20.12.2019
Dr. Eva-Maria Stange: »Aufhören, wenn es am schönsten ist«
Sachsens langjährige Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst zieht sich aus der Politik zurück
Sie war unter drei verschiedenen CDU-Ministerpräsidenten Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst. Den Weg der TU Dresden hin zur Exzellenz-Universität hat sie intensiv begleitet und mitgestaltet. Nun verlässt Dr. Eva-Maria Stange die Politik. Die in Mainz geborene und in Dresden aufgewachsene Pädagogin promovierte im Fachbereich Methodik des Physikunterrichts an der Pädagogischen Hochschule Dresden. Acht Jahre lang war sie Bundesvorsitzende der Gewerkschaft GEW und ist seit 1998 SPD-Mitglied. Zur Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst wurde sie erstmals 2006 unter Ministerpräsident Georg Milbradt ernannt und führte das Ministerium auch anschließend unter Stanislav Tillich bis 2009. Nach dem Ende der Koalition zwischen CDU und FDP nahm sie das Amt ab 2014 zunächst unter Stanislav Tillich und später unter Michael Kretschmer war. Seit der letzten Landtagswahl leitet sie das Ministerium geschäftsführend bis zur Amtsübergabe an das neue Kabinett. Im Interview mit dem Dresdner Universitätsjournal zieht sie Bilanz.
UJ: Wissenschaft und Kunst sind wunderbare Themen. Warum wollen Sie das Ministeramt nicht mehr bekleiden? Bedeutet das auch den vollständigen Rückzug aus der Landespolitik?
Dr. Stange: Sie kennen ja das Sprichwort »Aufhören, wenn es am schönsten ist«. Natürlich, Wissenschaft und Kunst sind schöne Bereiche, in denen man es zum Beispiel an den Hochschulen und in der Kultur mit tollen Menschen zu tun hat. Die Freiheit der Kunst, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre prägen den Umgang miteinander. Aber ich muss jetzt einen Schnitt machen, den ich lange angekündigt habe, bewusst und ohne politischen Druck. Nach 30 Jahren, in denen ich intensiv Politik betrieben und gestaltet habe, wird es Zeit für den Ruhestand – ich werde also auch keine anderen politischen Funktionen mehr wahrnehmen. Denn die intensive Arbeit der letzten Jahrzehnte als Politikerin ließ kaum Freiraum für Persönliches. Ich war immer »verplant«, Privates stand hinten an. Daran sind schon viele Beziehungen von Politikern gescheitert. Aber meine Familie – mein toller Mann und meine tollen Kinder – haben diese Situation über so lange Zeit akzeptiert, mich dabei unterstützt und ihr Leben an meinen Rhythmus angepasst. Ehrenämter wie die Schirmherrschaft für den gemeinnützigen Verein Aufwind e. V. werde ich aber weiterhin ausüben.
Beim Blick zurück auf Ihre Amtszeiten – was waren Ihre persönlichen Highlights, auch in Bezug auf die TU Dresden?
In meiner ersten Amtszeit ab 2006 war ein Highlight die grundsätzliche Novellierung des Hochschulgesetzes. Es gab heftige Auseinandersetzungen um die von der CDU betriebenen »Unternehmerischen Hochschulen« mit schlanken demokratischen Strukturen, weniger Personal. Die Novellierung brachte dann viele Freiräume und Flexibilität für die Hochschulen, mehr Autonomie und Eigenverantwortung. Die enthaltene »Experimentier-Klausel« hat der TU Dresden sehr genutzt. So wurde dadurch die Gründung von Bereichen möglich – ein wesentliches Element in der Exzellenz-Bewerbung. Aber auch strategische und strukturelle Planungen waren so besser vorzunehmen.
In meiner zweiten Amtszeit war sicher die Umsetzung der durch den Erfolg im Exzellenz-Wettbewerb möglichen und nötigen neuen Strategien ein Höhepunkt. Der geänderte Grundgesetzartikel 91b machte den Weg frei für die dauerhafte Möglichkeit der Mitfinanzierung von Hochschulen durch den Bund. Eine Grundlage für die Fortsetzung der auf Dauer angelegten Exzellenzstrategie mit Exzellenz-Clustern und die Formierung von Exzellenz-Universitäten. Diesen politischen Rahmen konnte ich mitgestalten. Zudem haben wir den ehemals durch die CDU-FDP-Koalition geplanten Stellenabbau an den Hochschulen beendet. Der Hochschulentwicklungsplan 2017 bis 2025 enthält zudem eine dynamische Zuschuss-Vereinbarung, die Steigerung beträgt zwei Prozent pro Jahr.
Neben der Exzellenzstrategie gab es natürlich weitere Höhepunkte. So wird der Hochschulpakt ab 2021 zum Zukunftsvertrag »Studium und Lehre stärken« mit einem jährlichen Volumen von zirka 70 Millionen Euro, womit endlich dauerhafte Beschäftigung finanziert werden kann. Dieser Vertrag gilt unbefristet, ist nur aufkündbar mit einer Frist von fünf Jahren. Wegen der bereits angesprochenen Änderung des Grundgesetzartikels 91b ist auch die Mitfinanzierung der Lehre in den Hochschulen durch den Bund möglich.
