12.05.2020
Kultur als Hoffnung
Ein TUD-Projekt untersucht, wie französische Kriegsgefangene im Lager »Elsterhorst« bei Hoyerswerda überlebten
Beate Diederichs
In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges waren französische Offiziere in einem Lager bei Hoyerswerda interniert, das »Elsterhorst« hieß. Ein gleichnamiges Projekt an der TUD untersucht seit einigen Jahren, wie die Gefangenen dort mit Theater, Chören oder einer eigenen Universität versuchten, ihr Dasein im Lager erträglicher zu machen. Am 5. März knüpften die Organisatoren bei einem Workshop die ersten Bande für ein künftiges Netzwerk zum Thema.
Hohnstein, Bautzen, Hoheneck, Pirna-Sonnenstein: Namen von Orten, an denen während zweier Diktaturen im 20. Jahrhundert auf dem Gebiet des heutigen Sachsen Menschen Unrecht geschah – und die dafür bekannt und zu Gedenkstätten geworden sind. Dagegen kennt kaum jemand das ehemalige Lager »Elsterhorst« bei Hoyerswerda, wo zwischen 1940 und 1945 zahlreiche französische Kriegsgefangene inhaftiert waren. »Als OFLAG IV D – der erste Teil der Abkürzung steht für Offizierslager – beherbergte dieses auf dem heutigen Gelände eines Segelflugplatzes gelegene Lager ausschließlich ranghöhere Soldaten «, berichtet Kristian Raum, der als Lehrer im Hochschuldienst am ZLSB (Zentrum für Lehrerbildung, Schul- und Berufsbildungsforschung) der TUD tätig ist. Kristian Raum stammt selbst aus Hoyerswerda und besuchte das Lager mehrfach bei geschichtlichen Exkursionen in den neueren Teil seiner Heimatstadt. »Den Namen ›Elsterhorst‹ erhielt der Ort zu NS-Zeiten. Heute heißt die kleine Gemeinde sorbischen Ursprungs bei Hoyerswerda wieder Nardt, und das Gelände gehört zur Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule Sachsen«, erläutert Kristian Raum weiter. Das ehemalige Lager bildet einen Kernpunkt des Projekts »Elsterhorst«, das Raum 2016 an der TUD initiierte, weil er fand: Das Thema des französischen Kriegsgefangenenlagers ist so interessant, dass es nach vertiefender Forschung verlangt. Das Stadtmuseum Hoyerswerda, zu dem das Lager als Außenstelle gehört, hatte er bereits mit ins sprichwörtliche Boot geholt.
Seit fast vier Jahren wird unter dem Dach des Projekts in verschiedenen Formaten geforscht. Die grundsätzliche Frage dabei ist: Welche kulturellen Überlebensstrategien entwickelten die Inhaftierten, um ihr Dasein im Lager zu ertragen? Man weiß, dass sie Theater spielten, im Chor sangen und sogar eine kleine Universität gründeten: Kultur als Hoffnung. Es gibt aber immer noch unerforschte Tagebuchaufzeichnungen, literarische Texte, das meiste naturgegeben auf Französisch, dazu Zeichnungen, aber auch Krankenlisten und Berichte über Fluchtversuche. Interessierte können sich dem Thema aus kulturwissenschaftlicher, historischer oder literarischer Sicht nähern. Letzteres tut Mikhail Murashov mit seinem geplanten Dissertationsprojekt am Institut für Romanistik der TUD, das sich dem »OFLAG IV D als literarischem Ort« nähert. Innerhalb des Projektes fanden regelmäßig Seminare statt, gehalten von Mikhail Murashov und Kristian Raum, außerdem Exkursionen.
»Momentan stehen wir mit dem Projekt an dem Punkt, wo wir überlegen: Bleibt es bei dem, was wir bisher erforscht haben, oder soll es mehr werden? «, sagt Kristian Raum und spricht damit auch für sein Projektteam, das außer ihm aus Mikhail Murashov, Caroline Siebert vom ZLSB und Martin Reimer vom Institut für Geschichte besteht. Daher lud das Team am 5. März zu einem Workshop zum Thema des Projekts, der interessierte Teilnehmer ermuntern sollte, sich zu vernetzen. Kristian Raums eigene Stelle läuft im Sommer aus, und er möchte das Projekt gerne unabhängig von seiner Person an der Hochschule verstetigt wissen. »Wir haben zum Beispiel Frau Professor Böhm, die Direktorin des Centrums Frankreich/ Frankophonie an der TUD, eingeladen, weil wir unser Projekt im thematischen Bereich dieser Einrichtung verorten wollen«, kommentiert er. Mit dem Stadtmuseum Hoyerswerda, dessen Leiterin Kerstin Noack ebenfalls anwesend war, kooperiert das Projekt ohnehin. »Es gibt derzeit Pläne, die verbliebenen Elsterhorst- Lazarettbaracken abzureißen, weil die Landesfeuerwehrschule mehr Platz braucht. Dagegen kämpfen wir gemeinsam «, so der Projektleiter. Außerdem waren Vertreterinnen der Museumspädagogik von Schloss Colditz und der Festung Königstein gekommen. An diesen beiden Orten gab es zu NS-Zeiten ebenfalls Kriegsgefangenenlager. »Uns ist der Austausch wichtig. Mit Romanisten zusammenzuarbeiten, wäre für uns etwas Neues und sicher interessant«, sagt Dr. Maria Pretzschner, Museumspädagogin der Festung Königstein. Die Ideen von Kristian Raum und seinen Kollegen sind damit noch nicht erschöpft. Sie möchten einen Förderantrag für das Projekt stellen und mit anderen Fachbereichen der TUD Kontakt aufnehmen. »Elsterhorst drängt sich regelrecht als außerschulischer Lernort für Schulklassen auf«, beschreibt Kristian Raum seinen Vorstoß in Richtung Schulen. Für Studenten gebe es zudem die Möglichkeit, sich punktuell einzubringen, indem sie Originalquellen übersetzen oder zusammenfassen.
Bei Workshop-Teilnehmerin Carolin Hauer, angehende Lehrerin an Förderschulen, sind die Ideen auf fruchtbaren Boden gefallen. »Ich finde das Thema faszinierend, vor allem den Aspekt, wie die Insassen des Lagers versuchten, kreativ der täglichen Tristesse etwas entgegenzusetzen. Die Fähigkeit, mit solchen Situationen klarzukommen, nennen wir heute Resilienz«, sagt die Leipzigerin. Wenn sie ihr Referendariat beendet hat, kann sich Carolin Hauer gut vorstellen, mit ihren zukünftigen Klassen Elsterhorst zu besuchen und Projekte dazu durchzuführen.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 9/2020 vom 12. Mai 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.