Diplom – Was nun?
Von Achim Mehlhorn
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Bitte Ihres Dekans an mich, auf Ihrem Tag der Fakultät zu sprechen, bin ich nicht ohne Zögern nachgekommen. Ich war mir einfach nicht sicher, ob Jemand, der zwar für einige Jahre an die Spitze der Universität gewählt worden war, seine Alma Mater aber schon seit mehr als 5 Jahren aus Altersgründen verlassen hat, noch Botschaften vermitteln kann, die besonders Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen, im Lebenskampf stützen können. Die Entwicklung geht ja sehr schnell und ebenso schnell relativiert sich Erfahrung. Aber letztlich war seine Überzeugungskraft stärker, als mein Zaudern. So bin ich denn hier und schicke ein herzliches Begrüßungswort an Sie Alle! ... Ihnen, liebe Absolventinnen und Absolventen, die Sie nachher zu Diplom-Ingenieuren gekürt werden sollen, gelten mein besonderer Gruß und mein herzlicher Glückwunsch. An Sie richte ich zu allererst meine Gedanken und Thesen.
Ab heute dürfen Sie sich auch offiziell „Diplom-Ingenieur“ nennen. Das ist schon eine Zäsur in Ihrem jungen Leben. Denn schließlich ist Ihnen dieser Titel zur Berufsfähigkeit und Berufsfertigkeit nicht in den Schoß gefallen. Fünf Jahre oder etwas mehr angestrengten Studiums, Triumphe und Rückschläge, Stunden der fabulierenden Träume und Stunden der schwarzen Niederlagen liegen hinter Ihnen und haben Sie geprägt, haben Sie ernster und erfahrener gemacht und – so wünsche ich mir das zumindest – haben Sie vorbereitet, Verantwortung zu übernehmen: für sich selbst, für andere Menschen und für die zeit- und sachgerechte Realisierung von Projekten.
[Gelöschtes Bild: /die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/ordner_pressemeldungen/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/bilder/th_IMG_4280.jpg Alternativtext: Bildunterschrift: ] Rede von Ehrensenator Prof. Mehlhorn am Tag der Fakultät Bauingenieurwesen im Dülfer-Saal
Diplom-Ingenieur sind Sie jetzt. Aber das ist eher der Anfang eines neuen Weges. Was wird er Ihnen bringen?
Nun, zu allererst können wir ohne Umschweife feststellen: Sie haben den Titel an einer hervorragenden Universität und einer hoch renommierten Fakultät erworben. Die Fakultät Bauingenieurwesen geht bis auf die Ursprünge der Technischen Bildungsanstalt Dresden zurück. Man kann sagen, seit mehr als 180 Jahren werden in Dresden Baufachleute ausgebildet. Hervorragende Persönlichkeiten, wie Andreas Schubert, Otto Mohr, Hubert Engels, Friedrich Wilhelm Neuffer und Kurt Beyer – um nur einige zu nennen – haben den Namen der Dresdner Fakultät weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinausgetragen. Diese Ingenieure der Vergangenheit gehören heute zu den Säulenheiligen der TU Dresden. Und eine solche Tradition zieht auch immer wieder gute Fachleute an. So ist auch der heutige Lehrkörper Ihrer Fakultät hervorragend und erfreut sich des uneingeschränkten Respekts der Fachwelt. Sie haben also sehr gute Lehrer gehabt und können – wenn Sie mit hinreichendem Ernst studiert haben – gründlich vermitteltes, solides Fachwissen mit hinüber nehmen in Ihre berufliche Karriere.
