"Ich will mitmachen!"
Vier Schüler*innen bearbeiten gemeinsam eine rätselhafte Aufgabe (ähnlich eines Escape Room-Spiels). Ein Schüler wird als Vorleser der Anleitung bestimmt. Er äußert sofort erste Ideen, die aber von den anderen nicht weiterverfolgt werden. Sie besprechen eher zu dritt, ohne den vorlesenden Schüler, weitere Ideen. Der Schüler hört den Ideen der anderen zu und kommentiert mehrmals. Die Dreier-Gruppe kommt so Schritt für Schritt dem Ziel näher, der vierte Schüler lehnt sich gegen Ende des Spiels mit verschränkten Armen zurück. Während der restlichen Rätselzeit bleibt er in dieser Körperhaltung und verbalisiert mehrmals, dass die anderen das nicht können und sie auf ihn hätten hören sollen. Am Ende des Rätsels wird ihnen bewusst, dass sie eine Truhe im Klassenraum suchen müssen. Alle vier Schüler:innen suchen (wie es scheint aufgeregt) die Truhe. Als eine Schülerin die Truhe findet laufen alle zu ihr. Der Schüler, der am Anfang vorgelesen hat, versucht ihr die Truhe zu entreißen. Die anderen drängen ihn weg und sagen, dass er weggehen soll. Daraufhin beginnt er schreiend zu sagen, dass die anderen eh alles falsch gemacht hätten. Ihm kommen Tränen und er beginnt gegen Stühle zu treten. Die Lehrer*in greift ein. Die anderen drei Schüler*innen reagieren nicht und betrachten zu dritt den Inhalt der Truhe.
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Wieso verhält sich der Schüler (so schnell so) aggressiv?
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Warum sind selbst die Emotionen des Schülers den anderen egal?
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Warum wird der Schüler von Anfang an von den anderen Schüler*innen ignoriert und ausgeschlossen?
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Inwiefern und wie sollte Kooperation vorbereitet werden?
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Wie hätte der Schüler kooperativ in das Spiel eingebunden werden können?
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Wie ist der Umgang der Lehrperson mit dem Schüler einzuschätzen/ einzuordnen? → Welche Lehrperson? bzw. Warum findet in dem Fall keine Lehrperson statt?
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Welche Dinge müssen vor solchen Gruppen-Settings geklärt werden? Könnten klare Rollenverteilungen das Problem lösen?
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Warum arbeiten ausgerechnet diese vier Schüler*innen zusammen?
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Warum merkt keine Lehrperson, dass die Gruppe nicht funktioniert?
Wieso verhält sich der Schüler (so schnell so) aggressiv?
Der Schüler hat in dem Fallbeispiel keinen Anknüpfungspunkt an die Gruppe: Weder hat er eine Bezugsperson (eine*n Freund*in), noch kommt er über den Inhalt mit den anderen in einen Austausch. Für ihn ist dadurch (und wahrscheinlich noch aus anderen Gründen), eine isolierende Bedingung (Jantzen XXX) entstanden: Für ihn ist ein “zu wenig” an Bindung und Information in der Gruppenarbeit gegeben. Er ist nicht im Austausch mit den anderen. Er kompensiert den fehlenden Austausch zuerst mit innerem Rückzug (lehnt sich zurück, verschränkt die Arme) und später mit aggressivem Verhalten (tritt gegen Stühle). Das Verhalten ist also nicht negativ zu bewerten, sondern stellt die bis dahin gelernte Strategie dar, mit dem fehlenden Austausch umzugehen. Lehrpersonen können diese Verhaltensweisen als ein Signal deuten, dass für den Schüler lernhinderliche Bedingungen entstanden sind. Diese gilt es bei der nächsten Gruppenarbeit zu vermeiden und Caspar einen konstruktiven Umgang mit seinen Emotionen näherzubringen.
Wie eine lernförderliche Umgebung für Caspar geschaffen werden kann, kann mittels pädagogischer Beobachtung und Gesprächen mit Caspar herausgefunden werden. Welche Beobachtungsschwerpunkte und Fragen dabei hilfreich sein können, lesen Sie im Fragenkatalog im Sinne einer Verstehenden Perspektive.
Darüber hinaus lohnt sich ein Blick in das Kapitel “Kommunizieren in Konfliktsituationen”.
Warum sind die Emotionen des Schülers den anderen egal?
Es ist anzunehmen, dass die anderen Schüler*innen keinen geeigneten Umgang mit den Emotionen des Schülers (oder allgemein mit den Emotionen anderer Kinder) erlernt haben. Fragen wie “Was mache ich, wenn ein anderes Kind aggressiv wird/anfängt zu weinen/nicht mehr spricht/sich (absichtlich) verletzt?” können sie noch nicht beantworten. Lehrpersonen sollten hier einen Auftrag sehen, den Umgang mit Emotionen innerhalb einer (Lern-)Gruppe zu moderieren. Lesen Sie unter dem Reiter “Mit Emotionen umgehen”, wie das umgesetzt werden kann.
Warum wird der Schüler von Anfang an von den anderen Schüler*innen ignoriert und ausgeschlossen?
Das kann viele Gründe haben:
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Die anderen Schüler*innen haben noch nie/wenig mit Caspar zusammengearbeitet. Sie als Dreiergruppe kennen sich schon, wissen, wer welche Fähigkeiten hat und wie sie miteinander umgehen können/müssen. Über Caspar wissen sie nicht, welche Stärken er hat und wie er sich in die Gruppe einbringen kann. Erfahren Sie unter “Kooperation der Lernenden”, wie Sie Gruppenbildungsprozesse initiieren können.
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Die Gruppe hat (noch) keine Gruppenidentität aufgebaut.
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Es gibt keine Rollen- oder Aufgabenverteilung: Wer übernimmt welche Aufgabe? Welche Gesprächsregeln gibt es?
Die Aufgaben lassen keine soziale Interdependenz zu. Das Ziel wird auch erreicht, wenn nicht alle zusammenarbeiten.
Offenheits-Falle
Offene Lehr-Lernformate bieten viele Vorteile. Nichtsdestotrotz brauchen Lernende Struktur, Anleitung und eine*n ‘kompetente*n Andere*n’, damit Lernen in der Zone der nächsten Entwicklung möglich wird. Auch Kooperations muss gelernt werden und darf bei Lerngelegenheiten, die kooperativ ausgelegt sind, nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden.