11.12.2023
Queere Identitäten und Schule – (k)ein Thema?
Gibt es wirklich schon in der Grundschule Erfahrungen mit Homophobie und Transfeindlichkeit? Wie wichtig ist es, sich mit queeren Identitäten in der Primarstufe auseinanderzusetzen? Wo finden betroffene Eltern, Kinder und Lehrkräfte Hilfe? Darüber verständigten sich Seiteneinsteiger:innen, Dozierende, Vereine und eine Vertreterin der Lehrerausbildungsstätte am 07.12.2023 einen ganzen Tag lang im Rahmen verschiedener thematischer Workshops.
Dass dieser Workshop-Tag überhaupt stattfinden konnte, ist vor allem dem Team BQL-GS der berufsbegleitenden Qualifizierung von Lehrkräften zu verdanken. Dazu gehören die Dozierenden des Grundschulteams, aber auch BQL.Digital. Sie haben den Preis für die diversitätssensible Lehre der TU Dresden 2023 gewonnen und konnten damit die Idee des Tages und eingeladene Vereine, wie den Gerede e.V. und die LAG Queeres Netzwerk Sachsen, unterstützen.
Der Workshop-Tag zum Thema: „Queere Identitäten und Schule“ begann mit einer Einordnung der Diversitätsdimensionen „Geschlecht“ und „Sexualität“ in die Diversitätsstrategie 2030 der TU Dresden durch Dr. Peggy Germer. Sie betonte, dass Vielfalt als schulisches Querschnittsthema in Leitbildern, Lehrplänen und Lehr-Lernmaterialien zu verankern sei. Häufig fehle es jedoch an einer sensiblen Wahrnehmung der unterschiedlichen Facetten von Vielfalt, um konsequent gegen Diskriminierung einzuschreiten.
Britta Borrego von der Landesarbeitsgemeinschaft Queeres Netzwerk Sachsen legte in dem nachfolgenden Workshop begriffliche Grundlagen zur Geschlechtsidentität, zum Geschlechtsausdruck, zur sexuellen Orientierung und zu körperlichen Merkmalen bzw. zum biologischen Geschlecht. Damit war es für alle Anwesenden möglich, den intensiven und zum Teil sehr emotionalen Diskurs fachsprachlich fundiert zu begleiten. Britta Borrego verwies darauf, dass das Coming out von Grundschulkindern ernst zu nehmen sei und verwies auf Erkennungsmerkmale. Nach dem theoretischen Input berichtete sie von Erfahrungen. So erzählte sie von einem Kind, welches sich weder als Junge noch als Mädchen identifizierte und daher in der Pause auf die Behindertentoilette der Schule gehen sollte. Den Schlüssel dazu hatte jedoch nur eine Lehrkraft an der Schule. War diese Lehrkraft nicht anzutreffen, konnte das Kind nicht zur Toilette. Um sich dieser unangenehmen Konfrontation nicht mehr auszusetzen, trank das Kind über Wochen und Monate nichts mehr. Eine chronische Blasenentzündung war die Folge.
Liam Rogall und Anne-Marie Tombrägel (Gerede e.V.) erfragten in ihrem Workshop Erfahrungen von Seiteneinsteiger:innen zur Situation von queeren Schüler:innen an Grundschulen. Es entstand eine lebhafte Diskussion, wie queere Kinder, aber auch schwule oder lesbische Eltern in und von der Schule wahrgenommen werden. Durch die Buchvorstellung „Raffi und sein pinkes Tutu“ (Riccardo Simonetti) gaben beide Vortragende des Gerede e.V. einen Einblick in ihre mitgebrachte „Glitzerkiste“ und zeigten auf anschauliche Weise einen kindgerechten Zugang zu Vielfalt im Grundschulalter. Beide Vereine verwiesen darauf, Ansprechpartner:innen für sächsische Schulen zu sein.
In nachfolgenden Diskussionsrunden ging es um eine Vertiefung zu queeren Identitäten durch Martin Helbig (Weiterbildungsteilnehmender BQL GS). Die nicht zu unterschätzende Relevanz von gendergerechter Sprache z.B. für die spätere Berufswahl wurde durch Aurica Borszik (Dozentin BQL GS) mit filmischen Beiträgen untermauert. Gendergerechte Lehrmittel thematisierte Dr. Anja Mede-Schelenz (Dozentin BQL GS), die feststellte, dass in den Lehr-Lern-Materialien das Thema kaum berührt wird. Dr. Melanie Wohlfahrt (Dozentin BQL GS) bot einen offenen Gesprächsrahmen zum Thema: Queere Identitäten: Was geht mich das an? Die Diskussionsrunden waren sehr gut besucht. In den Pausen konnten die Weiterbildungsteilnehmenden einen Rundgang entlang des Gender-Alphabetes unternehmen und ihr Wissen ausbauen.
Ein besonderer Höhepunkt des Tages war die Podiumsdiskussion, welche von Ante Beslic (ZLSB) moderiert wurde. Gäste des Podiums waren die beiden eingeladenen Vereine, Martin Helbig und Doris Kästner von der Ausbildungsstätte. Im Fokus stand unter anderem, wie eine Schule zu einem sicheren Ort für queere Identitäten wird.
Resümierend kann festgestellt werden, dass die Debatte um queere Identitäten erst ganz am Anfang steht. Sie sollte phasenübergreifender Ausbildungsbestandteil sein, um Vielfalt in der Schule sichtbar zu machen, Fälle von Diskriminierung anzusprechen und Empathie anzuregen.
Ansprechpartnerin: Peggy Germer (peggy.germer@tu-dresden.de)