Jun 09, 2020
Hitzköpfiges Patenkind im Lehmann-Zentrum
Das DLR vertraut CARA den TUD-Experten an – und die heizen damit den Nachbarn ein
Heiko Weckbrodt
Vor ziemlich genau fünf Jahren drückte die damalige Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) auf einen grünen Knopf und schaltete damit symbolisch den »HRSK-II« im Lehmann- Zentrum hinter der Informatik-Fakultät ein. Die blinkenden Einschubschränke des seinerzeit noch ganz neuen TUD-Supercomputers standen damals noch etwas einsam in einem ziemlich großen Serverraum, der nicht annähernd ausgelastet wirkte. Das hat sich inzwischen geändert: Das Zentrum füllt sich mehr und mehr mit besonders leistungsstarken Systemen für das »High Performance Computing« (HPC), also das Hochleistungsrechnen.
Jüngster Neuzugang ist das CARA-Cluster. Dieser Rechnerverbund gehört dem »Institut für Softwaremethoden zur Produkt-Virtualisierung« des »Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt«. Die DLR-Forscher wollen mit diesem Rechner der Petaflops-Klasse virtuelle Zwillinge für Flugzeuge modellieren, künftig aber auch Raumtransporter und die Eisenbahn-Züge der nächsten Generation simulieren. Ein Teilkomplex des »Computer for Advanced Research in Aerospace« (CARA) ist in Göttingen installiert, der größere Teil steht im Rechenzentrum der TU Dresden. Im Endausbau soll dieser Verbund eine Rechenleistung von über drei Billiarden Fließkomma-Operationen pro Sekunde (Petaflops) erreichen. Es handele sich damit um die »größte Anlage dieser Art in Europa, die fast ausschließlich für Luft- und Raumfahrt verwendet wird«, schätzten DLR-Experten ein.
Sie vertrauen dabei sehr auf die Erfahrungen des »Zentrums Informationsdienste und Hochleistungsrechnen« (ZIH) der TU Dresden mit warmwassergekühlten Supercomputern. »Dass dieses DLR-Institut überhaupt nach Dresden gekommen ist, hat auch mit der ZIH-Expertise im High-Performance-Computing zu tun«, ist ZIH-Direktor Prof. Wolfgang Nagel überzeugt. Das ZIH betreibe auf DLR-Wunsch den CARA, organisiere dessen Betriebssystem und die benötigten Software-Pakete und dergleichen Aufgaben mehr, berichtet der Professor.
Als besondere Spezialität der ZIH-Experten gelten die Warmwasser-Kühlung der Rechner und die damit gekoppelte Gebäudeheizung: Statt durch Luft oder kaltes Wasser kühlen die Dresdner die von ihnen betreuten Supercomputer mit Wasser, das anfangs etwa 40 Grad warm ist und durch die Prozessoren auf etwa 50 Grad erhitzt wird. Solch eine Warmwasserkühlung ist sehr energieeffizient. Der Stromverbrauch kann im Vergleich zu einer Kaltwasserlösung um mehr als ein Viertel sinken. »Geredet wird über diese Technik schon lange, bei uns funktioniert sie aber auch«, sagt Wolfgang Nagel. »Die Sparpotenziale sind enorm.«
Denn die so abgeführte Wärme bläst das Lehmann-Zentrum nicht einfach in die Umwelt, sondern heizt damit den Nachbarn ein. Das neue Institut für die Physiker um Professor Karl Leo auf der anderen Seite der Nöthnitzer Straße wurde gleich so gebaut, dass es mit den vom Supercomputer-Komplex gelieferten 50 Grad Wassertemperatur auskommt statt der üblichen 80 Grad Wassertemperatur in normalen Fernheizungen. In Frage komme diese Technik aber nur für Neubauten, betont Prof. Nagel: Die Gebäude brauchen Flächenheizsysteme, die in die Fußböden und Wände integriert sind.
Wenn in den nächsten Jahren das Bürogebäude des Lehmann-Zentrums und das DLR-Zentrum in unmittelbarer Nachbarschaft fertig werden, wollen die TUExperten auch diese Komplexe mit ihren heißen Rechnern verkuppeln. »Und das sind dann richtig große Abnehmer«, sagt der ZIH-Chef. »Im Lehmann-Zentrum werden rund 600 Leute arbeiten.«
Dass ihm die Heizenergie knapp werden könnte, glaubt Nagel aber nicht: Neben dem jüngst aufgestellten »CARA« haben auch die Dresdner Max-Planck- Institute für Physik komplexer Systeme (PKS) und für molekulare Zellbiologie und Genetik (CBG) ihre Systeme im Lehmann-Zentrum. Zudem hat das ZIH selbst erst kürzlich für vier Millionen Euro noch mal ein weiteres eigenes Cluster mit 25 000 Rechenkernen sowie ein 48 Terabyte großes Hauptspeicher-System für schnelle Datenzugriffe im Lehmann- Rechenzentrum installiert. Ein Spezialsystem mit Grafikprozessoren folgt demnächst – es ist für das wachsende »Zentrum für skalierbare Datenanalyse und künstliche Intelligenz« (»ScaDS.AI Dresden/Leipzig«) vorgesehen.
Zusätzliche Aufstockungen sind in den nächsten Jahren absehbar – nicht zuletzt wegen der Schwerpunkte »Künstliche Intelligenz« (KI) und »Big Data«, die in der TUD-Forschung eine immer größere Rolle spielen. Platz genug ist dafür im Lehmann-Zentrum: »Derzeit ist noch rund ein Drittel der Fläche frei«, verrät Prof. Wolfgang Nagel.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 11/2020 vom 9. Juni 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.