Feb 25, 2020
Ein intensives Leben für den Tanz hat sich vollendet
Im Gedenken an Aenne Goldschmidt (8. November 1920 bis 24. Januar 2020)
Maud Butter
»…. auf zwei müssen Sie schweben …«, dieser Satz ist sicher den meisten Tänzern in Erinnerung, die bei Aenne Goldschmidt ihren legendären Unterricht zum Thema Walzerschritte und -formen erleben durften oder bei der Einstudierung ihres »Ländlichen Walzers« zu technischer Präzision und natürlicher Interpretation geführt wurden.
Ende Januar verstarb die Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin im Alter von 99 Jahren im schweizerischen Basel. Nach ihrer Ausbildung zur Tänzerin und Pädagogin für tänzerische Gymnastik bei Emmy Sauerbeck in Bern tanzte sie vier Jahre am Stadttheater in Bern und assistierte der Schulgründerin weitere fünf Jahre.
Allerdings sah Aenne Goldschmidt ihre Berufung viel mehr im Ausdruckstanz, ihr Ziel war der tänzerisch expressive Ausdruck ihrer Vorbilder Isadora Duncan, Emil Jaques-Dalcroze, Rudolf von Laban, Martha Graham, Mary Wigman, Jean Weidt, Kurt Jooss, Harald Kreutzberg, Gret Palucca und Dore Hoyer. Gemeinsam mit ihrem Tanzpartner Roger George erarbeitete sie Tanzprogramme, die diesem Anliegen entsprachen und mit denen beide in der Schweiz und in Deutschland auftraten.
Nach ihrer Hochzeit mit dem Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt siedelte das Paar 1949 in die DDR über. Mit dem Ensemble von Jean Weidt an der Berliner Volksbühne, dessen Leitung sie 1950 übernahm, erhielt sie den Auftrag, ein deutsches Nationalprogramm für die Weltfestspiele 1951 in Berlin zu entwickeln. Dafür erhielt sie später den Nationalpreis der DDR.
Nach Jahren als künstlerische Leiterin und Chefchoreografin des Staatlichen Volkskunstensembles der DDR arbeitete sie freiberuflich und schrieb nach intensiver Feldforschung in verschiedenen Regionen Deutschlands das Standardwerk »Handbuch des deutschen Volkstanzes« sowie das dazugehörige »Vokabular deutscher Volkstanzschritte«.
Als Choreografin arbeitete sie weiter eng mit dem Staatlichen Volkskunstensemble in Berlin zusammen, das inzwischen von ihrer langjährigen Freundin und Kollegin Thea Maass geleitet wurde. Gemeinsam mit dem Komponisten Georg Katzer schuf Aenne Goldschmidt mit »Der Traumsand« eine Choreografie für Kinder, die sich bis heute großer Beliebtheit erfreut.
Von 1967 bis 1990 war sie ebenfalls im Theaterverband der DDR sehr aktiv und erreichte nach langen Auseinandersetzungen die Anerkennung des Tanzes als eigene Theatersparte und die Anerkennung der Choreografen als Autoren und Schöpfer der Tanzwerke. Außerdem erreichte sie mit dem Theaterverband, in dem sie Vorsitzende der Sektion Bühnentanz war, dass Tänzer schon ab 35 Jahren eine Künstlerrente erhielten, wenn sie nicht mehr tanzen konnten.
In unzähligen Weiterbildungsveranstaltungen gab sie jahrzehntelang ihr umfangreiches Wissen theoretisch und praktisch an Tanzpädagogen weiter. Man spürte dabei stets ihre große Leidenschaft für die Folklore und ihre Begeisterung über die Vielfalt der überlieferten Schritte, Formen und Tänze. Allen Teilnehmern sind dabei ihre fundierten Einführungsvorlesungen in bleibender Erinnerung, in denen sie oft fast zwei Stunden in freier Rede, und das absolut druckreif, über alle Facetten einer Tanzfamilie sprach, die anschließend tanzpraktisch behandelt wurde.
In den 1970er-Jahren begann Aenne Goldschmidt eine intensive Zusammenarbeit mit dem Folkloretanzensemble »Thea Maass« der TU Dresden unter seinem damaligen künstlerischen Leiter Gert Hölzel. Regelmäßig studierte sie ihre Choreografien mit den Tänzern ein, darunter »Ein Fasselabend in der Altmark«, »Winzertanz« und »Ein Ostertag in Hessen«. Hervorzuheben aus ihrem choreografischen Schaffen ist die beeindruckende Bauernkriegsballade »Die Bauern sind einig worden«, welche sie 1976 mit dem Folkloretanzensemble »Thea Maass« der TUD erarbeitete. Ehemalige Ensemblemitglieder berichten noch heute von der intensiven Probenarbeit zu dieser Ballade, bei denen sie die damalige Tänzergeneration zu interpretatorischen Höchstleistungen führte. Sie schaffte es, durch ihre vom Ausdruckstanz geprägte choreografische Handschrift Amateurtänzer zu eindrucksvollen Künstlerpersönlichkeiten zu entwickeln.
Ich lernte Aenne Goldschmidt 1983 in Thüringen kennen, zunächst als akribische Lehrerin, später als Meisterschülerin, ihre Nachfolgerin und Freundin. Beeindruckt hat mich besonders ihr enormes Arbeitspensum, das sie sich selbst verordnete. Sie führte mich mit großer Geduld und Umsicht in ihre Nachfolge ein; begonnen von theoretischen Analysen ganzer Volkstanzhefte, dem tanzpraktischen Vermitteln der deutschen Folklore, dem Verfassen eines gemeinsamen Buches bis hin zu choreografischem Handwerkszeug, welches sie mir vermittelte. Ihr gelang es, mich ebenso wie sie für die Folklore zu begeistern. Sie unterstützte mich unermüdlich bis zuletzt in meiner Arbeit als künstlerische Leiterin des Folkloretanz-ensembles. Ich bin sehr glücklich, dass ich gemeinsam mit einer neuen, jungen und engagierten Tänzergeneration ihre Choreografien in ihrem Sinne weiter pflegen kann.
Nun hat sich das Leben einer der bedeutendsten Choreografinnen, Tanzpädagoginnen und Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet der deutschen Bühnenfolklore vollendet. Alle, die von Aenne Goldschmidt ein Stück ihres Lebens begleitet wurden, sind dankbar für viele inspirierende Begegnungen mit einer faszinierenden Persönlichkeit.
Tänzerisch zum Jubiläum - Das TU-Folkloretanzensemble wird 70 Jahre alt
Das 70. Jubiläum des TU-Folkloretanzensembles »Thea Maass« wird mit einem großen Bühnenprogramm am 5. September 2020, ab 14 Uhr im Kulturhaus Freital gefeiert. Am Abend haben dann aktive und ehemalige Ensemblemitglieder bei einem Jubiläumsball die Gelegenheit, sich mit tanzbegeisterten Gästen auszutauschen und natürlich selbst das Tanzbein zu schwingen.
Nach dem Tod der Choreografin Aenne Goldschmidt ist es für alle Tänzer eine Herzensangelegenheit, deren Choreografien ganz im Sinne ihrer Schöpferin mit präziser Tanztechnik und natürlicher Interpretation auf der Bühne zu zeigen. Beim »Ländlichen Walzer« von Aenne Goldschmidt werden sie ganz sicher »auf zwei schweben«!
Karten zu 25 Euro (Bühnenprogramm) und 49 Euro (Ball inkl. Buffet) gibt es unter .
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 4/2020 vom 25. Februar 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.