Und noch ein anderes, ebenso wichtiges und positives Zeichen ist offenkundig: Sie werden dringend gebraucht! Die nach der Wirtschaftskrise wieder anspringende Konjunktur macht es besonders deutlich: In Deutschland wachsen zu wenig Ingenieure nach. Selbst im Krisenjahr 2009 entgingen der deutschen Volkswirtschaft etwa 3 Milliarden Euro an Wertschöpfung, weil qualifizierte Stellen nicht besetzt werden konnten. Nach Angaben des VDI und des Instituts der Deutschen Wirtschaft fehlen schon heute 36.000 Ingenieure in Deutschland – eine Zahl, die sich in den kommenden 5 Jahren deutlich erhöhen wird. Auf 1000 erwerbstätige Ingenieure kamen in Deutschland 2007 nur 35 Absolventen. Das ist auch im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern wie Spanien und Italien, die ja auch unter den gleichen demographischen Problemen leiden, zu wenig. Immerhin betragen die Zuwächse dort 90 bzw. 147 Absolventen auf 1000 Ingenieure. So schwierig dies für ein innovations- und exportorientiertes Land wie das Unsere sein mag – für Sie ist es gut.
[Gelöschtes Bild: /die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/ordner_pressemeldungen/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/bilder/th_IMG_4274 Alternativtext: Achim Mehlhorn Bildunterschrift: ]Prof. Dr. Achim Mehlhorn
Allein durch ihr Energieprogramm hat die Bundesregierung eine langfristige Perspektive öffentlicher und privater Aufträge für Ihre Branche geschaffen. Von den Großprojekten der Windparkanlagen im Küstenshelf bis zum solarthermischen Desertec-Projekt in Nordafrika und der Arabischen Halbinsel, das sich später, aber noch zu Ihren Lebzeiten, mit Sicherheit auch auf die sonnenheißen ariden Regionen Zentralasiens und Lateinamerikas erweitern wird, von weiteren Anlagen zur Nutzung der Wasserkraft bis zu regionalen Geothermie- und Biogasanlagen gibt es unendlichen Baubedarf, der auf Grund des absehbaren Ressourcenschwundes fossiler Energieträger zwangsläufig auch abgerufen werden wird. Die kostengesteuerte Kampagne zur Energieeinsparung wird zu zigtausenden Aufträgen zur Gebäudedämmung und zur Integration von energieerzeugenden Elemente in Neubauten führen. Die Sanierung der Altbausubstanz, sowie Wartung und Ausbau der Infrastruktur bleibt eine Aufgabe, die nie endet. Wartung und Ausbau der Verkehrswege wird auch für neue Generationen von Fahrzeugen dringend notwendig sein. Ich könnte diese Reihe noch lange fortsetzen. All dies sind potentielle Arbeitsgebiete für Sie, die Sie mit Ihrem jugendlichen Schwung, aber auch mit neuen Baustoffen und neuen Technologien beackern müssen, die Sie jedoch auch in Ihrem Arbeitsleben niemals werden abschließen können.
Im Verlaufe Ihres Studiums haben Sie ein umfängliches Fachwissen und viele Fertigkeiten gespeichert. Werden Sie alles immer brauchen?
Es ist noch nicht lange her, da sagte mir ein Ingenieur von etwa 50, also mit langer Berufspraxis, dass er von dem, was er in grauer Vorzeit auf der Universität gelernt habe, höchstens 20% wirklich benutzen musste. Das war natürlich mit der Schlussfolgerung verbunden, man könne auf dieser Erfahrungsgrundlage die Lehrpläne gründlich entrümpeln und nur das übrig behalten, was für den praktisch tätigen Ingenieur unverzichtbar sei.
[Gelöschtes Bild: /die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/ordner_pressemeldungen/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/bilder/th_IMG_4264 Alternativtext: Achim Mehlhorn Bildunterschrift: ]Prof. Dr. Achim Mehlhorn
Es gibt für mich zwei Gründe, weshalb ich einen solchen Vorschlag – bei aller Sympathie für modernisierte Studienpläne – für unzulässig und nicht seriös halte:
Erstens, eine Universität bildet nicht für eine bestimmte Firma oder für eine individuelle Berufsbiographie aus, sondern für das riesige Betätigungsfeld von Bauingenieuren. Dieses Feld ist sehr groß. Es reicht von der Bodenmechanik über Statik und Festigkeitslehre, von der Konstruktion über die Baubetriebswirtschaft, vom Massivbau zum Stahl- und Holzbau, vom sachkundigen Einsatz neuer Baumaterialien bis zur Bauökologie, von der denkmalgerechten Sanierung bis zum Neubau. In all diesen Feldern könnten Sie Ihre künftige berufliche Heimat finden. Das bedeutet aber, der universitäre Ansatz eines Diplom-Ingenieurs oder eines Masters of Engineering – keine Angst, ich will mich an diesem akademischen Disput heute nicht beteiligen, mir geht es um Inhalte, nicht um Namen – der universitäre Ansatz also muss ein generalistischer sein. All die genannten Gebiete müssen Ihnen nahegebracht werden und bei Anforderung abrufbar sein. Sie sind als generalistisch ausgebildete Absolventen vielleicht nicht sofort, aber nach geringer Einarbeitungszeit für jedes Gebiet Ihrer Branche einsetzbar. Sie besitzen darüber hinaus die Umsicht und Kenntnisse über die Überlappungen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Gebieten. Sie sind kein enger Spezialist, Sie können einordnen in Zusammenhänge und sind durch Analogieschlüsse fähig zu Kreativität und Innovation.
