Jun 15, 2020
Dresdner Wissenschaftler entwickelt individualisierte Protonentherapie der Zukunft
Die Hochpräzisionsstrahlentherapie ist der Forschungsschwerpunkt von Prof. Christian Richter. Er leitet am Nationalen Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie den Bereich der Medizinischen Strahlenphysik und folgt damit auf Prof. Wolfgang Enghardt.
Im Dresdner OncoRay-Zentrum, gemeinsam getragen von TU Dresden, Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und dem Universitätsklinikum, suchen zirka 80 Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche von Biologie über Medizin bis Physik nach Lösungen, Krebszellen noch effektiver zu bekämpfen. Ein Forschungsschwerpunkt von Prof. Richter wird dabei sein, mit seinem Team die physikalisch bestmögliche Strahlentherapie zu entwickeln, sodass gesunde Nachbarzellen der Tumore möglichst unbeeinflusst von der Behandlung bleiben – und das auch bei anatomischen Veränderungen im mehrwöchigen Therapieverlauf oder bei Bewegung während der Bestrahlung.
Seine Vision ist es, den Vorteil der gewebeschonenden Dosisverteilung der Protonen erstmals mit den Vorteilen einer Echtzeit-Anpassungsfähigkeit der Bestrahlung zu kombinieren. Dazu braucht es Bildgebung, Bestrahlungskontrolle und Adaption der Protonen-Bestrahlung in Echtzeit – und das in einem automatisierten, von künstlicher Intelligenz gestütztem Rückkopplungskreis, der die gesamte Bestrahlung überwacht und nachsteuert. Damit wird der klinische Vorteil der Protonentherapie an das physikalisch maximal Mögliche herangeführt.
Neue, innovative Verfahren soweit zu entwickeln, dass sie nicht nur auf dem Papier oder im Labor funktionieren, sondern tatsächlich so ausgereift sind, dass sie dem Patienten zu Gute kommen können - dieser Leitsatz zieht sich durch den beruflichen Werdegang von Prof. Christian Richter.
Der gebürtige Meißner hat zunächst an der TU Dresden Physik studiert. Als er 2006 seine Diplomarbeit anfing, nahm in Dresden das OncoRay-Zentrum seine Arbeit auf. „Das war ein Glücksfall“, so Prof. Richter. Er erkannte die Möglichkeit, mit Forschern aus verschiedenen Fachbereichen an medizinischen Fragestellungen zu arbeiten und die Lösungen auch konkret umsetzen zu können. „So eine enge Verzahnung von Wissenschaft und ärztlicher Praxis gibt es nur an sehr wenigen Stellen in der Welt“, sagt Prof. Richter. Dieser Umstand war es auch, der ihn zur Annahme der W3-Professur in Dresden motivierte. Mit der Berufung an der Medizinischen Fakultät wird Prof. Richter auch Leiter des Bereichs Medizinische Strahlenphysik im OncoRay, am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und in der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am UKD. Er folgt damit auf Prof. Wolfgang Enghardt.
Prof. Christian Richter und seinem Team ist es bereits gelungen, die Bestrahlungsplanung in der Protonentherapie mit Hilfe von innovativer Dual-Energy-Computertomographie (DECT) zu revolutionieren. Medizinphysiker des Dresdner OncoRay-Zentrums, des Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf sowie des in Heidelberg ansässigen Deutschen Krebsforschungszentrums haben ein Berechnungsverfahren entwickelt, das die Protonenreichweite im menschlichen Gewebe sehr exakt vorhersagt. „Wir können mit Hilfe der zusätzlichen DECT-Informationen die individuelle Gewebezusammensetzung des einzelnen Patienten viel besser berücksichtigen als mit einem konventionellen CT und damit das Abbremsen und Stoppen der Protonen genauer berechnen. „Uns ist es so gelungen, das Volumen des mitbestrahlten Gewebes im Umfeld von unbewegten Tumoren um bis zu 40 Prozent zu reduzieren. Unsere Patienten profitieren damit von der genauesten Protonentherapie-Planung auf der Welt.“, so der Medizinphysiker.
