Jun 25, 2019
Hörsäle waren auch Rocktempel
Studentenkultur: In den Siebziger- und Achtziger-Jahren erwiesen sich Studentenklubs als Konzerthochburgen
Mathias Bäumel
Keine Gegenwart ohne Vergangenheit. Und keine Zukunft ohne die vorherige Gegenwart. Als nach der Wende die Studentenwerke mit dem Sächsischen Studentenwerksgesetz (SächsStwG, veröffentlicht am 7. Januar 1993) auch die Aufgabe zugewiesen bekamen, »für die Studenten der ihnen zugeordneten Hochschulen Dienstleistungen auf
... kulturellem Gebiet zu erbringen« – §1 (3) –, konnte diese neugegründete Einrichtung auch auf eine reichhaltige Kulturlandschaft innerhalb und um die Dresdner Hochschulen zurückgreifen.
Natürlich sollte nicht übersehen werden, dass die großen Namen aus dem Westen anfangs gar nicht, später immer noch selten genug hier auftraten, und es darf auch nicht verkannt werden, dass es immer wieder ideologische Gängeleien gab – bis hin zu ernsten Folgen für einige, die Kritik am realen Sozialismus übten und dafür Kulturveranstaltungen nutzten.
Aber die Veranstaltungslandschaft war an Vielfalt und Menge beindruckend und brachte auch immer wieder Eigenwertiges hervor. Veranstalter waren meist die Freie Deutsche Jugend (FDJ) mit ihrem Zentralen Studentenklub an der TU Dresden und dessen »Außenstellen« wie der Bärenzwinger, die »Spirale« oder der »Klub Neue Mensa« (seit 1981) oder die Studentenklubs an anderen Hochschulen wie der StC65 bzw. der Pauke(r) an der Pädagogischen Hochschule.
Dabei hatte »Club« oder »Klub« eine Doppelbedeutung: einmal ein gemütlicher, meist kleiner Raum zum Treffen, Bier- oder Kaffeetrinken oder für Kleinveranstaltungen (zum Beispiel Lesungen oder Liederabende), andererseits ein Veranstalter teils größerer Konzerte oder Aufführungen, wobei Veranstaltungsorte dann häufig die Hörsäle oder Mensen (Mathematik- und Physikhörsaal an der TU; der sogenannte BAR I/90, heute Schönfeld-Hörsaal) waren oder auch die Mensa der PH.
Schaut man die früheren Zeitungen der Hochschulen (Akademie-Echo, Hochschulzeitung der PH, Nachrichten und Mitteilungen der HfV und die Universitätszeitung der TU) nach Konzert-ankündigungen und -berichten durch, ist Augenmaß geboten: Jazz-, Rock- und Popmusik (einst auch »Beat« genannt) galten viele Jahre lang – genrebedingt in unterschiedlichem Ausmaß – als künstlerisch geringwertig oder gar »ideologisch gefährlich«. Man sollte also davon ausgehen, dass längst nicht alle realen Konzerte Eingang in die eher propagandistisch orientierten Hochschulzeitungen fanden – und dies in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre noch viel seltener als in den späten Achtzigern.
So verbirgt sich hinter der Erwähnung »eines Jazzabends« in der Hochschulzeitung der PH Dresden (13/1969; 22. September 1969, S. 4, Rubrik »Unser Klubleben«) ein großes und in der Region einflussreiches Konzert des gerade aus der Klaus Lenz Modern Jazz Big Band 65 hervorgegangenen Klaus-Lenz-Orchesters in der Mensa der PH. Diese überwältigende, ausverkaufte Show verwandelte viele junge Konzertbesucher in begeisterte Jazz-Adepten.
