Von Interesse keine Spur
Frau K. ist seit einigen Jahren Dozentin an einer Universität. Ihr hat es immer viel Freude bereitet, Studierenden Wissen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Zu Beginn ihrer Lehrtätigkeit hat sie die Studierenden als äußerst wissbegierig wahrgenommen. In den letzten Jahren hat Frau K. jedoch immer mehr das Gefühl, dass die Studierenden pragmatischer in der Auswahl der Seminare werden. Es macht für sie den Eindruck, den Student*innen ginge es mehr um Noten, als darum sich Wissen anzueignen. Manchmal sind Studierende nur für ihre Referate in den Sitzungen anwesend. Auch der Versuch, die Inhalte der Lehrveranstaltungen auf unterschiedliche Art und Weisen anzubieten, um dadurch mehr Studierende zu motivieren, zeigt kaum eine Besserung. Die Studierenden sind weiterhin unregelmäßig anwesend, wirken abwesend und sind oft nicht gut vorbereitet. Frau K. ist ratlos und verunsichert. So hat sie sich ihre Lehre nicht vorgestellt. Sie bemerkt auch, dass ihre eigene Motivation für die Planung und Gestaltung ihrer Lehrveranstaltungen abnimmt. Sie fragt sich, was mit den Studierenden los ist.
Karl ist Mitten in seinem Lehramtsstudium. Er ist zwar mit den Abläufen der Studienorganisation vertraut, doch die Planung neuer Semester stellt ihn immer wieder vor Herausforderungen. Jedes Semester versucht er, die Seminare zu besuchen, die ihn besonders interessieren, muss dabei jedoch sein Ehrenamt und seinen Studentenjob mitberücksichtigen. Hinzu kommt, dass sich Lehrveranstaltungen oftmals überschneiden. Manchmal müsste er zeitgleich in einer Vorlesung für Erziehungswissenschaften und in einem fachwissenschaftlichen Seminar sitzen. Hinzu kommt der Druck von Außen: Die Familie erwartet, dass er möglichst bald ins Berufsleben startet. Das BAföG-Amt möchte Noten sehen, damit die Studienfinanzierung aufrechterhalten werden kann. Trotzdem muss Karl noch zusätzlich Arbeiten gehen, damit das Geld für mehr als nur Nahrungsmittel und das WG-Zimmer reicht. Freizeit mit Freunden hätte er auch gern. Es gibt außerdem viele Lehrveranstaltungen, in denen Karl nicht gut zurechtkommt, obwohl ihn das Thema interessiert. Gerade in den Fachwissenschaften wird häufig auf Fachinhalte zurückgegriffen, die er nicht kennt. Da helfen ihm auch unterschiedliche Materialien oft nicht weiter. Dann versucht er pragmatisch zu sein und die Prüfungsleistung bestmöglich abzulegen, um sein Studium abzuschließen. Darum schraubt Karl seine Ansprüche manchmal etwas zurück und ist zufrieden, sobald das Modul als bestanden gilt. Die Noten sind zweitrangig.
Die wirklich spannenden Diskussionen, wo er auch neue Impulse bekommt, hat er sowieso mehr in seiner Freizeit mit Kommiliton*innen.
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Warum scheinen die Studierenden oftmals unmotiviert und desinteressiert?
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Ist es die Aufgabe der Dozent*innen, die Studierenden zu motivieren?
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Wie hängt die Motivation der Lehrperson mit der Motivation der Lernenden zusammen?
Weiterführende Fragen
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Welchen Einfluss haben Annahmen über Lernende auf den Lernprozess? Mehr dazu erfahren Sie im Fall „Bestehen reicht denen… “.
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Begünstigt die Dozent*in-Studierenden-Beziehung das Verhalten in den Seminaren? Zum Einfluss von pädagogischen Beziehungen auf Lernen und Entwicklung können Sie unter “Die sind mir fremd” mehr erfahren.
- Welche Bedeutung hat Kooperation für Lernprozesse und die Aushandlung von Sinn und Bedeutung? Das können Sie im Fall „Das mach ich lieber Allein“ nachlesen.
Warum scheinen die Studierenden oftmals unmotiviert und desinteressiert?
Auch wenn es sich für Lehrende häufig so anfühlt: Nicht immer geht mangelnde Beteiligung der Studierenden mit einer grundsätzlichen Abwesenheit von Interesse einher. Fehlende Passfähigkeit der Lerninhalte zu den Vorkenntnissen der Lernenden, herausfordernde Lebenssituationen und negative Lernerfahrungen können dazu führen, dass sich die Lernenden zurückziehen und scheinbar nicht beteiligen wollen (Steffens 2019: 41).
