Oct 10, 2011
Lernen vom Lurch
Bei Tieren wie dem mexikanischen Schwanzlurch oder dem
Zebrafisch wachsen geschädigte Körperteile oft vollständig
nach. Demgegenüber ist das Regenerationsvermögen des
menschlichen Organismus beschränkt. Allerdings könnten
Stammzelltherapien in Zukunft helfen, auch beim Menschen
defekte Gewebe und Organe naturgetreu wiederherzustellen. Das
Selbstheilungspotenzial des Körpers zu erforschen und völlig
neuartige regenerative Therapien für bisher unheilbare
Krankheiten zu entwickeln, ist das Ziel des
DFG-Forschungszentrums und Exzellenzclusters für Regenerative
Therapien Dresden (CRTD). Über seine Forschungsschwerpunkte
Hämatologie und Immunologie, Diabetes, neurodegenerative
Erkrankungen sowie Knochen- und Knorpelersatz informiert das
CRTD während der BIOTECHNICA vom 11. bis 13. Oktober 2011 auf
dem Gemeinschaftsstand Forschungsland Sachsen, Halle 9, Stand
F18.
Schädigungen des Körpers durch Abnutzung und Krankheit gewinnen
in einer alternden Bevölkerung zunehmend an Bedeutung. Eine
langfristige Überlastung der Gelenke beispielsweise verursacht
Arthrose. Und das Absterben von Nervengewebe bei einer
Altersdemenz führt zu geistigen Einbußen sowie nicht selten
auch zum Verlust eines selbstständigen Lebens. Die gegen solche
Leiden verfügbaren Therapien lindern allerdings meist nur die
Krankheitssymptome oder stellen durch künstlichen Ersatz wie
Gelenkprothesen die verlorene Funktion in begrenztem Umfang
wieder her. In den letzten Jahren hat sich allerdings eine ganz
neue Perspektive für die Behandlung dauerhaft geschädigter
Gewebe und Organe eröffnet – die regenerative Medizin. Sie
basiert auf der Erforschung der Stammzellen. Bei den
Stammzellen handelt es sich um unspezialisierte Zellen, die in
den meisten Geweben des Körpers vorkommen, beispielsweise als
Blutstammzellen im Knochenmark oder als Nervenstammzellen in
Teilen des Gehirns. Prinzipiell können sich Stammzellen
unbegrenzt vermehren und auf bestimmte Signale hin zu
unterschiedlichen Spezialisten verwandeln etwa zu Blut-,
Nerven-, Haut- oder Herzmuskelzellen. Dadurch werden
beschädigte Zellen ersetzt, angegriffene Gewebe repariert und
bei bestimmten Tieren sogar ganze Körperteile
regeneriert.
Ein beeindruckendes Beispiel ist der Axolotl (Ambystoma
mexicanum): Wird dem mexikanischen Schwanzlurch ein Bein
amputiert, wächst es unter günstigen Bedingungen komplett
wieder nach. Auch beschädigte Teile des Herzens und Hirns
können sich beim Axolotl vollständig erneuern. Demgegenüber ist
die Regeneration der Gewebe im menschlichen Körper nur in recht
beschränktem Maße möglich, beispielsweise bei der Produktion
neuer Blutzellen oder der Abheilung einer Schnittverletzung in
der Haut. Tiere wie der mexikanische Schwanzlurch oder der
ebenfalls mit außergewöhnlichem Regenerationsvermögen
ausgestattete Zebrafisch dienen Grundlagenforschern daher als
Modellorganismen, um regenerative Prozesse auf zellulärem und
molekularem Niveau zu verstehen und daraus möglichst Prinzipien
für neue, regenerative Therapien abzuleiten.
Die Entschlüsselung der komplexen Mechanismen der
Geweberegeneration ist weltweit Gegenstand zahlreicher
Forschungsprojekte. Das im Jahr 2006 gegründete
DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD)
an der Technischen Universität gehört dabei zu den
international führenden Einrichtungen. Hier arbeiten
Grundlagenforscher und Mediziner daran, regenerative
Behandlungsansätze für Leiden des blutbildenden, des
Herz-Kreislauf- und Nervensystems, für Diabetes und für
Knorpel- und Knochenerkrankungen zu entwickeln.
Ein vielversprechendes Projekt ist die Erprobung einer
neuartigen Behandlungsstrategie für den Diabetes Typ 1. Diese
Autoimmunerkrankung kann bereits früh im Leben entstehen, wenn
das körpereigene Abwehrsystem die Insulin produzierenden Zellen
in der Bauchspeicheldrüse, die so genannten Betazellen,
fälschlicherweise als fremd erkennt und angreift. Ein möglicher
Weg, der damit einhergehenden Verminderung der
Insulinproduktion entgegenzuwirken, ist die
Betazell-Transplantation. Bestimmte Stammzellen lassen sich im
Labor durch geeignete Wachstumsbedingungen in Betazellen
verwandeln, um anschließend auf den Patienten übertragen zu
werden. Auch Zellen aus der Bauchspeicheldrüse von menschlichen
Spendern sind für eine Zelltherapie einsetzbar.
