Am Ende bleibt Nichts hängen
Herr K. ist seit 20 Jahren Lehrer am Gymnasium und unterrichtet hauptsächlich in Klassenstufe 7 bis 10. Verärgert stellt er in den letzten Jahren fest, dass die Lernenden immer weniger aufmerksam sowie motiviert sind und dem Unterricht oft nicht folgen. Herr K. versucht, seinen Unterricht umzugestalten. Er baut mehr Gespräche oder Partner*innenarbeit ein und visualisiert Begriffe häufiger. Diese Bemühungen verändern seine Wahrnehmung kaum und selbst aufwendig differenziertes Material führt zu keiner sichtbaren Verbesserung der Lernmotivation. Herr K. versteht nicht, warum die Schüler*innen so oft nicht verstehen oder vergessen haben, was in den vorherigen Stunden behandelt wurde. Rückfragen zu fachlichen Zusammenhängen sowie Begriffen häufen sich. Wenn sie aufmerksamer und interessiert wären, findet er, gäbe es diese Probleme nicht. Herr K. ist frustriert und fragt sich immer mehr, was mit den Schüler*innen los ist.
Luca geht in die 10. Klasse und ist gerne in der Schule. Dort sind alle ihre Freund*innen und ihre erste Partnerin. Auch formiert sich an der Schule gerade eine Fridays-for-Future-Gruppe, bei der sich Luca engagiert. Manchmal fällt es Luca schwer, sich im Unterricht zu konzentrieren und den Lehrpersonen aufmerksam zuzuhören. Gerade bei Herr K. ist Luca mit den Gedanken oft woanders. Herr K. steht die meiste Zeit nur vorn und referiert über das Stundenthema. Wenn es dann doch mal zur Gruppenarbeit kommt, weiß Luca oft nicht, was die Aufgabe ist. Immer häufiger versteht Luca Zusammenhänge oder Begriffe nicht und muss vermehrt nachfragen. Das ist ihr ziemlich peinlich, denn eigentlich war Luca immer gut in der Schule. Doch gerade hat sie so viele andere Fragen im Kopf und hat nicht das Gefühl, dass diese Fragen Platz im Unterricht haben oder mit den Lehrer*innen besprochen werden können.
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Warum scheint es, als hätten die Schüler*innen kein Interesse und als würden sie Unterrichtsinhalte immer wieder vergessen?
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Warum erzielt die Veränderung durch Herrn K. nicht die gewünschte Wirkung?
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Wie kann Herr K. mit der Situation konstruktiv umgehen und sie weniger persönlich nehmen?
Weiterführende Fragen:
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Was sind die Grundsätze erfolgreichen Lernen und Entwickelns? Lesen Sie dazu mehr unter Lernprozesse.
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Welche Wirkung hat es, wenn Lern- und Entwicklungsräume nicht als sicher und angstfrei von den Lernenden wahrgenommen werden? Mehr dazu lesen Sie im “Wohin mit den Emotionen?”.
Warum scheint es, als hätten die Schüler*innen kein Interesse und als würden sie sich die Unterrichtsinhalte nicht merken?
Die Vermutung, dass Schüler*innen bei fehlender Beteiligung wenig bis kein Interesse am Unterricht haben, liegt erst einmal nahe. Fehlende Beteiligung am Unterricht ist jedoch nicht grundsätzlich mit fehlender Lernbereitschaft gleichzusetzen. Vielmehr besteht das Problem darin, dass die Lebenswelt der Schüler*innen nicht an das Unterrichtsthema anschlussfähig ist (Steffens 2019: 41). Das Thema ergibt für sie dann einfach gesagt weder Sinn noch ist es bedeutsam (ebd.). Gelernt wird in diesem Fall vor allem, um in der nächsten Arbeit nicht durchzufallen und weniger aus eigenem Interesse (ebd). Folglich ist der Lernstoff der vorangegangenen Unterrichtsstunde auch nur bedingt abrufbar. Dabei ist der Anschluss an die Lebenswelt für gelingendes Lernen unverzichtbar, denn nur dann “wird Unterricht […] als sinnvoll wahrgenommen“ (ebd.).
