Nov 15, 2013
Gehirnforscher bringt Licht in die „dunkle Materie“ der Nervenzellen
Welche Mechanismen regulieren die Ausdifferenzierung von
Stammzellen zu Nervenzellen? Einige Antworten darauf finden
sich in dem früher abwertend als Schrott bezeichneten Teil der
nicht-codierenden Erbsubstanz, der „dunklen Materie“. Erst seit
diesem Jahr sind neue Messmethoden bekannt, die direkt diese
Erbsubstanzen identifizieren können. Dr. Federico Calegari vom
DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden –
Exzellenzcluster an der TU Dresden (CRTD) hat nun eine erste
Mauslinie entwickelt, mit der er die zeitliche und örtliche
Regulationen von Erbsubstanzen der „dunklen Materie“ exakt bei
der Differenzierung von Nerven-Stammzellen zu Tochterzellen und
Proteinen nachvollziehen kann. Die Ergebnisse sind jetzt im
Fachjournal „The EMBO Journal“ veröffentlicht worden (DOI:
10.1038/emboj.2013.245).
In allen Lebewesen enthalten Gene die Erbinformation. Gene
liegen in der DNA in Molekülketten aufgebaut aus vier
Bausteinen in verschiedenen Reihenfolgen vor, die die
Information für die Entwicklung und Funktion eines gesamten
Lebewesens beinhaltet. Über die Erbinformation der Gene werden
Ribonukleinsäuren (RNA) hergestellt, von denen eine wichtige
Gruppe wiederum die Bauanleitung für Proteine (Eiweiße)
enthält, die für die biologische Entwicklung eines Lebewesens
und den Stoffwechsel in der Zelle notwendig sind. Doch nur ein
Bruchteil der Zell-DNA besteht aus Genen. Mehr als 95 Prozent
der menschlichen DNA machen nicht-codierte Erbsubstanzen aus,
die keine Bauanleitungen für Proteine enthalten. Diese
nicht-codierende DNA, die „dunkle Materie“, kann erst seit
kurzem mit neuentwickelten Messemethoden identifiziert werden.
Die „dunkle Materie“ reguliert die Aktivitäten der Gene. Bei
Störungen können falsche Gene aktiviert oder Zellen
unerwünschte Eigenschaften verliehen werden.
„Stammzellen, differenzierte Vorläuferzellen und neue
Nervenzellen liegen in einer vermischten Zellpopulation bei der
Entwicklung des Gehirns vor, ebenso nicht-codierende
Erbsubstanzen“, erläutert Dr. Federico Calegari. „Aus diesem
Gemisch wollten wir bestimmen, welche Gene und
nicht-codierenden Erbsubstanzen wichtig für die Teilung der
Nervenstammzellen sind.“ Gemeinsam mit den Doktorandinnen
Julieta Aprea und Silvia Prenninger hat er eine neue Mauslinie
geschaffen, um in vivo Transkriptionsgene zu identifizieren.
Dafür ist eine Mauslinie kombiniert mit rot und grün
fluoreszierenden Reporterproteinen als Marker gezüchtet worden,
die Populationen der Stammzellen, Tochterzellen und
neugebildeten Nervenzellen in der örtlichen und zeitlichen
Regulation bei der Gehirnbildung sichtbar macht. Mit Hilfe des
Next Generation Deep Sequencing können Calegari und Aprea nun
auch die Aktivität der Transkriptionsgene der jeweiligen
Zellpopulationen viel genauer bestimmen.
Die nicht codierende Erbsubstanz Miat der „dunklen Materie“
haben die Dresdner Gehirnforscher dabei genauer untersucht. „Im
Kern der Nervenzelle kann Miat als winzige Punkte sichtbar
gemacht werden“, berichtet Julieta Aprea. Niemand wusste
bisher, welche Funktionen Miat besitzt.“ Die RNA setzt in
biologischen Zellen die genetische Information in Proteine um,
der Informationsträger hierfür ist die sogenannte Messenger-RNA
(mRNA). Eine Vorstufe der mRNA beinhaltet
nicht-codierende Gen-Teile (Introns) und Teile, die nach dem
Spleißen bleiben (Exons). Mit dem Spleißen werden die
nicht-codierenden Gen-Teile entfernt und die angrenzenden Exons
zur fertigen mRNA verknüpft. Federico Calegari resümiert: „Wir
konnten nachweisen, dass Miat das sogenannte Spleißen der
neuronalen mRNA kontrolliert, damit auch die Erzeugung neuer
Nervenzellen. Wie genau das mechanisch funktioniert, wissen wir
noch nicht.“
Das Mausmodell der Dresdner Wissenschaftler, das das exakte und
sichtbare Nachverfolgen von Populationen der Stammzellen, deren
Tochterzellen und neuen Nervenzellen sowie
nicht-codierenden Erbsubstanzen erlaubt, ist ein bedeutender
Fortschritt für die Stammzellforschung und die Entwicklung
neuer Therapien für neurodegenerative Erkrankungen oder
Verletzungen des zentralen Nervensystems.
Publikation:
Julieta Aprea1, Silvia Prenninger1, Martina Dori1, Laura
Sebastian Monasor1, Elke Wessendorf1, Sara Zocher1, Simone
Massalini1, Tanay Ghosh2, Dimitra Alexopoulou1, Mathias
Lesche1, Andreas Dahl1, Matthias Groszer2, Michael Hiller3,4
and Federico Calegari1: Transcriptome Sequencing During Mouse
Brain Development Identifies Long Non-Coding RNAs Functionally
Involved in Neurogenic Commitment. The EMBO Journal, DOI:
10.1038/emboj.2013.245
1) DFG–Research Center and Cluster of Excellence for
Regenerative Therapies, Dresden, Germany
2) Institut du Fer à Moulin, INSERM UMR-S 839, Université
Pierre & Marie Curie, Paris, France
3) Max Planck Institute of Molecular Cell Biology and Genetics,
Dresden, Germany
4) Max Planck Institute for
the Physics of Complex Systems,
Dresden, Germany
Grafik (Ausschnitt): Die neue Generation einer transgenen
Mauslinie kann das erste Mal Stammzellen (rot) und Nervenzellen
(grün) in einem lebenden Mausembryo sichtbar machen.
©CRTD/Federico Calegari
Informationen für Journalisten:
Birte Urban-Eicheler,
Pressesprecherin CRTD/DFG-Forschungszentrum für Regenerative
Therapien Dresden – Exzellenzcluster an der TU Dresden,
Tel.: 0351 458-82065
http://www.crt-dresden.de