Zweitens: Studium ist auch Training des Gehirns. Anhand von Fakten und Faktenkombinationen, die vielleicht in Ihrem Berufsleben eine eher untergeordnete Rolle spielen, haben Sie durch Ihr Universitätsstudium wichtige generelle Fähigkeiten erworben: Wie analysiere ich Probleme, wie verschaffe ich mir Wissen, was mir fehlt, wie systematisiere ich ein komplexes Problem und gliedere seine Lösungsstrategie in Teilaufgaben, wie diszipliniere ich mich selbst, worauf kommt es an und wie kann ich Wichtiges vom Unwichtigen unterscheiden?
[Gelöschtes Bild: /die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/ordner_pressemeldungen/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/bilder/th_IMG_4263 Alternativtext: Achim Mehlhorn Bildunterschrift: ]Prof. Dr. Achim Mehlhorn
Das, meine Damen und Herren, sind Fähigkeiten, die über Fakten, mit Hilfe derer sie erworben wurden, weit hinausgehen und die natürlich auch den Kollegen mit der 20%-Bilanz geformt haben. Wer einmal mit Mathematik, mit Logik, mit Informationstechnik, mit der Methodik des wissenschaftlichen Denkens Kontakt gehabt hat und durch Prüfungen veranlasst wurde, sich darauf einzulassen, wird diese Methodik, diese Herangehensweise nie mehr aufgeben. Wer nur Fallbeispiele lernt, wird immer feststellen, dass in der Berufspraxis gerade der Fall eintritt, der im Studium nicht dran war.
Die Formung der Persönlichkeit im Hinblick auf Fachwissen und das Können im Fach ist entscheidend für Ihren anspruchsvollen beruflichen Erfolg. Beides wird Sie tragen und wird Sie Auswege aus Situationen finden lassen, in denen Andere resignieren. Ich möchte sie daher ermutigen, Ihr Wissen auch wirklich abzurufen und es kreativ zu kombinieren, nach vorn, aber auch quer zu denken!
Aber für eine kompetente Berufsausübung sind neben dem Fachwissen noch andere Fähigkeiten notwendig und nicht minder wichtig, die ein guter Bauingenieur mit Universitätsdiplom benötigt. Diese Fähigkeiten, über die ich jetzt sprechen will, kann man nur unvollkommen und indirekt im Studium erwerben. Denn hier an der Universität, sind Sie in der Masse marschiert, sind Sie – trotz aller studentischen Feten, von denen man auch noch 50 Jahre später schwärmt – vorrangig für sich selbst verantwortlich gewesen.
Aber jetzt steht zu hoffen, dass Ihnen innerlich etwas klar geworden ist: Jetzt müssen Sie führen lernen! Dazu gehört:
- Die geistig strategische Führung im Rahmen eines Projekts, eines Bauvorhabens zu übernehmen, aber auch
- Die Fähigkeit zu haben, ein Bündel von Aufgaben zu entwirren und sie wohlproportioniert auf Mitarbeiter aufzuteilen, also Arbeitsanweisung zu geben und die Teilergebnisse zu einem Gesamtergebnis zusammenzuführen.