Im Fall von Luca wird diese Problematik deutlich. Trotz ihrer Motivation, Neues zu lernen, kann sie dem Unterricht nicht immer folgen. Fragen und Themen aus ihrer momentanen Lebenswelt werden nicht aufgegriffen. Auch, wenn manche dieser Fragen auf Lehrende banal wirken, sind sie das für Schüler*innen nicht. Es sind wichtige Fragen im Prozess der eigenen Identitätsfindung. Welche Themen beschäftigen mich gerade? Was berührt mich emotional und warum? Wie kann ich mich mit den Themen des Unterrichts auseinandersetzen, wenn andere Fragen gerade drängender sind?
Werden diese Fragen ignoriert, befinden sich die Schüler*innen in einem ständigen Spannungsfeld. Auf der einen Seite stehen all die Fragen und Themen, die für sie wichtig sind und auf der anderen Seite der Schulstoff. Die eigene Lebenssituation ist dabei individuell bedeutsamer, als die Themen des Unterrichts. Nicht, weil Schüler*innen nichts lernen wollen, sondern weil ihre Fragen für die eigene Lebensgestaltung und Weiterentwicklung bedeutsamer sind.
Es ist also wichtig, diese Themen und Fragen aufzugreifen. Nicht nur, weil es Lern- und Entwicklungsprozesse anstoßen kann, sondern auch, weil diese Fragen wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung sind. Da Schule als wichtige Sozialisationsinstanz betrachtet werden muss, kann und darf sie diese Fragen und Themen nicht ignorieren.
Um die Lebenswelt in die Unterrichtsplanung einzubeziehen, braucht es die Übernahme einer Verstehenden Perspektive. Materialien dazu finden Sie unter dem Reiter “Verstehende Perspektive”. Impulse wie Unterricht so gestaltet werden kann, dass die Lernenden Sinn entwickeln können, finden Sie unter „Interesse wecken“.
Warum erzielt die Anpassung durch Herrn K. nicht die gewünschte Wirkung?
Wenn über fehlende Passfähigkeit des Lerngegenstandes gesprochen wird, so lautet der Lösungsvorschlag oft “Differenzierung des Materials”. Dieser Ansatz ist richtig, wird in der Umsetzung aber oft fehlinterpretiert. Die Differenzierung des Materials wird häufig nur entlang des Gegenstandes gedacht. Eine verbreitete fehlerhafte Annahme ist, dass alle Lernenden einen Zugang finden, solange der Lerngegenstand differenziert genug dargeboten wird - das heißt beispielsweise, dass zum gleichen Inhalt drei Arbeitsblatt-Versionen zur Verfügung stehen. Verschiedene Quellen, unterschiedliche Komplexitätsgrade der Aufgabenstellungen oder vielfältige Medien sind oftmals Variationen in der Differenzierung. Selten werden dabei aber die spezifischen Perspektiven der Schüler*innen, sowie Fragen hinsichtlich ihrer individueller Interessen, Lebenswelt sowie der Art und Weise, wie sich Neues angeeignet wird, einbezogen. Eine Differenzierung, die nicht von den Lernenden aus gedacht wird und diese nicht in der Wahl der Aneignungsebene einbezieht, ist dann wenn überhaupt nur zufällig anschlussfähig. Somit kann differenziertes Material allein Probleme hinsichtlich der Passfähigkeit oder dem Fehlen von Sinn und Bedeutung nicht lösen. Was an einem nicht-passfähigen Gegenstand angeeignet wird und wie sich dies auf Lern- und Entwicklungsprozesses auswirken kann, können Sie unter „Ich versteh nur Bahnhof“ nachlesen. Impulse für eine gelingende Differenzierung des Gegenstandes finden Sie im Fundus unter „Differenzieren“.
Wie kann Herr K. mit der Situation konstruktiv umgehen und sie weniger persönlich nehmen?
Die Planung und Gestaltung von Unterricht und entsprechender Materialien ist Teil jeder Lehrtätigkeit. Handlungsleitend für Lehrende ist dabei immer das Motiv, dass Schüler*innen Neues lernen können und sich weiterentwickeln. Fehlt jedoch die Passfähigkeit zwischen den einzelnen Lernenden und dem Lerngegenstand, verhindert dies nicht nur Lernprozesse, es entsteht auch Frustration auf allen Seiten: Die Lernenden haben eventuell das Gefühl, nichts zu verstehen, ziehen sich zurück oder machen andere Dinge, „die stören“ (Erfahren sie dazu mehr unter “Störungen neu deuten”.)
