Apr 28, 2020
Alfred Lottermoser, ein Pionier der Kolloidwissenschaften
Er leitete von 1923 bis 1937 das Institut für Kolloidchemie an der TH Dresden im heutigen Erich-Müller-Bau
Carl August Alfred Lottermoser (1870- 1945), dessen 150. Geburtstag und 75. Todestag in diesem Jahr begangen werden, gehörte neben Wolfgang Ostwald (1883–1943) zu den Pionieren der Kolloidchemie in Deutschland. Die Gründung des Instituts für Kolloidchemie an der TH Dresden im Jahr 1923 – dem ersten seiner Art in Deutschland – ist aufs Engste mit seinem Namen verbunden.
Alfred Lottermoser wurde am 17. Juli 1870 in Dresden geboren. Sein Abitur legte er 1889 am Gymnasium zum Heiligen Kreuz in Dresden ab. Nach Ableistung des Militärdienstes studierte er 1890/91 zunächst die Allgemeinen Wissenschaften an der TH Dresden, bevor er sich endgültig für Chemie entschieden hatte. Sein Chemiestudium setzte Lottermoser bei Wilhelm Ostwald (1853–1932) und Johannes Wislicenus (1835–1902) in Leipzig fort. 1893/94 – wiederum in Dresden – besuchte er Lehrveranstaltungen von Walther Hempel (1851–1916), Ernst von Meyer (1847–1916) und Fritz Foerster (1866–1931). Da die TH Dresden zur damaligen Zeit noch kein Promotionsrecht besaß, wechselte Lottermoser erneut nach Leipzig, wo er 1896 mit einer Arbeit über die Einwirkung von Natrium auf aromatische Nitrile promovierte.
Für die weitere wissenschaftliche Laufbahn von Lottermoser waren die auf Anregung von Meyers durchgeführten Untersuchungen über kolloidales Silber ausschlaggebend. In seinen ersten kolloidchemischen Arbeiten beschrieb Lottermoser die Herstellungsmethoden, Stabilitätsbedingungen und andere Eigenschaften kolloidaler Silberpräparate, die er systematisch und mit größter Sorgfalt untersucht hatte. Es gelang ihm, erstmals die Schutzwirkung hydrophiler kolloidaler Systeme wissenschaftlich fundiert aufzuzeigen. Bald darauf folgten weitere Abhandlungen über kolloidales Quecksilber, Bismut und Kupfer. Diese umfangreichen Untersuchungen fasste Lottermoser unter dem Titel »Über Anorganische Colloide« zu einer Habilitationsschrift zusammen, die er an der Königl. Sächsischen Technischen Hochschule zu Dresden am 17. November 1900 eingereicht und mit der für den 27. Februar 1901 angekündigten Antrittsvorlesung an der TH Dresden erfolgreich abgeschlossen hatte.
Obgleich zur damaligen Zeit die Kolloidchemie noch kein etabliertes Wissenschaftsgebiet gewesen war, reiften bei Lottermoser alsbald nach seiner Ernennung zum außeretatmäßigen außerordentlichen Professor für Kolloidchemie an der TH Dresden am 4. Dezember 1905 die Pläne, ein selbstständiges kolloidchemisches Institut an der TH Dresden zu gründen. Doch erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nahm das Vorhaben sichtbare Konturen an, wobei es in erster Linie durch die chemische und chemieverwandte Industrie, die den anwendungstechnischen Nutzen der Kolloidchemie bereits erkannt hatte, gefördert wurde. Vom zuständigen Kultusministerium wurde Lottermoser hingegen keinerlei finanzielle Unterstützung gewährt. Auf Betreiben von einflussreichen Vertretern der Industrie Sachsens wurde schließlich das Laboratorium für Kolloidchemie in ein selbständiges Institut umgewandelt, dessen Leitung Lottermoser 1923 übertragen wurde. Offiziell wurde Lottermoser zum planmäßigen außerordentlichen Professor an der TH Dresden ab dem 1. März 1924 ernannt. Nach einem zweijährigen, interimistischen Dasein des kolloidchemischen Laboratoriums im Keller des alten Hauptgebäudes fand zu Weihnachten 1925 der Umzug des jüngsten und nunmehr selbstständigen »Instituts für Kolloidchemie « in das Dachgeschoss des Neubaus des Instituts für Elektrochemie und Physikalische Chemie (heute Erich-Müller- Bau) statt, das zunächst nur als Reserve für dieses Institut vorgesehen war.
Alfred Lottermoser leitete das »unter schwierigen Verhältnissen […] durch die werktätige Mithilfe der Industrie« geschaffene Institut für Kolloidchemie bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1937. Während dieser Zeit entwickelte sich das Institut, nicht zuletzt aufgrund seines ausgeprägten Fachwissens und des bescheidenen, umsichtigen und zuverlässigen Wesens, zu einem Mekka der kolloidchemischen Forschung und Lehre in Deutschland.
Das wissenschaftliche Werk Lottermosers und seine herausgehobene Stellung als einer der Pioniere der Kolloidwissenschaften in Deutschland erfuhren in der Fachwelt eine hohe Anerkennung und Wertschätzung. 1927 erhielt er aus den Händen des Ersten Vorsitzenden der Kolloid-Gesellschaft Wolfgang Ostwald, Professor für Kolloidchemie an der Universität Leipzig, den Laura R. Leonard-Preis der Kolloid- Gesellschaft, zu deren Mitbegründern Lottermoser gehörte und für die er zunächst seit 1928 als stellvertretender Vorsitzender und nach dem Tod von Wolfgang Ostwald von 1943 bis 1945 als geschäftsführender Vorsitzender fungierte. Die Ausnahmestellung von Lottermoser unter den damaligen Kolloidwissenschaftlern fand ihre Bestätigung durch seine Zuwahl zum Mitglied der Leopoldina im Jahre 1939. Darüber hinaus wurde er 1941 für seine Verdienste um die unermüdliche Pflege und Förderung der Kolloidwissenschaft und ihrer wissenschaftlichen und technischen Nachbargebiete mit der Ehrenmitgliedschaft in der Kolloid-Gesellschaft ausgezeichnet.
Seine langjährigen Erfahrungen auf dem kolloidchemischen Gebiet hinterließ Lottermoser in Form des Lehrbuches »Kurze Einführung in die Kolloidchemie (unter besonderer Berücksichtigung der anorganischen Kolloide)«. Schon sehr leidend musste er noch die Zerstörung seines Instituts durch den grausamen Bombenangriff auf Dresden 1945 erleben und starb kurz vor Kriegsende am 24. April 1945 in der kleinen Ortschaft Schellerhau im Osterzgebirge. Ein schlichtes Holzkreuz, von seiner Tochter geschnitzt, erinnert dort an seine letzte Ruhestätte.
Wladimir Reschetilowski
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 8/2020 vom 28. April 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.