Diese Fähigkeit – neudeutsch „Leadership“ genannt – ist der Fachqualifikation ebenbürtig und besteht aus einer inneren und einer äußeren Komponente.
[Gelöschtes Bild: /die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/ordner_pressemeldungen/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/bilder/th_IMG_4284 Alternativtext: Achim Mehlhorn Bildunterschrift: ]Zuhörer in der ersten Reihe: Dekan Prof. Rainer Schach und Prorektorin Prof. Ursula Schaefer
Jemand, der führen will, braucht Klarheit über die Ziele, die er erreichen will oder die ihm ein Projekt zu erreichen aufgibt. Normalerweise sind solche Ziele anspruchsvoll und in ihrer Erreichbarkeit keineswegs sicher. Die Erreichbarkeit zu realisieren, wird Ihre ganze Kraft fordern, Ihre Ausdauer, Ihre Leidenschaft und Ihren Mut brauchen. Als Ingenieure werden Sie entweder Konzepte für Bauten entwerfen, werden über geeignete Baumaterialien befinden oder die Konzepte zur Ausführung bringen – nicht nur grundsätzlich und vorsatzgenau, sondern auch in der geplanten Zeit. Nirgendwo gilt der Satz „Zeit ist Geld“ so uneingeschränkt wie in der Bauindustrie. Jeder Tag Verzug bei der Fertigstellung, kann soviel Geld kosten, dass die Existenzgrundlage Ihrer Firma berührt wird. Das führt wie selbstverständlich zu persönlichem Druck und zu Selbstzweifeln: ist der rechte Realisierungsweg eingeschlagen, bin ich umsichtig genug, um die Logistik zu beherrschen, damit alle Handlungsstränge zeitgerecht und zielorientiert zusammenlaufen, kann ich die täglichen Forderungen an meine Mitarbeiter richtig dosieren und mit Überzeugung richtig vermitteln?
Wer ohne solche Zweifel ist, verkennt entweder die Schwierigkeit der Aufgabe oder er überschätzt sich selbst. Um diese Zweifel besiegen zu können, müssen Sie belastbar sein, mit dem Zweifel leben lernen und ihn soweit zurückdrängen, dass er Sie nicht am Fortschreiten hindert. Ein Weg zu einem Ziel muss unterwegs modifiziert werden, nur leichte Ziele kann man von Beginn an durchplanen. Deshalb brauchen Sie Realismus zur Modifizierung, brauchen Sie feste Orientierung, aber keine dogmatische Verkrampfung in Details.
Führungsfähigkeit hat also innere Voraussetzungen, hat Persönlichkeit als Maß. Nervliche Belastungen aushalten, Spannungen auflösen, sich selbst organisieren, nicht ausweichen, keine dünnen Bretter bohren, wenn die Stunde des Forderns, des sich Beweisens schlägt. Aber das alles konnten Sie im Studium im Prinzip trainieren. Wer dort Hindernissen ausgewichen, Belastungsproben verschoben und sich mit Mittelmaß unterhalb seines wirklichen Leistungsvermögen begnügt hat, wird gerade diese Bedingungen einer Führung schwer erfüllen können. Das Lernen, unter Belastungen zu leben, ist eine treffliche Schule für verantwortungsvolle Tätigkeit, für zielorientierte Arbeit, die nicht nur Mühe, sondern auch Erfüllung ist. Sie ist zugleich mit der Einstellung verbunden, den Erfolg von Arbeit am erreichten Ziel, an den Ergebnissen und nicht etwa am Aufwand zu messen. Zielorientierte statt zeitorientierte Arbeit ist das gewünschte Ergebnis jedes Hochschulstudiums. Sich zu stellen und senkrecht zu bleiben, wenn es mal brenzlig wird.
Ich wünsche Ihnen, liebe Absolventen, dass Jeder und Jede in sich spürt: es ist im Verlauf der letzten Jahre eine neue Selbstgewissheit in mir entstanden. Ich kann heute nach meiner Diplomarbeit, Dinge schaffen, deren Bewältigung noch vor einem Jahr undenkbar erschien. Ich kenne Wege, wie man Ziele erreicht, die heute noch in nebulöser Ferne liegen. Ich habe den Mut loszulaufen.
