES mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko einhergeht. Forschung aus Ländern mit hohem Einkommen hat gezeigt, dass Alkoholkonsum zu dem sozioökonomischen Gefälle beiträgt und dass sozioökonomische Unterschiede in der alkoholbedingten Mortalität besonders groß sind. Bislang gibt es jedoch kaum Studien in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Südafrika ist ein Land mit gehobenem mittleren Einkommen und starken Einkommensunterschieden innerhalb der Bevölkerung. Zudem ist Alkoholkonsum einer der wichtigsten Risikofaktoren für Mortalität in Südafrika. Mit 11 Litern puren Alkohols lag der Pro-Kopf-Konsum in Südafrika in 2010 fünf Liter über dem regionalen Durchschnitt.
Forschungsziele Das übergeordnete Ziel dieses Dissertationsprojekts bestand darin, ein sozioökonomisches Profil der alkoholbedingten Mortalität in der südafrikanischen erwachsenen (definiert als mindestens 15 Jahre alt) Allgemeinbevölkerung zu erstellen. Dabei sollten die wichtigsten alkoholbedingten Todesursachen sowie Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. Die Forschungsziele der fünf Teilstudien waren die Untersuchung der Coverage, d.h. der Anteil des ‚tatsächlichen‘ Pro-Kopf- Konsums von Alkohol, der in repräsentativen Bevölkerungserhebungen erfasst wurde (Studie I); die Berechnung des relativen Risikos (RR) an Human Immunodeficiency Virus/Acquired Immune Deficiency Syndrome (HIV/AIDS) zu versterben für Personen mit niedrigem verglichen zu hohem SES (Studie II); die Untersuchung möglicher Interaktionseffekte zwischen SES und Alkoholkonsum in Bezug auf das HIV- Risiko (Studie III); die Berechnung des alkoholbedingten Anteils (alcohol-attributable fraction, AAF) der HIV/AIDS-Mortalität und entsprechender Mortalitätsraten, getrennt nach SES, Alter und Geschlecht (Studie IV); und die Berechnung der AAFs und entsprechender Mortalitätsraten für die wichtigsten alkoholbedingten Todesursachen, getrennt nach SES, Alter und Geschlecht (Studie V).
Studiendesign Ein Comparative Risk Assessment wurde durchgeführt um die alkoholbedingte Mortalität in durch SES, Alter und Geschlecht definierten Subgruppen der erwachsenen Allgemeinbevölkerung Südafrikas zu erfassen. Die Berechnung von AAFs setzte Kenntnisse über die Verteilung des Alkoholkonsums und über das mit Alkoholkonsum verbundene Risiko voraus. Mortalitätsstatistiken je Subgruppe waren erforderlich um entsprechende alkoholbedingte Todesfälle und Mortalitätsraten zu berechnen. Um die Vergleichbarkeit über die verschiedenen Berechnungsschritte hinweg zu erhöhen, wurde eine konsistente Operationalisierung des SES verwendet.
Datenquellen Querschnittliche Daten aus insgesamt sechs landesweit repräsentativen Bevölkerungsbefragungen aus den Jahren 2003 (N=8.115), 2005 (N=16.110), 2008 (N=13.055), 2012 (N=27.070 und N=18.688) und 2015 (N=22.741) wurden verwendet. Längsschnittliche Daten zu Mortalität kamen von einer Kohortenstudie aus KwaZulu-Natal (Jahr 2000 bis 2014; N=87.029; 757.404 Personenjahre; 23.002 Todesfälle). Öffentliche Datenquellen lieferten Informationen zum ‚tatsächlichen’ Pro-Kopf-Konsum sowie Populations- und Mortalitätsstatistiken nach Todesursache, Alter und Geschlecht. Das mit Alkoholkonsum verbundene Risiko für verschiedene Todesursachen wurde einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit entnommen.
Statistische Auswertung Die Coverage wurde auf Grundlage fünf querschnittlicher Datensätze berechnet. Um die sozioökonomischen Unterschiede in der HIV/AIDS-Mortalität zu untersuchen, wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. RRs wurden getrennt nach Maßen des SES in Random Effects Metaanalysen zusammengefasst. Zusätzlich wurden Cox-Regression auf Grundlage der längsschnittlichen Daten berechnet um in den weiteren Berechnungsschritten eine kohärente Operationalisierung des SES zu gewährleisten. Die resultierenden Hazard Ratios wurden verwendet um Mortalitätsstatistiken nach SES aufzusplitten. Interaktionseffekte zwischen SES und Alkoholkonsum in Bezug auf das HIV-Risiko, wurden anhand multinomialer logistischer Regressionen auf Grundlage von drei querschnittlichen Datensätzen berechnet. Das Comparative Risk Assessment in Studie IV widmete sich ausschließlich der alkoholbedingten HIV/AIDS-Mortalität (zwei SES-Gruppen), jenes in Studie V untersuchte die sozioökonomischen Unterschiede in allen wichtigen alkoholbedingten Todesursachen (drei SES-Gruppen). Die Prävalenz von Alkoholkonsum sowie von unregelmäßigem schwerem Alkoholkonsum in den verschiedenen Subgruppen wurde anhand querschnittlicher Daten berechnet. Ein Standard Triangulationsverfahren wurde verwendet um die Unterschätzung des Alkoholkonsums in Bevölkerungsbefragungen zu korrigieren. Alkoholbedingte Mortalitätsraten wurden an der Referenzpopulation der Welt Gesundheits Organisation altersstandardisiert. Monte Carlo Simulationen wurden verwendet um uncertainty intervals (UI) zu berechnen.
