Sep 04, 2019
Von wegen nur Barock – Ausstellung zur Dresdner Moderne 1919 bis 1933 im Stadtmuseum
1919 bis 1933: Neue Ideen für Stadt, Architektur und Menschen – Eine Ausstellung im Stadtmuseum
Tanja Scheffler
Dresden hat seit Langem das Image einer konservativen, eher rückwärtsgewandten Stadt. Trotzdem etablierten sich hier im frühen 20. Jahrhundert eine Reihe avantgardistischer Kunstströmungen, die seit einiger Zeit näher untersucht werden (Uni-Journal 5/2019). In der Ära der Weimarer Republik gab es auch viele fortschrittliche Architekturplanungen und Bauvorhaben. Diese sind jetzt im Stadtmuseum in einer von Dr. Claudia Quiring kuratierten Ausstellung zur Dresdner Architektur der Moderne zu sehen. Der Katalog wurde mitherausgegeben von Prof. Hans-Georg Lippert von der Professur für Baugeschichte der Fakultät Architektur der TU Dresden. Er enthält eine Vielzahl von wissenschaftlichen Beiträgen zu interessanten, teilweise völlig neuen Themen. Dabei gehören neben den beiden Herausgebern und weiteren Fachleuten aus der Museumsszene auch Prof. Henrik Karge von der Professur für Kunstgeschichte, Prof. Marcus Köhler von der Professur für die Geschichte der Landschaftsarchitektur sowie Dr. Nils M. Schinker, Kerstin Zaschke und Martin Neubacher vom Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege zu den Autoren.
Wenn es um die moderne Architektur der 1920er-Jahre ging, fokussierte die Baugeschichtsschreibung in Deutschland lange Zeit nahezu nur auf die Bauten der Weißen Moderne. Viele der in Dresden ausgeführten Projekte haben jedoch aufgrund ihrer Back- oder aber Natursteinfassaden eine etwas traditionellere Optik. Hier lohnt sich ein genaueres Hinsehen. Denn auch in der Elbestadt entstanden damals von der Gebäudekonzeption her sehr moderne Wohnsiedlungen, Eigenheime und Villen. Innovative Verwaltungs-, Indus-trie- und Schulgebäude etablierten die Neue Sachlichkeit in der Architektur. Schwimmbäder und Sportanlagen propagierten ein völlig neues Körperbewusstsein. Dies verdeutlicht die Stadtmuseums-Ausstellung mithilfe von drei verschiedenen Themenbereichen. Dabei werden bei den zeitgenössischen Entwicklungen der »Stadt« städtebauliche Planungen und Hochhausprojekte, bei der »Architektur« auch neue Bauweisen (Stahlbetonkonstruktionen, Holz- und Stahlhäuser) vorgestellt. Beim »Menschen« wird im Kontext der damals neu aufkommenden Sozialbauten überdies die aus dem seit Langem leerstehenden Sachsenbad geborgene Bronzeskulptur »Die Wasserballspielerin« des Dresdner Bildhauers Eugen Hoffmann präsentiert: Ein Volksbad, das – wenn man sich die zeitgenössische (als Titelmotiv des Katalogs ausgewählte) Innenraumaufnahme des Schwimmbades mit der aufgestellten Figur anschaut – früher ein sehr eindrucksvolles, dezidiert modernes Ambiente hatte.
Kugelhaus und Hygiene-Museum werden besonders umfangreich beleuchtet, von den ersten nicht verwirklichten Vorentwürfen bis zu den ausgeführten Gebäuden. 1928 konnte der Münchner Architekt Peter Birkenholz bei der Jahresschau Deutscher Arbeit »Die technische Stadt« seine Idee der Kugelhäuser zum ersten Mal realisieren. Diese mit einer Aluminium-Außenverkleidung versehene Stahlskelettkonstruktion war von Anfang an ein Blickfang auf dem städtischen Ausstellungsgelände, hatte mehrere Ausstellungsebenen und im obersten Geschoss eine Gaststätte mit Panoramablick. Das innenliegende offene Foyer war mit seinen umlaufenden Galerien und dem Personenaufzug ebenfalls ein sehr beliebtes Fotomotiv.
Bereits 1920 fand ein erster Hygiene-Museums-Wettbewerb für das später mit den Theaterwerkstätten bebaute Areal neben dem Zwingerteich statt, einer der größten Architekturwettbewerbe der Weimarer Republik. Davon werden in der Ausstellung die faszinierenden Original-Zeichnungen von Hans Scharoun, Hans und Wassili Luckhardt sowie die späteren Planungen von Wilhelm Kreis für das letztendlich realisierte Museum (1930) präsentiert. Aber auch noch viele weitere Gebäude werden, wie das ehemalige Arbeitsamt in der Maternistraße (heute: Boulevardtheater) sowie das von Paul Wolf, dem langjährigen Dresdner Stadtbaurat, entworfene, mittlerweile umgenutzte Heizkraftwerk Mitte mit seiner beeindruckenden Schaltwarte, näher vorgestellt. Von Walter Gropius’ nicht verwirklichtem Entwurf für ein Lehrervereinshaus (1925) in der Dresdner Neustadt sind Reproduktionen seiner Wettbewerbszeichnungen zu sehen. Zusätzlich werden noch einige hochkarätige, für die damalige Zeit äußerst innovative Möbelstücke gezeigt: neben einem Freischwinger von Mies van der Rohe und der von Adolf G. Schneck entworfenen, von den Deutschen Werkstätten Hellerau produzierten Möbelserie »Die Billige Wohnung« auch eine Reform-Küche der in Dresden und Radeberg ansässigen Eschebach-Werke.
»Dresdner Moderne 1919 bis 1933. Neue Ideen für Stadt, Architektur und Menschen«, Ausstellung im Stadtmuseum Dresden, Wilsdruffer Straße 2
29. Juni bis 27. Oktober 2019,
Di.–So. und an Feiertagen 10–18 Uhr,
Fr. 10–19 Uhr, Fr ab 12 Uhr freier Eintritt
www.stmd.de
Katalog hrsg. von Claudia Quiring und Hans-Georg Lippert, Sandstein-Verlag Dresden 2019, ISBN 978-3-95498-464-0, Preis: 48 Euro (in der Ausstellung 32,50 Euro) mit einer Überblicksdarstellung zur Dresdner Architekturmoderne von Prof. Hans-Georg Lippert (Baugeschichte), Texten zur damaligen Architektenausbildung von Kerstin Zaschke (IBAD), zur Gartenstadt Hellerau und den Dresdner Wohnbauten von Nils M. Schinker (IBAD), dem Industriebau von Martin Neubacher (IBAD), dem Kirchenbau von Prof. Henrik Karge (Kunstgeschichte), der Gartengestaltung von Prof. Marcus Köhler (Geschichte der Landschaftsarchitektur und Denkmalpflege) und einigen weiteren Beiträgen, u. a. zum Werk des langjährigen Stadtbaurats Paul Wolf.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 13/2019 vom 3. September 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.