Die Lehrenden ihrerseits reagieren frustriert, wenn sie das Gefühl haben, die Lernenden seien desinteressiert. So, wie Herr K., dessen Bemühungen keinen Erfolg haben, haben Lehrende dann das Gefühl, ihre Bemühungen werden von den Lernenden nicht wertgeschätzt. Diese Spirale kann ohne Austausch nicht aufgelöst werden. Und - wie im Fall - verstärken sich die jeweiligen Wahrnehmungen nur weiter. Das stört die Lernprozesse, wie auch die Lernatmosphäre und wirkt sich negativ auf die Beziehungen zwischen Lernenden und Lehrenden aus. Lesen Sie mehr zum Einfluss gestörter, pädagogischer Beziehungen auf Lernprozesse im Fall “Keine Kontinuität”. Für gelingende Lernprozesse bedarf es demnach der Ausrichtung des Gegenstandes an den Bedarfen der Lernenden. Unter dem Reiter Verstehende Perspektive bietet der Fundus Impulse, wie Lehrpersonen Erkenntnisse hinsichtlich der Bedürfnisse der Lernenden gewinnen können. Weiterhin bietet der Fundus unter Mit Emotionen umgehen Material zum gelingenden Umgang mit Emotionen im Lernprozess. Und unter Beziehung gestalten finden Sie Informationen zum Aufbau von guten Beziehungen zu den Lernenden.
Warum scheint es, als hätten die Schüler*innen kein Interesse und als würden sie sich die Unterrichtsinhalte nicht merken?
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Gebe ich den Lernenden das Gefühl, mich für ihre Fragen und Themen zu interessieren?
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Bemühe ich mich darum, Wissen über die aktuelle Lebenswelt, momentane Interessen und Aneignungsvorlieben der Lernenden zu erhalten?
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Welche Möglichkeiten haben die Lernenden, ihre eigenen Fragen und Themen in den Unterricht einzubringen?
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Welches Verständnis von Lernen liegt meiner Planung von Lehr-Lern-Settings zugrunde?
Lesen Sie mehr zum Themen Lebenswelt und wie Sie diese in die Gestaltung einbeziehen können unter "Lebenswelt einbeziehen".
Warum erzielt die Anpassung durch Herrn K. nicht die gewünschte Wirkung?
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Differenziere ich Themen, Materialien etc. anhand der individuellen Interessen, Aneignungsvorlieben, den Lebenswelten sowie dem Vorwissen der Lernenden? Impulse wie das gelingen kann, bietet der Fundus unter "Differenzieren".
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Beziehe ich das Wissen über die Lernenden direkt von den Lernenden? Dazu finden Sie im Fundus unter "Verstehende Perspektive" nicht nur Einführende Erläuterungen, sondern auch Fragenimpulse für die eigene Lehre.
Wie kann Herr K. mit der Situation konstruktiv umgehen und sie weniger persönlich nehmen?
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Habe ich die Lernenden mal gefragt, warum ihnen Lernen manchmal schwer fällt?
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Gebe ich den Lernenden die Möglichkeit, offen oder anonym Feedback zu geben?
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Beziehe ich dieses Feedback in die Gestaltung des Unterrichtes ein?
Lesen Sie mehr dazu unter "Feedback".
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Trete ich mit Kolleg*innen in Austausch, um für mich emotional herausfordernde Situationen besprechen und reflektieren zu können?
Anregungen für einen gelingenden Austausch mit Kolleg*innen finden Sie unter "Kollegiale Fallberatung".
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Berücksichtige ich dieses Wissen in der Planung und Ausgestaltung meiner Lehre?
Wissensfalle
Wenn Lernende zunehmend Probleme haben, sich Zusammenhänge zu merken, dann liegt dies möglicherweise an fehlenden Kontexten. Visualisierung von Begriffen ersetzen nicht, die fehlende Kontextualisierung, ohne die Lebensweltezug und Verinnerlichung nicht möglich sind. Seien Sie wachsam und tappen nicht in die Wissensfalle.
Erfahrungsfalle
Lernenden ist nicht immer klar, welche Bedeutung ein Thema für sie hat oder haben wird. Wenn Sie auf Grund Ihres über viele Jahre erworbenen Wissens den Lernenden für diese Aushandlung keinen Raum geben, tappen Sie schnell in die Erfahrungsfalle. Die Lernenden hatten noch nicht die gleiche Zeit wie Sie, um sich Wissen oder Bedeutungen von Themen anzueignen.