17.09.2019
Ist ja bloß eine Wiese? - Ökologische Vielfalt auf dem Campus der TUD
Schmetterlingswiesen: Der lange Weg zu mehr ökologischer Vielfalt auf dem Campus der TU Dresden
Anne Vetter
Der Weg zurück zu ökologischer Vielfalt ist mühsam. An Erkenntnis mangelt es nicht – insbesondere an einer Einrichtung wie der Technischen Universität Dresden. Es gibt genügend Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen, die darlegen können, was notwendig wäre, um ein Lern- und Arbeitsumfeld umweltfreundlich(er) zu gestalten. Das Problem ist der Alltag. Bei über 32 000 Studenten und mehr als 8000 Beschäftigten ist der menschliche Platzbedarf groß – für Seminarräume, Büros, Parkplätze, Erholungsflächen, Wege, und, und, und. Das Ergebnis: Der Platz für die Natur schrumpft. Hinzu kommt, dass der weitläufige und von großen Straßen und Wohngebieten durchschnittene Zentralcampus der TU Dresden in der Südvorstadt alles andere als leicht zu gestalten ist.
Dennoch hat sich die Universität vorgenommen, der Natur in ihrem unmittelbaren Umfeld mehr Raum zu geben. Das Umweltmanagement, angesiedelt im Dezernat Liegenschaften, Technik und Sicherheit, startete 2017 das Projekt »Nachhaltiger Campus« und lobte unter anderem den Ideenwettbewerb »Träumen ist erlaubt, Visionen sind erwünscht, Ideen sind gefragt« aus. Eine der Preisträgerinnen war Dr. Thea Lautenschläger, Gruppenleiterin am Institut für Botanik, mit der Idee, Schmetterlingswiesen auf dem Campus entstehen zu lassen.
»Blühwiesen sind aus botanischer Sicht ein unglaublich vielfältiges Biotop. Das ist vielen Menschen nicht bewusst. Sie bieten unterschiedlichsten Insekten und Pflanzen eine Heimstatt. Gerade in der Stadt sind nach ökologischen Kriterien bewirtschaftete Wiesen enorm wichtig, um dem verheerenden Insektensterben etwas entgegenzusetzen«, erklärt Thea Lautenschläger die Beweggründe für ihren Vorschlag. Abgesehen davon sind die Wiesen auch fürs Biologie-Studium nützlich: Über das Langzeit-Monitoring können Studenten die Entwicklung der Pflanzen- und Tierwelt dokumentieren.
Jetzt, zwei Jahre nach dem Ideenwettbewerb, gibt es erste sichtbare Erfolge. Auf insgesamt 2,6 Hektar werden mittlerweile an acht Standorten Wiesen insektenfreundlich bewirtschaftet. Vor dem Biologie-Gebäude am Zelleschen Weg blühen die lilafarbene Acker-Kratzdistel und die etwas dunklere Skabiosen-Flockenblume neben dem gelblichen hohen Fingerkraut und der Bastard-Luzerne.
Man sieht der Wiese nicht mehr an, dass der Projekt-Start 2018 sehr kurzfristig und dementsprechend chaotisch war. »Es mussten für die Pflege der Wiesen viele Menschen einbezogen und dementsprechend viele Absprachen getroffen werden. Das brauchte Zeit. Aber jetzt sind wir auf einem guten Weg«, ist Ulrike Seiler, Projektkoordinatorin des Nachhaltigen Campus, überzeugt.
Eigentümer der Gebäude und Flächen ist nicht die TU Dresden, sondern das Sächsische Immobilien- und Baumanagement, kurz SIB. Diese beauftragen für die Pflege der Grünflächen eine Firma, die nach den Vorgaben des SIB arbeitet. »Das sind alles Fachleute. Sie brauchen aber genaue Informationen über unsere Vorstellungen. Denn anders als andere Grünflächen sollten die Blühwiesen nicht häufiger als zweimal im Jahr und dann auch nur in bestimmten Teilstücken und mit speziellen Mähwerkzeugen gemäht werden, damit nicht die gesamten Insektenpopulationen auf einen Schlag wieder verschwinden«, führt Seiler aus. Dank des inzwischen direkten Kontakts zur Pflegefirma und genauen Lage- bzw. Mahd-plänen funktioniert die Zusammenarbeit deutlich besser als 2018.
Auf Hinweis von Thea Lautenschläger werden für die Mahd sogenannte Balkenmäher verwendet, die das Grün wenige Zentimeter über dem Boden an einer Stelle abschneiden. So werden die Kleinstlebewesen nicht samt Pflanzen zerhäckselt. Das Mahdgut bleibt danach für einige Tage unzerkleinert auf der Wiese, damit die Insekten in die ungemähte Fläche wandern können. »Wiesenpflanzen sind relativ unverwüstlich, sie kommen schnell wieder. Wenn jedoch die Insekten erst einmal vertrieben sind, bleiben sie für lange Zeit verschwunden«, erklärt Thea Lautenschläger. Dies ist auch der Grund dafür, dass auf den neuen Schmetterlingswiesen weniger Insekten unterwegs sind als erwartet. Aber zumindest die Grillen haben sie bereits hörbar »bezogen«.
