Mar 02, 2021
Plaste ist für den Müll viel zu kostbar
Die Kunststoffschmiede verarbeitet Plasteabfälle aus TUD-Laboren – Start-up »HolyPoly« gegründet
Anne Vetter
Ohne einen Bewusstseinswandel geht es nicht, ist Bettina Weber vom Konglomerat e.V. überzeugt: »Wir müssen begreifen und danach handeln, dass Kunststoffe so viel wert sind wie Gold. Ganz besondere Werkstoffe eben.« Gerade scheint es jedoch, dass die Corona- Pandemie sämtliche Bemühungen, mit Kunststoffverpackungen sorgfältiger umzugehen, zunichtemacht. Die Europäische Umweltagentur (EEA) jedenfalls schlägt angesichts der wachsenden Berge von Schutzmasken, Einwegausrüstungen und Einwegverpackungen Alarm. Weg vom Wegwerfen hin zu einer nachhaltigen und zirkulären Kunststoffwirtschaft lautet der dringende Appell.
Auf diesen Weg hat sich das Konglomerat bereits 2017 mit der Gründung der Kunststoffschmiede gemacht. Inspiriert von der »precious plastic«-Bewegung des Niederländers Dave Hakkens suchten Studierende der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) einen Ort in Dresden, wo sie selbst eine Maschine zum Recycling von Plaste bauen konnten, um daraus neue Produkte zu entwickeln. An der HTW war kein Raum frei. Beim Konglomerat eigentlich auch nicht, »aber wir fanden die Idee so gut, dass wir in unserer Metallwerkstatt Platz für die erste Maschine geschaffen haben«, erzählt Bettina Weber. Nicht nur die Vereinsmitglieder, auch das Bundesumweltministerium war von dem Recyclingprojekt begeistert und förderte es 2018 über das Programm »Kurze Wege für den Klimaschutz«. »Mit dem Geld konnten wir die Infrastruktur weiterentwickeln und ein pädagogischdidaktisches Konzept entwerfen«, sagt Weber. Während die studierte Kindheitspädagogin Bildungsworkshops für Kinder und Erwachsene konzipierte sowie Mitmach-Aktionen und Schulprojekte plante, konnte der Verein Container für die Materiallagerung und -verarbeitung anschaffen. Endlich war genügend Platz für die Arbeit in der Kunststoffschmiede, deren Workshops vor der Corona-Pandemie sehr gefragt waren. Ihr Material dafür bekamen und bekommen sie unter anderem vom Max-Planck-Institut, dem Universitätsklinikum und der TU Dresden.
»Wir sind vor ungefähr zwei Jahren auf die Kunststoffschmiede aufmerksam geworden«, erzählt Lisa Bialas, Laborantin in der Systembiologie und Genetik. Eine Kollegin hatte Flyer mitgebracht. »Bei der Laborarbeit fällt viel Plastemüll an. Einiges ist kontaminiert, das kann man nicht wiederverwenden. « Anders sieht es bei den Spitzenboxen für die immer benötigten Pipetten aus. »Die fallen regelmäßig an, weil man immer neue Spitzen für die Pipetten braucht. Die Idee, dass die Boxen noch einen Sinn haben könnten, fanden wir super.«
Vor etwa einem Jahr hat Lisa Bialas deshalb die Sammlung in die Hand genommen. In dieser Zeit brachte sie zwei Mal insgesamt vier große Umzugskartons gefüllt mit Spitzenboxen zur Kunststoffschmiede. Mittlerweile unterstützt auch der Dekan der Biologie das Projekt. Anfang Dezember wurde eine Sammelstelle fürs gesamte Haus eingerichtet; der TUD-Fahrdienst soll den vierteljährlichen Transport übernehmen.