[Gelöschtes Bild: /die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/ordner_pressemeldungen/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/bilder/th_IMG_4267 Alternativtext: Achim Mehlhorn Bildunterschrift: ]Prof. Dr. Achim Mehlhorn
Aber Führungsfähigkeit erweist sich ebenso im Umgang mit denen, die Sie führen wollen.
Niemand kann große Ziele allein erreichen. Die Geschwindigkeit des Fortschreitens erweist sich nicht zuletzt in der Fähigkeit, seine Untergebenen mitzunehmen, in der Kunst, eine Atmosphäre und Bedingungen zu schaffen, so dass jeder seine Kraft ungebremst in die Zielerreichung einspeisen will. Sie müssen sein, wie ein starkes Magnetfeld, das die ungeordneten Teilmagnete Ihrer Mitarbeiter in eine Richtung zwingt! In Ihre Richtung. Dazu müssen sie Ihre Ziele vermitteln können. Ihre Zielgewissheit muss ausstrahlen und andere für Ihre Ziele begeistern.
Dies ist oftmals der schwierigere Part. Vorleben und Haltung zeigen sind zwar wichtig, aber der Funke muss auch überspringen. Dazu sind die Fähigkeit zu kommunizieren, die Kraft zu überzeugen und das Talent, Aufgaben zu formulieren, sie aus dem Komplex heraus zu strukturieren und dann an die richtigen Leute zu vergeben, entscheidend. Ich habe im Laufe eines langen Berufslebens immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen geführt werden wollen und dass sie umso engagierter arbeiten, je besser sie sich eingeweiht fühlen und das zu erreichende Ziel kennen. Sie möchten eingeweiht und gefragt sein, auch wenn sie keine besseren Antworten auf Ihre Fragen wissen. Sie fühlen sich dagegen überfahren und treten automatisch in Opposition, wenn Sie Ihre Ziele ad hoc vorgeben. Jede Verdunklung von Zielen, jedes Streben des Führenden nach Geheimwissen führt zum Bewusstsein von Abhängigkeit, verführt zum Dienst nach Vorschrift, verschenkt wertvolle Eigeninitiative und lässt einen diffusen Erwartungsdruck auf Sie selbst zurückfallen. Autoritäre Führung baut auf Gehorsam. Sie schafft aber nur Anhänger und keine Partner.
Besser, höher stehend ist daher die kommunikative, demokratische Führung, das sich Bewegen in einer partnerschaftlichen Gemeinschaft selbständig Denkender. Das ist freilich der mühsamere Weg, der immer mit dem Vorwurf der „Führungslosigkeit oder der Führungsschwäche“ einhergeht. Es sagt keiner, wo es lang geht, sondern bietet nur Optionen. Man ist selbst aufgerufen, über den Weg mitzubestimmen. Das ist nicht jedermanns Sache. Ohne eigene Verantwortung geführt zu werden, ist doch viel bequemer! Das sind die Fleischtöpfe Ägyptens! Natürlich braucht auch dieser demokratische Führungsstil am Ende den Dreiklang: Ideensammlung – Beschluss zum Lösungsweg – Akzeptanz durch Alle. Unverbindlichkeit und Entscheidungsunsicherheit darf dieser Stil nicht bedeuten! Aber Vertrauen in die Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten zahlt sich aus. Wer vertraut, besteht.
[Gelöschtes Bild: /die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/ordner_pressemeldungen/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_bauingenieurwesen/fakultaet/bilder/th_IMG_4269 Alternativtext: Achim Mehlhorn Bildunterschrift: ]Prof. Dr. Achim Mehlhorn
Die Frage der Führung stellt sich noch schärfer, wenn etwas sehr Wahrscheinliches in Ihr Berufsleben eintritt, nämlich, wenn Sie die Landesgrenzen hinter sich lassen und ins internationale Geschäft einsteigen. Die großen Baustellen der Welt liegen heute nicht mehr in Deutschland. Die großen und namhaften Baufirmen sind alle zu „global players“ geworden, die ihre Großbaustellen von China nach Abu Dhabi und von dort nach Afrika verlegen. Als Ingenieur reisen Sie mit und werden auch zum Führenden unterschiedlicher Beschäftigter, die nicht mehr Ihre Muttersprache sprechen, die in unterschiedlichen Kulturen leben und das auch in Ihrem Arbeitsstil zum Ausdruck bringen.