Aber auch mit dem neuen Verfahren zur Therapieplanung bleibt es eine besondere Herausforderung, die Bestrahlung im Verlauf der mehrwöchigen Behandlung an anatomische Veränderungen oder Bewegungen anzupassen. „Verliert ein Patient an Gewicht, schrumpft der Tumor oder beeinflusst die Atembewegung das Bestrahlungsgebiet, muss das bei der Protonenbestrahlung berücksichtigt werden - und zwar idealerweise unmittelbar während der laufenden Behandlung“, erklärt Prof. Richter. Und genau das will er in Zukunft angehen: „Wir wollen, zusammen mit der Medizintechnik-Industrie und akademischen Partnern, die nächste Generation der Protonentherapie entwickeln und in Dresden realisieren. Diese soll die Bestrahlung beobachten, kontrollieren und in Echtzeit mit Hilfe von künstlicher Intelligenz entscheiden, ob eine sofortige Anpassung erfolgen soll und ob diese sicher appliziert werden kann.
„Das ist ein Mammut-Projekt: Wir brauchen neue Lösungen für die Hardware, um Bildgebung und die direkte Überprüfung der Bestrahlung am Behandlungsplatz zu integrieren – gleichzeitig, und mindestens genauso wichtig, aber auch innovative Software-Lösungen, damit die Kontrolle und Anpassung der Bestrahlung sicher und vollautomatisiert ablaufen kann. Alles muss perfekt ineinandergreifen.“, beschreibt Richter die Herausforderung. Er setzt darauf, dass es zu wichtigen Bausteinen schon herausragende Vorarbeiten am OncoRay gibt. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Integration von Mangnetresonanz-Bildgebung während der Protonentherapie, eine andere mit der Überprüfung der Bestrahlung anhand von Sekundärstrahlung, sogenannter prompter Gammastrahlung, die bei der Interaktion der Protonen mit dem Gewebe entsteht, nach außen dringt und so wichtige Informationen liefert. Auch hier waren Professor Richter und sein Team die ersten, die dieses Verifikations-Verfahren am Patienten angewendet haben.
Doch auch die herkömmliche Strahlentherapie mit Photonen wird Prof. Richter weiter beschäftigen – die Klinik erhält gerade vier neue Bestrahlungsgeräte modernster Technik. Auch ein neuartiges Kombinationsgerät, welches Magnetresonanz-Bildgebung während der Bestrahlung mit Photonen ermöglicht, wurde gerade bewilligt. „Wir wollen unseren Patienten auch bei der konventionellen Strahlentherapie genauso wie bei der Protonentherapie das Beste des derzeit technisch und klinisch Möglichen bieten können.“
„In der deutschen Hochschulmedizin gehören wir auf den Gebieten neurodegenerativer Erkrankungen, Diabetes und nicht zuletzt der Krebsmedizin als Onkologisches Spitzenzentrum zu den Top-Institutionen in Deutschland. Zu diesem Umstand tragen Wissenschaftler wie Prof. Christian Richter bei, die an der Schnittstelle zwischen Forschung und medizinischer Praxis arbeiten, was unseren Patienten den schnellen Zugang zu modernsten Behandlungsmethoden ermöglicht“, sagt der Medizinische Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, Prof. Michael Albrecht.
Damit es auch künftig Wissenschaftler gibt, die sich diesen Forschungsthemen eng verbunden fühlen, liegt Prof. Richter der Master-Studiengang Medical Radiation Sciences besonders am Herzen. Auf vier Semester angelegt und 2005 gestartet, richtet er sich vor allem an junge Naturwissenschaftler und Ingenieure, die ihren ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss bereits in Tasche haben. Ziel ist die Ausbildung von Spezialisten für die medizinische Anwendung ionisierender Strahlung mit physikalischer Vertiefung. Dazu werden die Grundlagen in den Bereichen Physik, Chemie, Biologie, technischen Wissenschaften und Medizin vermittelt. „Wir freuen uns über die Berufung von Prof. Christian Richter, der seine Expertise im Bereich Medizinphysik durch die Lehre an der Medizinischen Fakultät an die nachfolgende Wissenschaftlergeneration weitergibt“, so Dekan der Medizinischen Fakultät Prof. Heinz Reichmann.
Informationen für Journalisten:
Prof. Christian Richter
OncoRay – National Center for Radiation Research in Oncology
Tel.: +49 351 458–6536