Erstmals wurde in diesem Jahr eine Praktikumsstelle in der Biologie ausgeschrieben, um die Pflanzen- und Insektenarten der Schmetterlingswiesen zu dokumentieren. Nicole Rüsing, Masterstudentin der Biologie im 3. Semester, verfolgte seit dem Frühjahr mit Fotoapparat und analoger sowie digitaler Bestimmungsliteratur Wachstum und Besiedlung. »Ich bestimme die Pflanzen in erster Linie mit dem Rothmaler. Als Kontrolle nutze ich die Pflanzenapp Plantnet. Sie funktioniert über Fotos und ich weiß dann, ob ich richtig liege. Nach einer weiteren Kontrolle bekommt Thea Lautenschläger eine Gesamtartenliste, damit die Botanik eine Übersicht hat. Die Insekten melde ich direkt auf der Schmetterlingsseite.« Außerdem kümmert sich Nicole Rüsing unter schmetterlingswiesen.de um den TU-eigenen Blog, so dass alle Interessierten sofort wissen, was auf den einzelnen Wiesen passiert.
Allerdings gehört auch das Einsammeln von Müll zu Rüsings wöchentlichen Aufgaben. Denn die kleinen grünen Biotope werden – oftmals aus Unwissenheit – auch als Erholungs- oder Partyplatz genutzt. Das Kernproblem bleibt ungelöst. Denn das Interesse an den Schmetterlingswiesen ist groß. Nicht nur bei denen, die sich entspannen, sondern auch bei denen, die den »freien« Platz für Gebäude oder Ausweich-Container nutzen wollen.
»Viele denken, ist ja nur ’ne Wiese«, erzählt Thea Lautenschläger über den schwierigen Kampf für mehr Natur in der Stadt. Wenn die mühevoll angelegten Biotope wieder verloren gehen, ist das frustrierend. Ihr Traum wäre, dass die große Bedeutung der Wiesen für die biologische Vielfalt erkannt und stärker beachtet würde: »Ich könnte mir eine Art ›Grünes Band‹ durch den Campus vorstellen. Da wären die Populationen nicht mehr so vereinzelt. Sie könnten sich austauschen und tatsächlich wachsen.«
Ulrike Seiler hofft, dass im kommenden Jahr zumindest zwei, drei neue Wiesen als Schmetterlingswiesen deklariert werden. Ideen, welche Plätze das sein könnten, hat sie bereits. Einfach ist die Einrichtung nicht. »Anders als im Privatgarten ist das alles öffentliches Gelände. Da müssen viele abgeholt werden«, umschreibt sie diplomatisch die zu leistende Überzeugungsarbeit. Denn nicht nur Anwohner, die Unkraut und Schädlinge fürchten, sondern auch Universitätsmitarbeiter müssen von dem Projekt überzeugt werden. Die Gewohnheit, dass Grünflächen sieben bis zehn Mal im Jahr gemäht werden, damit alles schön ordentlich aussieht, weicht nur langsam.
Dabei würden oft schon kleine Blühinseln helfen: »Warum nutzen wir nicht den Platz um die Bäume und pflanzen dort beispielsweise wilden Majoran an? Der sieht gut aus und gibt vielen Insekten Nahrung«, erklärt Thea Lautenschläger. »Am Ende ist jeder kleine Fleck gut, der nachhaltig bewirtschaftet wird.«
Lesetipps
Wer mehr über Wiesenpflanzen und Insekten wissen möchte, dem seien folgende Bücher empfohlen:
Die Kosmosbücher geben Laien einen gut verständlichen Überblick, z.B. der Insektenführer von Heiko Bellmann
Der »Wildbienen-Schaugarten« von Mandy Fritzsche enthält Portraits von Wildbienen mit den zugehörigen Lieblingsblumen
Interessant für Fortgeschrittene, aber nur noch gebraucht zu kaufen, ist das Buch »Käfer Mittel- und Nordwesteuropas. Ein Bestimmungsbuch für Biologen und Naturfreunde« von Jiri Zahradnik (Paul Parey); für die Bestimmung eignet sich die Seite: www.kerbtier.de
Für Schmetterlings-Liebhaber: »Schmetterlinge. Die Tagfalter Deutschlands« von Settele, Steiner, Reinhardt etc. Ulmer Naturführer
Für fortgeschrittene Pflanzenfreunde bleibt der Rothmaler das Standardwerk. Mittlerweile gibt es einen Bildband dazu, der die Bestimmung einfacher macht. Für Anfänger eigenen sich zur Bestimmung aber auch Pflanzenapps und -foren
Wer mehr über Garten- bzw. Pflanzentipps erfahren möchte, ist beim NABU gut aufgehoben:
www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/tiere/insekten/20386.html
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 14/2019 vom 17. September 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.