Ergebnisse Die Coverage in den Bevölkerungsbefragungen lag zwischen 11,8% (95% UI 9,3-16,2%; 2005) und 19,4% (95% UI 14,9-24,2%; 2003) des ‚tatsächlichen’ Pro-Kopf-Konsums von Alkohol in Südafrika (Studie I). Die systematische Literaturrecherche ergab 10 Studien, die über 175.000 Personen und 6.700 Todesfälle umfassten (Studie II). Die Ergebnisse der Metaanalyse zeigten für mehrere Maße des SES ein erhöhtes HIV/AIDS-Mortalitätsrisiko für Personen mit niedrigem SES (Einkommen: RR 1,6, 95% Konfidenzinterval (KI) 1,2-2,1; Asset-Score: RR 1,6, 95% KI 1,1-2,4; Erwerbsstatus: RR 1,5, 95% KI 1,2-1,9).
Für Bildung wurde kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen SES-Gruppen gefunden (RR 1,1, 95% KI 0,4-1,7). In allen drei Bevölkerungsbefragungen wurden Interaktionseffekte zwischen Alkoholkonsum und SES festgestellt (Studie III). Personen mit niedrigem SES und gegenwärtigem Alkoholkonsum waren demnach einem erhöhten HIV-Risiko ausgesetzt. Das Relative Risk Ratio (RRR) lag zwischen 1,9 (95% KI 1,3-3,0; 2012) und 3,5 (95% KI 2,0-6,1; 2008).
Das Comparative Risk Assessment zu alkoholbedingter HIV/AIDS Mortalität in 2012 zeigte deutlich erhöhte AAFs für Erwachsene mit niedrigem SES (Studie IV). Unter Männern mit hohem SES lag die alkoholbedingte HIV/AIDS Mortalitätsrate bei 31 (95% UI 22-41) per 100.000 Erwachsenen während sie für Männer mit niedrigem SES bei 230 (95% UI 109-352) lag. Die entsprechenden Mortalitätsraten unter Frauen waren 11 (95% UI 6-16) bei hohem und 76 (95% UI 31-145) bei niedrigem SES. Das Comparative Risk Assessment zu allen wichtigen alkoholbedingten Todesursachen zeigte, dass in Südafrika in 2015 etwa 62.300 (95% UI 27.000-103.000) Erwachsene an alkoholbedingten Todesursachen starben. Die alkoholbedingten Mortalitätsraten per 100.000 Erwachsenen waren am höchsten in der unteren SES- Gruppe (727, 95% UI 354-1.208) gefolgt von der mittleren (377, 95% UI 165-687) und der oberen SES- Gruppe (163, 95% UI 71-289). Die größten sozioökonomischen Unterschiede in AAFs wurden für Infektionskrankheiten sowie für Männer im Alter von 35 bis 54 Jahren beobachtet.
Schlussfolgerungen Soweit bekannt, wurde in diesem Dissertationsprojekt erstmalig die alkoholbedingte Krankheitslast in Südafrika für unterschiedliche sozioökonomische Gruppen quantifiziert. Im Einklang mit Studien aus Ländern mit hohem Einkommen zeigte die Studie, dass Alkoholkonsum zu den sozioökonomischen Unterschieden in der Mortalität beiträgt. Die erhöhten AAFs waren dabei vor allem auf riskantere Trinkmuster und nicht auf eine höhere Prävalenz von Alkoholkonsum an sich zurückzuführen. Für HIV/AIDS war es möglich Interaktionseffekte zu identifizieren und in den Berechnungen zu berücksichtigen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass weltweit in zahlreichen Ländern die Einkommensunterschiede sowie die sozioökonomischen Unterschiede in der alkoholbedingten Mortalität ansteigen, ist die Untersuchung derartiger Interaktionseffekte in zukünftigen Forschungsprojekten von hoher Bedeutung. Das erstellte sozioökonomische Profil der alkoholbedingten Mortalität wies auf, dass die Unterschiede bei Männern im mittleren Alter sowie für HIV/AIDS als Todesursache besonders groß waren. Eine entsprechende Ausrichtung von Prävention und Intervention verspricht daher die größte Reduktion alkoholbedingter Mortalität und der damit einhergehenden sozioökonomischen Unterschiede in Südafrika.
Publikationen
Probst, C., Shuper, P. A., & Rehm, J. (2016). Coverage of alcohol consumption by national surveys in South Africa. Addiction, 112(4), 705-710. (IF 5.79)
Probst, C., Parry, C. D. H., & Rehm, J. (2016). Socio-economic differences in HIV/AIDS mortality in South Africa. Tropical Medicine & International Health, 21(7), 846-855. (IF 2.85)
Probst, C., Simbayi, L. C., Parry, C. D. H., Shuper, P. A., & Rehm, J. (2017). Alcohol use, socioeconomic status and risk of HIV infections. AIDS and Behavior, 21(7), 1926-1937. (IF 3.31)
Probst, C., Parry, C. D. H., & Rehm, J. (in peer review). HIV/AIDS mortality attributable to alcohol use in South Africa: A risk comparative assessment by socioeconomic status. BMJ Open. (IF 2.37)
Probst, C., Parry, C. D. H., Wittchen, H.-U., & Rehm, J. (in peer review). The socioeconomic profile of alcohol-attributable mortality in South Africa: A modelling study. BMC Medicine. (IF 7.25)