Moderner Jazz spielte im Dunstkreis der Hochschulen auch später regelmäßig eine Rolle. So konzertierte das Hubert Katzenbeier Quintett am 27. September 1977 im Hörsaal BAR I/90, dem späteren Schönfeld-Hörsaal. In dieser Zeit starteten die Jazztage der TU Dresden mit ihrer ersten Ausgabe – am 13. Oktober 1977 mit Synopsis (der ersten Freejazz-Band der DDR, die zu europaweiter Berühmtheit gekommenen war) und dem Conny Bauer Quartett, wiederum im BAR I/90. Und beide Tage darauf gab es Konzert und Tanz mit Blues und Oldtime – in der bisherigen HO-Gaststätte »Glück Auf«, nun Studentenklub Nöthnitzer Straße (dann »Spirale«). Dort ging es am 29. November 1977 mit dem Duo Baby Sommer/Ulrich Gumpert weiter.
Es folgten im Laufe der Zeit im Hörsaal BAR I/90, in weiteren Hörsälen, in der »Spirale« und auch im Bärenzwinger eine Vielzahl von Konzerten mit der Crème de la Crème des zeitgenössischen Jazz der DDR (Osiris, Katzenbeier, Joe Sachse), mit Gospelsongs, auch mit Modern-Jazz-Gruppen aus dem Ausland (Karel Velebny SHQ).
Selbstverständlich boten die Studentenklubs nicht nur Jazz an. Es gab regelmäßig Rockkonzerte – nicht nur fast wöchentlich solche mit regional bedeutenden Bands wie Simple Song, Rosalili, Zebra, Juckreiz, sondern auch »große Kisten« mit Gruppen DDR-weiter Bedeutung wie Cäsars Rockband, Pankow oder den Gitarreros (5. Februar 1986 im Großen Physikhörsaal).
Schon frühzeitig, am 29. Oktober 1976, fand im Physik-Hörsaal der TU Dresden eine rockgeschichtliche Premiere statt – erstmals in Deutschland überhaupt spielte die aus Bratislava stammende Band Fermáta, die später als »Mahavishnu Orchestra des Ostens« berühmt wurde.
Auch Blues-Wochenenden, das Bluesfestival, das bald ein internationales wurde, oder auch immer wiederkehrende Einzelauftritte von Kerth und Engerling prägten die Konzertkalender. Die Universitätszeitung 10/1986 meldete: »Fast 3000 Blues-Anhänger erlebten im April ein heißes Blues-Wochenende in der ausverkauften Neuen Mensa!«
In kleinerem Rahmen gab es Konzerte mit Electronic Pop, so mit Hans-Hasso Stamer oder Pond. Bevorzugt in Wohnheim-Klubs fanden regelmäßig Folklore- und Songveranstaltungen statt. Und auf die große Beliebtheit der opulenten Faschingspartys – stets auch mit deftigem Rock im Programm – in der Alten Mensa Mommsenstraße, in den Mensen der PH und der HfV Dresden, auch im »Güntz« und in der Kunsthochschule hinzuweisen, hieße Eulen nach Athen tragen. Zur Vorbereitung der Faschingsbälle – so wichtig wurden die genommen! – schloss sogar zeitweise der Studentenklub »Spirale«, weil er als Malsaal für die überbordenden Dekorationen gebraucht wurde.
Bemerkung am Rande: Nachdem sich Nachbarn wegen der großen Lautstärke bei Rockkonzerten beschwert hatten, wurden am 14. April 1984 in der Mensa Mommsenstraße Pegelmessungen innen und außen durchgeführt. Den Rekord soll die Gruppe Metropol halten mit einer Dezibel-Zahl unmittelbar unter der eines startenden Flugzeuges. Konsequenzen für den Veranstalter gab es offenbar keine. Das fand Simon Bretschneider bei einem Archivbesuch heraus.
Insgesamt lässt sich wohl feststellen, dass in den Siebziger- und Achtzigerjahren pro Woche mehrere Live-Konzerte der verschiedensten Genres zum kulturellen Alltag der Studenten in Dresden gehörten, wobei das breit gefächerte Angebot auch von der Bevölkerung Dresdens und darüber hinaus gern mitgenutzt wurde.
Am 4. Dezember 2019 (Einlass 16.30 Uhr) findet im Audimax (HSZ) die Festveranstaltung zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des Studentenwerks statt. Aus diesem Anlass erscheint eine Festschrift, die auch einen Artikel zu Studentenklubs enthalten wird.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 12/2019 vom 25. Juni 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.