Allerdings müssen die verpflanzten Zellen vor dem Immunsystem
des Empfängers geschützt und ihre Integration in den Körper
gefördert werden. Genau hier greift die vom CRTD entwickelte
Strategie: Wie in Experimenten mit diabetischen Mäusen gezeigt
werden konnte, lässt sich die Insulinproduktion und der
Blutzuckerspiegel erkrankter Tiere deutlich besser regulieren,
wenn gemeinsam mit den Betazellen auch so genannte mesenchymale
Stammzellen aus dem Knochenmark transplantiert werden. Offenbar
fördert die zusätzliche Stammzellübertragung das Einwachsen und
die Überlebensdauer des Transplantats im Empfängerorganismus –
ein Schutzeffekt, der vermutlich auf Signalsubstanzen beruht,
welche von den Stammzellen ins Gewebe abgegeben werden.
Faszinierend ist die Perspektive der Zelltransplantation bei
der regenerativen Behandlung der Netzhaut. Netzhauterkrankungen
gehören zu den häufigsten Ursachen für Sehbehinderungen in den
westlichen Industrieländern, wobei zumeist das Absterben der
lichtempfindlichen Fotorezeptoren ursächlich für die
Sinnesschwäche ist. Degenerierte Rezeptorzellen können vom
Körper nicht mehr ersetzt werden und sind somit für immer
verloren. Die Verpflanzung neuer lichtempfindlicher Zellen in
das Netzhautgewebe wäre daher ein vielversprechender Ansatz.
Dies wird auch durch bisherige Tierexperimente bestätigt.
Insbesondere die noch undifferenzierten
Rezeptor-Vorläuferzellen junger Spendermäuse scheinen sich gut
in die Netzhaut erwachsener Versuchstiere zu integrieren und
dort in reife Fotorezeptoren zu verwandeln. Allerdings bleibt
noch ungeklärt, inwieweit sie dann tatsächlich zum Sehvermögen
beitragen können, und ob sich die Strategie auch auf den
Menschen übertragen ließe.
Unterdessen wird das prinzipielle Potenzial regenerativer
Therapien noch durch eine ganze Reihe weiterer
Forschungsprojekte belegt. So besitzen mesenchymale
Stammzellen, die sich in Blut und Knochenmark finden und als
Vorläufer von Knochen-, Knorpel- oder Fettzellen fungieren,
wahrscheinlich hohen therapeutischen Wert. Möglich ist, diese
Zellen auf biokompatiblen Kunststoffgerüsten mithilfe
spezieller Wachstumsfaktoren zu lebenden
Knochenersatzmaterialien heranzuzüchten. In einer Pilotstudie
wird bereits bei ersten Patienten getestet, ob sich das
Knochenersatzgewebe zur Heilung großer Knochendefekte einsetzen
lässt.
Sogenannte embryonale Stammzellen besitzen ein deutlich
größeres Entwicklungs- und Verwandlungspotenzial, allerdings
ist die Entnahme von Stammzellen aus menschlichen Embryonen
ethisch höchst umstritten und in Deutschland durch das
Embryonenschutzgesetz verboten. Hoffnungen setzen viele
Wissenschaftler daher auf das vor einigen Jahren entdeckte
Phänomen, dass auch bereits differenzierte Körperzellen durch
molekulargenetische Eingriffe wieder in einen quasi embryonalen
Zustand zurückversetzt werden können. Diese reprogrammierten
Zellen, auch induzierte pluripotente Stammzellen genannt,
besitzen möglicherweise ein ähnlich unbeschränktes
Entwicklungsvermögen wie die embryonalen Stammzellen
selbst.
Fotobeschreibung:
Bei Tieren wie dem mexikanischen Schwanzlurch Axolotl wachsen
geschädigte Körperteile oft vollständig nach. Foto: CRTD
Fotos auch unter http://www.crt-dresden.de/press-and-public/press-releases.html
Informationen für Journalisten:
Birte Urban-Eicheler
Pressesprecherin DFG-Forschungszentrum für Regenerative
Therapien Dresden
Tel.: 0351 463-40347
http://www.crt-dresden.de
Über das CRTD
Das 2006 gegründete DFG-Forschungszentrum für Regenerative
Therapien Dresden (CRTD) der Technischen Universität ist das
bisher einzige DFG-Forschungszentrum und Exzellenzcluster in
Ostdeutschland. Ziel des CRTD ist es, das
Selbstheilungspotential des Körpers zu erforschen und völlig
neuartige, regenerative Therapien für bisher unheilbare
Krankheiten zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte des
Zentrums konzentrieren sich auf Hämatologie und Immunologie,
Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen sowie Knochen- und
Knorpelersatz. Zurzeit arbeiten sechs Professoren und elf
Forschungsgruppenleiter am CRTD, die in einem
interdisziplinären Netzwerk von über 80 Mitgliedern sieben
verschiedener Institutionen Dresdens eingebunden sind.
Zusätzlich unterstützen 18 Partner aus der Wirtschaft das
Netzwerk. Dabei erlauben die Synergien im Netzwerk eine
schnelle Übertragung von Ergebnissen aus der
Grundlagenforschung in klinische Anwendungen.
Birte Urban-Eicheler
10. Oktober 2011