In den vergangenen Jahren konnten wir aber auch bei anderen Themen wichtige Pflöcke einschlagen. So konnten wir Inklusion fördern und die UN-Behindertenrechtskonvention an Hochschulen umsetzen. Zwei Millionen Euro fließen dafür jährlich an die sächsischen Hochschulen, das Thema ist damit etabliert, aber längst nicht beendet.
Ein weiterer Punkt ist der Rahmenkodex für gute Beschäftigung, der vor allem für Nachwuchswissenschaftler große Bedeutung hat. Hier soll es weniger befristete Stellen geben, Daueraufgaben sollen auch mit Dauerstellen hinterlegt sein. Dafür erarbeiten die Hochschulen Personalentwicklungspläne. Jetzt wollen wir noch die Klausel im Hochschulgesetz streichen, dass bei Drittmittelprojekten grundsätzlich nur befristet auf Dauer des Projektes eingestellt werden darf.
Die letzte Novelle des Sächsischen Hochschulgesetzes liegt einige Jahre zurück. Bedauern Sie, dass es in der vergangenen Legislatur keine Reform gegeben hat? Was wären ihre Wünsche, die Sie der neuen Koalition mit auf den Weg geben?
Im Jahr 2016 war die weitere Entwicklung in Sachen Länderfinanzausgleich sehr unklar, er wurde ja neu verhandelt. Aufgabe der neuen Landesregierung wird es jetzt sein, 2020 unter den Bedingungen des Zukunftsvertrags den Hochschulentwicklungsplan 2025 weiter zu entwickeln. Schon Anfang kommenden Jahres wird über die Anpassung des Hochschulentwicklungsplans verhandelt – so geht es um die Abbildung von sachsenweit 800 neuen unbefristeten Stellen, die der Bund über den Zukunftsvertrag an den staatlichen Hochschulen finanzieren wird. Hierzu muss die neue Regierung einen Beschluss fassen.
Bisher sah der Hochschulentwicklungsplan bis 2025 ein Rückfahren der Studierendenzahlen in Sachsen auf 95 000 vor – derzeit sind es 101 000. Der neue Koalitionsvertrag sagt nun, dass die aktuelle Zahl der Studierenden gehalten werden soll. Denn die steigenden Bedarfe an Absolventen zum Beispiel in den Bereichen Medizin, Lehramt oder Informatik machen hier mehr Flexibilität nötig.
Als Pädagogin und Ministerin, die das wissenschaftlich von der TUD geleitete Vorhaben Universitäts-Schule sehr gut kennt: Was erhoffen Sie sich im Idealfall als Ergebnis dieses neuen Wegs?
Ich bin eine absolute Befürworterin des längeren gemeinsamen Lernens in einer inklusiven Schule. Und die Universitätsschule kann hier zur Modell-Schule für Sachsen werden. An einem Ort, wo Lehrerbildung erfolgt, gibt es nun eine Schule, die im Alltagsbetrieb die neuen Konzepte anwendet. Eine staatliche, kommunale Schule, die Modell für Sachsen sein kann – mit Unterstützung von Stadt, Land und TU Dresden. Sie ist Sachsens einzige Modellschule mit wissenschaftlicher Begleitung durch eine Universität. Ich hoffe, dass es gelingt, das Konzept einer inklusiven Gemeinschaftsschule im Realbetrieb erfolgreich umzusetzen und die oft stiefmütterlich behandelte Schulforschung voranzutreiben. Übrigens spielte das Konzept der Universitätsschule auch im vergangenen Exzellenz-Wettbewerb eine große Rolle!
Interessant ist auch das Modell zur Ausbildung von Bildungsfachkräften für Inklusion. Diese kommen ursprünglich aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Nach der dreijährigen Ausbildung, die erstmals dieses Jahr mit sechs Studierenden startete, gehen diese dann als Lehrkräfte in die Lehramtsausbildung der Universitäten, um das Thema Inklusion aus Sicht selbst Betroffener in den Fokus der künftigen Lehrer-Generationen zu rücken. Alle Lehrkräfte müssen sich dazu Kompetenzen aneignen können, auch wenn sie keine Sonderpädagogen sind. Die benötigten Mittel für das Studium der Bildungsfachkräfte stellt mein Ministerium zur Verfügung.
Gibt es etwas, das Sie als Ministerin gerne noch umgesetzt hätten?
Ja, es gibt noch vieles, was zu tun wäre. So hätte ich das Hochschulgesetz gern in einigen Punkten noch einmal novelliert, das war in dieser Regierungskoalition allerdings nicht möglich. Aber im jetzt neu verhandelten Koalitionsvertrag ist die Novellierung verankert. So wird es wieder eine verfasste Studierendenschaft geben. 2012 war diese Verfasstheit auf Betreiben der FDP bei der damaligen kleinen Novelle gestrichen worden, mit dem Argument einer nicht akzeptablen »Zwangsmitgliedschaft« – die aber in Wahrheit eine Solidargemeinschaft darstellt. Auch soll es bei künftigen Universitätswahlen eine Doktoranden-Liste geben, deren Vertreter die Interessen der Promovierenden verstärkt wahrnehmen werden. Weitere Personal-Kategorien, zum Beispiel für Postdocs, sollen eingeführt werden.
Die Fragen stellte Konrad Kästner.