Bei den Mitgliedern der Kunststoffschmiede kommt diese Art von Müll hervorragend an. »Die Spitzenboxen sind ein sehr guter Werkstoff, weil sie aus sehr reinem Propylen bestehen. Außerdem sind sie schön bunt, sodass wir für neue Produkte viele Farben kombinieren können«, erklärt Felix Schulz. Der Absolvent des Instituts für Leichtbau- und Kunststofftechnik (ILK) der TU Dresden stieß vor etwa zwei Jahren auf die Kunststoffschmiede. »Auf einem Stadtfest bin ich auf die Mitmach-Aktion mit dem Recyclingfahrrad gestoßen. « Zahnpastaquetscher wurden vor aller Augen hergestellt. »Das fand ich spannend. Eine Woche später habe ich die offene Werkstatt besucht und bin seitdem dabeigeblieben.« Ein Kernteam von zirka fünf bis sechs Leuten kümmert sich dort um die Entwicklung und Herstellung von Recycling-Produkten, die Bildungsworkshops an Schulen und vor Ort sowie die Mitmach-Aktionen auf Festivals und Veranstaltungen.
So erfahren junge und ältere Menschen, wie Werkstoffkreisläufe funktionieren und was alles nötig ist, um aus Kunststoff überhaupt ein Produkt herzustellen. »Allerdings dürfen die Workshop- Besucher nur zur Veranstaltung ihren Verpackungsmüll mitbringen«, wirft Bettina Weber ein. Zum einen sind auch die Container der Kunststoffschmiede voll, »zum anderen ist dieser Müll viel besser im gelben Sack aufgehoben «, sagt Weber. Diese Aussage ist die Antwort auf die Frage, wie nachhaltig die Arbeit in der Werkstatt ist. »Wir sind keine Sammelstelle. Es geht darum, Stoffkreisläufe zu gestalten«, führt Weber aus. »Für den Verpackungsmüll im Haushalt gibt es mit dem dualen System ein gutes Verfahren. Wir nutzen lieber einen Werkstoff wie die Spitzenboxen, der sonst komplett verbrannt würde«, fügt Felix Schulz hinzu.
Auch wenn die Workshops infolge der Corona-Pandemie zum Erliegen gekommen sind, geht die Arbeit für Felix Schulz und seine Mitstreiter weiter. Im Frühjahr letzten Jahres half die Kunststoffschmiede beispielsweise in Zusammenarbeit mit DRESDEN-concept und dem ILK bei Design und Herstellung von recyclingfähigen Gesichtsschilden aus Kunststoff. Zum 90. Geburtstag des Spielzeugherstellers Fisher Price im Sommer kümmerten sie sich um die Wiederverwertung von altem Spielzeug. Aus dem recycelten Material entstanden u. a. Pflanzenkästen für ein Kinderhospiz.
Weil immer wieder Firmen und Privatleute mit solchen Ideen auf die jungen Leute zukamen, wagten die TUD-Absolventen von ILK, Technischem Design und Abfallwirtschaft jetzt den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie gründeten das Start-up »HolyPoly« für Produktdesign und -entwicklung. Wie auch die »precious plastic«-Bewegung widmet sich die Neugründung der Frage, wie man es schaffen kann, die Kunststoffbranche zu verändern. Damit Kunststoff die Wertschätzung erhält, die es verdient: kein Wegwerfprodukt, das die Umgebung vermüllt und zum Tod vieler Tiere beiträgt, sondern ein vielfältiges form- und wiederverwendbares Material, das dazu noch praktisch und aus all diesen Gründen unglaublich wertvoll ist.
Wer ist die Kunststoffschmiede?
Die Kunststoffschmiede ist ein Werkbereich des 2012 aus einer Nachbarschaftsinitiative gegründeten Konglomerat e.V. mit Sitz im Rosenwerk (Dresden-Friedrichstadt) und zirka 120 Mitgliedern. Er bietet in offenen Werkstätten allen Interessierten Zugang zu Maschinen und Techniken, darunter neben der Kunststoffschmiede Siebdruck, Holzwerkstatt; Farb- und Fotoentwicklung, Elektronikwerkstatt, Lasercutter; Buchdruck, Metallwerkstatt und das IT-Projekt CNC-Fräse.
Weitere Informationen unter:
https://konglomerat.org/werkbereiche/plaste.html
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 04/2021 vom 2. März 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.