Lehrende, denen ein solches Verhalten von Studierenden nicht fremd ist, müssen ihre Lehrveranstaltung aber nicht grundsätzlich in Frage stellen. Denn dieses Verhalten bedeutet nicht, dass Ihre Lehrveranstaltungen von geringer(er) Qualität sind. Es soll auch nicht unterstellt werden, dass Ihnen die Studierenden nicht wichtig wären. Vielmehr wird dadurch sichtbar, dass nicht immer ein Verständnis für die komplexen Lebenslagen und Bedürfnisse der Studierenden vorhanden ist. Hier braucht es Sensibilisierung der Lehrenden, denn die Lebensrealitäten von Studierenden sind zwar häufig andere als die der Dozierenden, aber keineswegs weniger komplex. Beispielsweise sind zusätzliche Jobs zur Finanzierung des Lebensunterhalts keine Seltenheit – auch wenn BAföG bezogen wird (siehe dazu “Alternativer Bafög-Bericht der DGB Jugend”). Darüber hinaus geht auch der BAföG-Bezug an sich mit bürokratischem Aufwand und stresserzeugenden Fristen einher (Student*innen über BAföG).
Auch die Neugestaltung des Lebensalltags, neue soziale Strukturen und ehrenamtliches Engagement sind Themen, die für die Studierenden in ihrer Bedeutsamkeit dem Studium gleichgestellt sind. Darüber hinaus sehen sich Lehramtsstudierende oftmals einer herausfordernden Studienorganisation gegenübergestellt, wenn mehrere kaum oder gar nicht aufeinander abgestimmte Studienbereiche studiert werden. Nicht nur Karl, sondern vielen anderen Studierenden bleibt oft keine andere Wahl, als pragmatische Entscheidungen zu treffen. Studium in Regelstudienzeit und gleichzeitig eine ausgewogene Work-Life-Balance sind nur mit Opportunitätskosten umsetzbar. Mehr dazu erfahren Sie im Fall „Bestehen reicht denen …“.
All diese Dinge tragen dazu bei, dass Dozierende das Gefühl haben, die Studierenden interessiert nichts. Wie Frau K., versuchen Dozierende dann mithilfe vielfältiger Materialien Interesse und Motivation zu erzeugen. Doch Passfähigkeit und damit Motivation, entsteht nicht allein durch vielfältige Angebote. Das Material kann nicht an den Bedürfnissen der Lernenden ausgerichtet werden, wenn Kenntnisse über deren Interessen, Lebenswelten und Aneignungsvorlieben fehlen. Lesen Sie mehr dazu im Fall “Keine Praxisrelevanz”. Um ein Verständnis für die Lebenswelten entwickeln zu können, bietet der Fundus Informationen unter dem Reiter Verstehende Perspektive.
Auch wenn im beschriebenen Fall die Gestaltung von Material keinen Erfolg zeigen konnte, ist der Ansatz durchaus bedeutsam, denn wird das Material an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst, kann auch Interesse geweckt werden. Impulse für eine heterogenitätssensiblen Gestaltung von Materialien bietet der Fundus unter Differenzierung.
Ist es die Aufgabe der Dozent*innen, die Studierenden zu motivieren?
Aus einer inklusionssensiblen Haltung zu Lehre, muss diese Frage mit „Ja“ beantwortet werden. Dabei geht es nicht darum, die Studierenden von der eigenen Themen- oder Medienwahl zu überzeugen. Vielmehr müssen die ausgewählten Themen bereits bedeutungsvoll für die Studierenden sein. Denn Motivation braucht ein Motiv zur Auseinandersetzung. Dieses Motiv kann erst durch Anschlussfähigkeit zu persönlichen Interessen sowie durch individuelle Handlungsspielräume ausgebildet werden (Jantzen 2010: 50). Das bedeutet, damit Lernende motiviert sind, muss das Thema ihren Bedürfnissen entsprechen und gesamtgesellschaftliche wie berufsspezifische Anschlussstellen aufzeigen (Steffens 2019: 41). Im Fall von Karl gelingt dies jedoch nicht. Gerade die fachwissenschaftlichen Inhalte sind nicht immer zugänglich für ihn, da er nicht alle Module besucht, wie die fachwissenschaftlichen Studierenden. Erschwerend hinzu kommt, dass er aufgrund von Überschneidungen und verschiedenen privaten Umständen nicht immer die Veranstaltungen wählen kann, die seinen Interessen entsprechen. Stattdessen muss er Veranstaltungen besuchen, die sich in seinen Zeitplan integrieren lassen. Diese sind dann häufig nicht unmittelbar anschlussfähig an seine Bedürfnisse. Es gäbe also Veranstaltungen, für die er von Beginn an mehr Motivation mitbringen würde, die er aber nicht besuchen kann.
Hinzu kommt, dass ihm Austauschmöglichkeiten mit anderen Studierenden hinsichtlich der Bedeutung des Themas fehlen. Für gelingende Lernprozesse ist es jedoch unabdingbar, den Studierenden die Bedeutungsaushandlung hinsichtlich des Themas zu ermöglichen (Jugel, Steffens 2019: 95f). Mehr dazu können sie im Fall “Keine Praxisrelevanz” nachlesen. Ist kooperative Bedeutungsaushandlung möglich, können die Studierenden Motivation hinsichtlich der Auseinandersetzung entwickeln.
