16.12.2022
Gute Frage: Braucht es auch etwas Chaos beim wissenschaftlichen Schreiben?
In der Schreibberatung am Schreibzentrum der TU Dresden werden viele gute Fragen gestellt. Auf die Frage "Braucht es auch etwas Chaos beim wissenschaftlichen Schreiben? " gibt Paulina, ausgebildete Schreib-Peer-Tutorin seit 2016, eine erste Antwort:
Schon 1981 haben Hayes und Flower herausgefunden, dass Schreibende sich grundsätzlich zweier "diametral entgegengesetzte[r] Schreibstrategien" (Sennewald 2021: 146) bedienen, die ihr Schreibhandeln lenken. Bräuer hat diese zwei Tendenzen als strukturschaffende und strukturfolgende Schreibende betitelt (vgl. Bräuer 2014: 262f.), wobei keine Strategie die bessere ist – beide haben Vor- und Nachteile.
Strukturfolgende Schreibende entsprechen dabei mehr dem Bild, das häufig als „das richtige“ wahrgenommen wird: Erst wird die Struktur in Form der Gliederung geschaffen, es wird ein Plan gemacht, und dann wird der Text geschrieben. In meiner Erfahrung als Schreibtutorin, und auch in der Studie von Nadja Sennewald (vgl. 2021: 151), berichten Studierende, dass das auch der Weg zur wissenschaftlichen Arbeit sei, der ihnen beigebracht wurde – und dass sie damit oft Probleme haben. Im anderen Extrem liegen die strukturschaffenden Schreibenden, die „ihre Ideen während des Schreibens [entwickeln] und den Text erst im Nachhinein [strukturieren]" (Sennewald 2021: 147). Diese Herangehensweise wird häufig als chaotisch wahrgenommen, und dadurch negativ konnotiert. Meiner Meinung nach ist ein bisschen Chaos im wissenschaftlichen Schreiben aber auch sinnvoll, um z.B. neue Zusammenhänge zu entdecken, über den Tellerrand zu schauen und auch mal vom vorgeplanten Weg abzuweichen.
Trotz "Chaos" produktiv sein
Als strukturschaffende Schreiberin kann ich auch aus dem Nähkästchen plaudern – in der Wissenschaft ist der Weg genauso wichtig wie das Ziel, das Lernen und Ausprobieren müssen als aktiver Teil des Prozesses verstanden werden. Wenn der Weg allerdings noch offen steht und ungewiss ist, ist es umso wichtiger, sich ein klares Ziel zu setzen und das immer vor Augen zu haben. Dafür ist es sinnvoll, das Ziel aufzuschreiben und es z.B. auf einem großen Blatt über den Schreibtisch zu hängen, oder in der Kopfzeile des Word Dokumentes. Ich finde es tatsächlich auch einfacher, wenn ich mich nicht streng an den Plan halten muss, sondern auch mal etwas unstrukturierter zu recherchieren.
Um dann den Plan aber doch einzuhalten (irgendwann kommt ja die Abgabe) hilft es mir, wenn ich meine Aufgaben und Arbeitspakete so genau wie möglich benenne und in möglichst kleine Schritte unterteile. So entsteht ein dynamisches System, das jeden Tag wächst und sich so an meine sprunghafte Arbeitsweise anpassen lässt. Außerdem hilft es mir sehr, wirklich alle Gedanken aufzuschreiben, die mir im Arbeitsprozess kommen. Dafür habe ich das eigentliche Dokument, in dem ich schreibe, sowie ein Notizbuch, in das ich einfach alles eintrage, was mir beim Schreiben einfällt: andere Ideen, Querverweise, Gedanken zur Literatur, meine Einkaufsliste und so weiter. So kann ich meinen doch eher wirren Gedankenprozess sichtbar machen und ihn später auch selbst nachvollziehen.
Grundsätzlich gibt es viele kleine Methoden und Ansätze, die den strukturschaffenden Prozess planbar machen. Auf chaotisches Arbeiten kann man sich genauso gut vorbeireiten wie auf planvolles Arbeiten und ich denke nicht, dass es Studierenden (und allen Schreibenden) das Leben schwerer machen muss, wenn sie lieber strukturschaffend Arbeiten möchten.
Quellen:
Bräuer, Gerd (2014): Grundprinzipien der Schreibberatung. Eine pragmatische Sicht auf die Schreibprozesstheorie. In: Stephanie Dreyfürst und Nadja Sennewald (Hg.): Schreiben. Grundlagen-texte zur Theorie, Didaktik und Beratung. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich UTB, 257–282.
Sennewald, Nadja (2021): Schreiben, Reflektieren, Kommunizieren. Studie zur subjektiven Wahrnehmung von Schreibprozessen bei Studierenden. Bielefeld: wbv Publikation.
Referentin für Schreibdidaktik
NamePaulina Hösl
Projekt sTUDy smart, Expertin für KI-gestützte Schreibprozesse
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Schreibzentrum der TU Dresden
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Dieser Beitrag erschien anlässlich des Schreibzentrumsnewsletters im Dezember 2022. Diese und weitere Newsletterausgaben sind im Newsletter-Archiv des Schreibzentrums verlinkt.
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