Um diese völlig neue Herausforderung zu bestehen, verfügen Sie allerdings über Voraussetzungen, die unvergleichlich besser sind, als die der Generation Ihrer Eltern. Auch ohne über statistisches Material zu verfügen, bin ich mir sicher, dass der größte Teil von Ihnen eine Zeit seines Lebens im Ausland verbracht hat, vielleicht sogar an einer ausländischen Universität. Unter den heutigen Absolventen sitzen auch einige, die den Mut hatten, in einem fremden Land und in einer anderen Sprache zu studieren. Denen gilt meine besondere Hochachtung. Sie hatten alle ein großzügiges Angebot Ihrer Universität, Fremdsprachen zu erlernen und haben das sicher umfassend genutzt. All das sind gute Voraussetzungen, eine internationale Herausforderung zu meistern. Aber Sie brauchen auch eine interkulturelle Sensibilität, um als Bauingenieur in einer fremden Umgebung Erfolg zu haben.
Das entscheidet sich oft in scheinbar banalen Tagesfragen. Vor einiger Zeit erzählte mir ein leitender Mitarbeiter von Hochtief die Geschichte eines Brückenbaus über den Sambesi-Fluss in Afrika. Eines Tages schienen die Arbeiten bei einer der Pfeilergründungen zu stagnieren. Die einheimischen Arbeiter kamen entweder gar nicht zur Arbeit oder mieden ängstlich den Ort der Gründungsarbeiten. Erst nach geduldigen Fragen des Bauleiters wurde klar, dieser Ort gehört nach dem Glauben der Einheimischen Geistern, die dort hausten und die sich rächen würden, wenn man sie stört. Sie mussten vorher gebeten werden, sich woanders niederzulassen. Das geschah dann auf einem Fest mit beschwörenden Tänzen, und danach gingen die Arbeiten glatt weiter.
Vielleicht kannten Sie die Geschichte schon, aber sie schien mir instruktiv zu zeigen, was man unter interkultureller Sensibilität versteht.
Ein letzter Punkt. Sie brauchen Teamfähigkeit nach unten und nach oben. Sie sind – da Sie sicher nicht gleich in den Unternehmensvorstand eintreten, ein mittleres Glied in der hierarchischen Kette des Unternehmens. Es geht dabei um das Zeigen fachgestützter Kompetenz und sachliche Argumentation, aber auch um Respekt und die Akzeptanz gegenüber relevanten Hinweisen von Erfahrenen. Mein Rat ist auch eine gewisse Selbstzurücknahme ohne Unterwürfigkeit und die Vermeidung konditional formulierter ad hoc- Forderungen nach dem Motto, wenn nicht diese und jene Voraussetzungen erfüllt werden, muss ich mir überlegen, ob ich die Arbeit überhaupt beginne. Ich finde es redlicher, erst einmal etwas an Leistung vorzulegen, bevor ich Forderungen stelle. Ein Unternehmer will lieber belohnen, als finanzielle Vorschusslorbeeren verteilen.
Liebe Absolventinnen und Absolventen, eine wichtige Lebensphase geht heute für Sie erfolgreich zu Ende. Aber deren Ergebnisse sind gerade die Startparameter für eine neue herausfordernde Etappe. Ich wünsche Ihnen dass Sie Erfolg und Erfüllung finden. Und dass Sie auch nie vergessen, dass Ihre Alma Mater Dresdensis und Ihre Fakultät letztlich die Grundpfeiler sind für alles, was Sie im Beruf erreichen werden.
Viel Glück auf den Weg und meinen Dank für Ihre Geduld.
Rede von Prof. Dr. Achim Mehlhorn, Ehrensenator der TU Dresden, am Tag der Fakultät Bauingenieurwesen 2010
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