Da eine lebensweltorientierte Konzeptionierung von Seminaren und Vorlesungen ebenfalls Aufgabe von Dozierenden ist bietet der Fundus Impulse für eine solche Planung und Gestaltung unter “Lebenswelt einbeziehen”.
Wie hängt die Motivation der Lehrperson zusammen mit der Motivation der Lernenden?
Fehlt der Raum zum Aufbau von Sinn und Bedeutung, so entsteht nicht nur bei den Lehrenden das Gefühl, die Studierenden hätten kein Interesse und keine Motivation. Auch die emotionale Atmosphäre innerhalb der Gruppe kann darunter leiden. Mangelt es an Austauschmöglichkeiten, verstärkt dies Gefühle der Unsicherheit und Angst seitens der Lernenden. Sich mit den eigenen Ideen und Fragen in eine Lehrveranstaltung einzubringen, fällt ihnen dann zusehends schwer. Diese Dynamik führt infolge nicht selten dazu, dass die Stimmung immer mehr in den Keller sinkt. Das geht auch an den Dozent*innen nicht spurlos vorbei. Wie bei Frau K. kann die Motivation und Freude an der eigenen Lehre abnehmen. Stellt dies nicht in gewisser Form die eigene Arbeit in Frage? Wenn das Motiv der Dozent*in die Weitergabe von Wissen und Kompetenzen ist, dies jedoch nicht von Erfolg gekrönt zu sein scheint, dann ist das Motiv obsolet und damit auch die Motivation. Darum ist es wichtig, im kollektiven Austausch mit den Studierenden, die Konstruktion von Sinn und Bedeutung zu ermöglichen – auch für die eigene Motivation als Dozent*in. Wie Emotionen darüber hinaus Lern- und Entwicklungsprozesse beeinflussen, können Sie unter „Unangenehme Stimmung hier“ nachlesen. Außerdem bietet der Fundus Impulse zum Umgang mit Emotionen an sowie zu gelingender Beziehungsarbeit.
Warum scheinen Studierenden oftmals unmotiviert und desinteressiert?
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Habe ich mich entsprechend einer Verstehenden Perspektive mit den Lebenswelten der Studierenden auseinandergesetzt und die Erkenntnisse in meine Lehre einfließen lassen? Erfahren Sie dazu mehr unter "Lebenswelt einbeziehen".
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Weiß ich, ob und wie viele Lehramtsstudierende in meinen Veranstaltungen sitzen?
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Was könnten Studierende des Lehramts und der Fachwissenschaft voneinander lernen?
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Welche Relevanz könnte das Thema für die Studierenden der unterschiedlichen Studiengänge haben?
Informationen und Impulse dazu, wie Motivation geschaffen werden kann, finden Sie unter "Interesse wecken".
Ist es die Aufgabe der Dozent*innen, die Studierenden zu motivieren?
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Wie kann ich einen für alle gewinnbringenden Austausch zwischen Studierenden unterschiedlicher Studiengänge in meiner Veranstaltung anregen?
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Biete ich den Studierenden regelmäßig Raum zur gemeinsamen Diskussion mit ihren eigenen Fragen und Perspektiven zum Thema?
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Setze ich mich dafür ein, dass die Fragen aller Studierenden gleichermaßen den Veranstaltungen diskutiert werden?
Impulse wie Austausch und Diskussionen initiiert werden können, biete der Fundus unter "Kooperieren". Darüber hinaus wird mit der Open Space Methode ein Lehr-Lern-Format vorgestellt, das Kooperation, Lebensweltorientierung und Beteiligung der Studierenden ermöglicht.
Wie hängt die Motivation der Lehrperson zusammen mit der Motivation der Lernenden?
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Biete ich den Studierenden verschiedene Feedback- und Evaluationsmöglichkeiten (auch anonym)?
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Passe ich die Veranstaltung entsprechend der erhobenen Bedarfe an?
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Welche Möglichkeiten haben die Studierenden, die Veranstaltung mit ihren Fragen mitzugestalten?
Wie Sie gutes Feedback von den Lernenden einholen, können Sie unter "Feedback".
Erfahrungsfalle
Als dozierende Person sind Ihnen Zusammenhänge, Kontexe und Bedeutungen der Themen klar. Immerhin haben Sie sich seit vielen Jahren damit befasst. Studierende hatten diese Zeit noch nicht, und Dinge, die für Sie auf Grund von Erfahrung und Weiterbildung selbstverständlich sind, sind es für Studierende nicht. Tappen Sie hier nicht in die Erfahrungsfalle!
Wissensfalle
Wenn Sie als dozierende Person tief im Thema stehen, dann kann es vorkommen, dass Sachverhalten der notewndige Kontext fehlt. Das passiert, wenn Sie auf Grund Ihrer Erfahrung Zusammenhänge als so selbstverständlich annehmen, dass sie nicht gesondert besprochen werden. Dann sind Sie in die Wissensfalle gestolpert und die Studierenden haben Probleme, sich die Inhalte anzueignen.