Jun 25, 2019
Bagdad – Dresden: Hauptsache Musik
Wie zwei irakische Geiger im Uniorchester eine neue Heimat fanden
Claudia Kallmeier
Gleich wieder Musik machen – das war das Wichtigste, als Mohammed und Nobar vor wenigen Monaten nach Dresden kamen. Beide sind Geiger, beide kommen aus dem Irak, sie haben sogar gemeinsam im einzigen Profiorchester des Landes, dem Iraqi National Symphony Orchestra in Bagdad gespielt. Mohammed (34) war Konzertmeister, Nobar (45) Stimmführer der Zweiten Violinen. Bis sie – jeder für sich – entschieden, das kriegsgebeutelte Land zu verlassen und in Deutschland Asyl zu suchen. Jetzt sind beide hier gelandet und spielen wieder gemeinsam – im Universitätsorchester Dresden.
Am 6. und 13. Juli stehen die beiden Sommerkonzerte in der Lukaskirche an. Dann erklingen mit Schubert und Brahms auch Werke, die die Musiker schon aus der Heimat kennen. »Diese Musik haben wir auch im Irak gespielt, sie ist in unserem Herzen«, sagt Mohammed. Dennoch sei es hier nicht dasselbe. »Das Niveau in Deutschland ist viel höher.« »Im Irak fehlt uns der Austausch mit europäischen Musikern«, ergänzt Nobar. »Wir hoffen, dass sich in den nächsten Jahren eine Kooperation entwickelt.«
Die klassischen westlichen Instrumente spielen im Irak keine große Rolle. Musikschulen für alle, wie sie hierzulande weit verbreitet sind, gibt es so gut wie gar nicht. Auch Nobar kam erst spät zur Violine. »Ich habe zuerst Joza studiert, ein traditionelles Streichinstrument. Mit 25 habe ich die Geige kennengelernt und gewechselt.« Neun Stunden am Tag habe er dann geübt, um die neue Spieltechnik zu lernen. »Am Anfang war es schwierig. Auch weil die Stimmung anders ist. Und: wir spielen mit Vierteltönen.« Teilt man die Halbtonschritte noch einmal, entsteht sofort das, was für westliche Ohren orientalisch klingt.
Mohammed kommt aus einer Musikerfamilie. Dennoch konnte er erst mit 15 Jahren anfangen, ein Instrument zu lernen. Vorher war keine Zeit, er musste sich um seinen blinden Vater kümmern. Dass es die Geige geworden ist, war dann eher Zufall. »Ich wusste schon immer, dass ich Musiker werden will. Deshalb habe ich dann jeden Tag 12 Stunden geübt, um aufzuholen.« In Bagdad war Mohammed Sologeiger, in Dresden bewirbt er sich nun für ein Masterstudium an der Musikhochschule. »Es wird schwer«, sagt er. »Zum Glück helfen mir zwei Musiker der Dresdner Philharmonie bei der Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung.«
Überhaupt, erzählen die beiden Musiker, haben sie in Dresden sehr viel Unterstützung erfahren. Aber sich auch selbst sofort in verschiedenen Projekten eingebracht und so schnell Anschluss gefunden. Sie unterrichten beim Verein Musaik, der Kindern die Chance zur musikalischen Bildung und Gemeinschaft eröffnet. Und hoffen auf eine Zukunft in Deutschland. Noch leben sie im Flüchtlingsheim, wo es kaum Möglichkeiten zum Üben gibt. Nobar wurde ein Platz in Löbau zugewiesen. »Ich habe einen Antrag gestellt, damit ich in Dresden wohnen kann«, sagt er. »Hoffentlich wird er bald genehmigt. Die Zugfahrten von Löbau nach Dresden sind teuer. Aber dort kann ich keine Musik machen.«
Sommerkonzerte: Erde und Himmel und Temperamente
Die beiden Besetzungen des Universitätsorchesters unter der Leitung von Filip Paluchowski laden am 6. und 13. Juli, jeweils 19 Uhr, zu ihren Sommerkonzerten in der Lukaskirche ein. Unter dem Titel »Erde und Himmel« stehen am 6. Juli die Themen Tod und Erlösung im Mittelpunkt: mit Brahms’ Schicksalslied, Brittens Sinfonia da Requiem und Vaughan Williams’ Pastoral-Symphony. Mit Michael Essls »Senja« – inspiriert von der gleichnamigen norwegischen Insel – ist zudem eine Uraufführung zu erleben.
Eine Woche später, am 13. Juli, stehen ganz unterschiedliche musikalische »Temperamente« auf dem Programm: von der Rhapsodie für Violine und Orchester von Ravel über eine Balletmusik von De Falla mit spanischen Folklore-Elementen und Francks »Éolides« bis zu Schuberts »Tragischer«.
Sommerkonzerte am 6. und 13. Juli, jeweils 19 Uhr, in der Lukaskirche. Karten sind an der TUD-Infostelle, im Pfarramt der Lukaskirche und an der Abendkasse erhältlich.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 12/2019 vom 25. Juni 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.