30.06.2023
Vom Experiment zum stabilen Organismus
Dagmar Möbius
„Ach, Sie sind von der Ingenieurschule…“ Das ist der häufigste Irrtum, den Oliver Tettenborn regelmäßig klarstellen muss – auch 30 Jahre nach der Gründung des Internationalen Hochschulinstituts Zittau. „Wir sind zwar geschichtlich ein „Kind“ der heutigen Hochschule Zittau/Görlitz, waren aber stets eigenständig“, sagt der wissenschaftliche Referent des Direktors. Seit 2013 ist das IHI eine Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden.
Fünf Hochschulen aus Sachsen, Polen und Tschechien hatten im Jahr 1993 ein Modellprojekt für gemeinsames, grenzüberschreitendes Lernen gegründet. Noch vor der Bologna-Reform wurden am Internationalen Hochschulinstitut weiterführende Studiengänge etabliert. Zunächst startete der Diplom-Studiengang „Umwelttechnik“, gefolgt von „Betriebswirtschaftslehre“, „Wirtschaftsingenieurwesen“ und „Sozialwissenschaften“. Ab 2007 wurden alle Studiengänge auf Master umgestellt: Aus „Umwelttechnik“ wurde „Biotechnologie und Angewandte Ökologie“, „Betriebswirtschaftslehre“ wurde zu „Internationales Management“, aus „Wirtschaftsingenieurwesen“ wurde „Projektmanagement“ und „Sozialwissenschaften“ entwickelten sich zu „Business Ethics und CSR-Management“. Promoviert konnte und kann am IHI Zittau auch werden – inzwischen durch Zweitmitgliedschaften der Professuren an Fakultäten der TUD. Wichtige Meilensteine der IHI-Geschichte können online nachgelesen werden.
International, überschaubar und verantwortungsbewusst
„In der Gründungsphase des IHI war die Lehre durch die Bürgerbewegung in der Lausitz sehr ökologisch geprägt“, berichtet Oliver Tettenborn. Bis heute versteht sich das IHI als internationale, familiäre Graduiertenschule. Das Institut mit elf Professuren, vier davon kooperativ mit Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft, hat sein Profil nach der Integration in die TU Dresden unter das Motto „Biodiversity and Responsible Management“ gestellt. Mit außeruniversitären Partnern (Senckenberg und IÖR) und Partnerfakultäten innerhalb der TU Dresden (Umweltwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Biologie) wird zu den Themen ökosystemare Dienstleistungen, Nachhaltigkeit und deren Management gelehrt und geforscht.
In den fünf Master-Studiengängen
- Biotechnologie und Angewandte Ökologie
- Business Ethics und Responsible Management
- Ecosystem Services
- Internationales Management
- Organismic and Molecular Biodiversity
sind durchschnittlich 300 Studierende eingeschrieben. Sie kommen aus rund 40 Nationen auf vier Kontinenten. „Nur Australien fehlt bisher“, schmunzelt Oliver Tettenborn. Der studierte Slawist und Philosoph fand im Dreiländereck, was er beruflich suchte. Seit 2009 ist er am IHI tätig und schwärmt: „Das ist wirklich eine europäische Region.“
Englischsprachige Master-Studiengänge sind sehr beliebt
Professor Thorsten Claus leitet seit 2005 die Professur für Produktionswirtschaft und Informationstechnik. Seit 2014 fungiert er als Direktor des Internationalen Hochschulinstituts Zittau. Konstruktiv und positiv gestalte er den Integrationsprozess in die TU Dresden, lobt sein Leitungsstab. „Die englischsprachigen ökologischen Studiengänge sind sehr beliebt und haben eine ganz neue Dynamik entwickelt“, freut sich Claus. Über zu wenig Studierende muss das IHI nicht klagen: Während sich „Business Ethics und Responsible Management“ an eine sehr spezielle, aber stabile Zielgruppe richtet, die 15 bis 20 Studierende pro Matrikel umfasst, ist der Studiengang „Organismic and Molecular Biodiversity“ durch eine außerordentlich forschungsstarke Professur geprägt. „Noch mussten wir aus Kapazitätsgründen keine Bewerbungen ablehnen, aus Eignungsgründen allerdings schon“, sagt Oliver Tettenborn. Alle Studiengänge sind zulassungsfrei. Für „Ecosystem Services“ könnte sich das, hält die Nachfrage in unverminderter Form an, in naher Zukunft ändern.
Double Degrees punkten
Auch der Studiengang „Internationales Management“ erfreut sich wachsender Beliebtheit, was unter anderem an der Double Degree-Option liegt: Seit dem Studienjahr 2019/20 können Studierende einen Doppelabschluss erwerben: Mit Auslandssemestern an der Wirtschaftsuniversität Wrocław, der Andrássy-Universität Budapest oder der Universität Pardubice erwerben sie zwei Diplome. Eine besondere Variante des Double Degrees bietet der 2020/21 gestartete Central European Campus Neisse/Nisa mit der TU Liberec. Nur etwas mehr als eine halbe Stunde Zugfahrt liegt zwischen Zittau und der tschechischen Universitätsstadt. „Das Studienprogramm kann sehr flexibel an zwei Standorten in zwei Ländern zusammengestellt werden: Wenn ich mittwochs das Modul Controlling in Liberec belegen möchte, kann ich das, ohne dafür umziehen zu müssen“, nennt der wissenschaftliche Referent des IHI-Direktors ein Beispiel.
Gewichene Skepsis und eine Zukunft
Dass 2013 nicht alle im IHI begeistert waren, ein Teil der TU Dresden zu werden, ist nachvollziehbar. Ist doch die Exzellenz-Universität wesentlich größer als das Institut in der Oberlausitz. „Es war eine politische Entscheidung“, sagt Oliver Tettenborn, damals für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Der Entschluss hieß also: „Wir machen das Beste daraus.“ Ganz leicht war das nicht, gibt er zu. Aber nicht nur die Studierenden profitierten sehr von der Entwicklung: „Als Zentrale Einrichtung kommen wir in allen Publikationen und im Uni-System vor.“ Die anfängliche Skepsis ist längst gewichen. „Aus dem Experiment ist ein stabiler Organismus geworden.“
Eine große Feier anlässlich des 30. IHI-Jubiläums wird es dennoch nicht geben. „Wir hängen es ein bisschen tiefer als die kräftezehrende Festwoche zum 20. Geburtstag vor zehn Jahren, mit der auch die Integration in die TU Dresden vollzogen wurde, oder das 25jährige 2018“, gesteht Tettenborn. Im Rahmen der Begrüßungsfeier für die neu Immatrikulierten wird im Zittauer Rathaus auf die Geschichte eingegangen und das Netzwerk des Instituts vorgestellt. „In den letzten Jahren erfolgten viele Neuberufungen, wir müssen uns jetzt erst einmal als Team neu aufstellen“, begründet Direktor Claus die Zurückhaltung. Und ergänzt: „Vor allem aber: Nach den ganzen Rückblicken schauen wir jetzt, personell erneuert, stärker in die Zukunft!“
Kontakt:
IHI Zittau
Wissenschaftlicher Referent des Direktors
Oliver Tettenborn
Tel.: +49 3583 612-4001