02.02.2021
Antike zum Anschauen
Beate Diederichs
Vor fast einem Jahr zogen die antiken Skulpturen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) in die Antikenhalle in der Sempergalerie. In dieser neukonzipierten Ausstellung ist ein großer Teil der ältesten Werke dieser Art zu sehen. Der Rest befindet sich im gläsernen Depot im Albertinum. Die Skulpturen könnten auch für die Klassische Philologie der TU Dresden wertvolle Anschauungsstücke sein. Daher denkt Sascha Kansteiner, seit rund zwei Jahren Konservator bei den SKD und verantwortlich für die Skulpturensammlung, darüber nach, welche Ansatzpunkte es für eine Kooperation der Sammlung mit dem Institut für Klassische Philologie der TUD geben könnte.
Der Satyrtorso hat es Sascha Kansteiner besonders angetan. Er stammt von einer Statue, die gut einen Meter groß war, im ersten oder zweiten Jahrhundert angefertigt wurde und die römische Kopie eines verlorenen griechischen Bronzeoriginals ist. »Das griechische Vorbild wurde oft kopiert. Aber immer fehlt der Kopf. So wissen wir leider nicht, wie der Satyr insgesamt aussah«, berichtet der Konservator. Diese Leerstelle zu füllen reizt Kansteiner besonders. Er ist seit rund zwei Jahren für die Skulpturensammlung verantwortlich und hat sich mittlerweile einen detaillierten Überblick über die unzähligen kleinen und großen Werke verschafft. Sein Lieblingstorso ist im Skulpturengang unweit der Osthalle, der sogenannten Antikenhalle, im Zwinger zu sehen. Dort kann man seit dem 29. Februar 2020 einen großen Teil der antiken Skulpturen bewundern, die die SKD besitzen. Der Rest befindet sich im gläsernen Depot des Albertinums. So wie das andere Lieblingsstück Kansteiners: ein sieben Zentimeter kleines bewegliches Spielzeugskelett aus Bronze, das wahrscheinlich in der frühen römischen Kaiserzeit entstand. »Die Kunstsammlungen haben es aus dem Besitz des Archäologen und Numismatikers Heinrich Dressel erworben«, erzählt er.
Genau zu schätzen, welcher Anteil des Gesamtbestands an antiken Skulpturen in der Antikenhalle bewundert werden kann, ist schwer. »Die Hochkaräter unter den großen Steinplastiken sind zu rund siebzig Prozent ausgestellt«, legt sich der Konservator fest. Die Werke, die zur Skulpturensammlung gehören, lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Außer Skulpturen, unter denen rund zweihundert idealplastische Werke, die Götter oder Heroen zeigen, sowie viele Porträts sind, gibt es beispielsweise Grabreliefs, Terrakotten, Gemmen, Vasen und zahlreiche Gläser.
Sascha Kansteiner, der Klassische Archäologie studiert hat, befasst sich in seiner täglichen Arbeit vor allem damit, die Bestände der Skulpturensammlung zu erschließen, also gewissermaßen die Schätze zu heben, die sich noch darin befinden. Dies dient auch dazu, Sonderausstellungen zu bestimmten Themen präsentieren zu können. Momentan entsteht so ein Bestandskatalog der Antikenimitationen, der in diesem Jahr fertiggestellt wird. Rund hundert Objekte werden darin zu finden sein. »Einige der Imitationen sind ebenso wie die antiken, ihrerseits an griechische Bronzestatuen angelehnten Vorbilder, von höchster Qualität. In der Antike muss es mehrere tausend Kopisten gegeben haben, die mithilfe von Gipsabgüssen der Originale Skulpturen geschaffen haben. Dieses Verfahren wurde in der Renaissance wieder aufgegriffen«, erläutert Sascha Kansteiner. Ein weiterer seiner Aufgabenschwerpunkte ist es, die viele tausend Exponate umfassende Sammlung von Abgüssen antiker Skulpturen und Gemmen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Für die Klassische Philologie der TU Dresden könnte die Skulpturensammlung mit ihrem antiken Teilbereich eine Goldgrube an Anschauungsmaterial sein. Beide altertumswissenschaftlichen Institutionen arbeiten im Rahmen von DRESDEN-concept schon länger zusammen. »Es gab dabei in der Vergangenheit verschiedene Kontakte, aus denen aber bisher keine konkreten Projekte hervorgegangen sind«, sagt Dennis Pausch, Professurinhaber für Lateinische Philologie am Institut für Klassische Philologie der TU Dresden. »Mit der verbesserten Zugänglichkeit und der attraktiven Präsentation der Stücke, wie sie seit der Eröffnung gegeben sind, eröffnen sich meiner Meinung nach nun ganz andere Möglichkeiten, sowohl in Forschung und Lehre als auch für Aktivitäten, die auf eine größere Öffentlichkeit ausgerichtet sind«, so der Professor weiter. Auch Sascha Kansteiner hat sich über eine Zusammenarbeit bereits Gedanken gemacht und mögliche Ansatzpunkte herausgearbeitet. Er denkt zum Beispiel daran, den Kunstwerken nachzugehen, die Plinius in seiner »Naturalis Historia« erwähnt, und zu prüfen, ob sich in Dresden Bezüge zu den Skulpturen zeigen lassen, von denen in Rhetorik-Lehrbüchern die Rede ist. »Rhetoren wie Quintilian zeigen in ihren Werken oft, dass sie ein umfangreiches Wissen über Kunst besaßen. Ihre Aussagen müssten anhand der Dresdner Skulpturen nachzuvollziehen sein.« Aus Kansteiners Sicht wäre es auch möglich, sprachetymologisch zu untersuchen, ob Inschriften auf einigen Objekten wirklich antik sind oder erst später hinzugefügt wurden. Schließlich schlägt er die Signaturen auf den antiken Gemmen als Ansatzpunkte für philologische Studien vor. »Sowohl in der Ausstellung als auch im Depot sind uns die Studierenden und Lehrkräfte der Klassischen Philologie sehr willkommen«, so der Konservator abschließend.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 01/2021 vom 19. Januar 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.