18.05.2021
Von Zebrafischen, Weisheitszähnen und Glitzer
Dr. Rita Mateus aus Portugal erforscht, wie Zellen Wachstumssignale geben
Die neu berufene portugiesische Wissenschaftlerin Dr. Rita Mateus ist die erste DRESDEN-concept-Forschungsgruppenleiterin. Ihre Tenure-Track- Stelle mit Aussicht auf eine Professur wird gemeinsam vom TU Dresden-Exzellenzcluster Physics of Life (PoL) und vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) getragen.
UJ: Dr. Mateus, welche Tätigkeit haben Sie vor Ihrem Umzug nach Dresden verfolgt?
Dr. Mateus: Während meines Masterstudiums und meiner Promotion habe ich an der Regeneration von Zebrafischflossen geforscht. Ich wollte schon lange verstehen, wie Organe wachsen. Zebrafische sind in der Lage, ihre Flossen in exakt der gleichen Größe und Form nachwachsen zu lassen. Vor meiner Promotion war ich ein Jahr als Fulbright-Forschungsstipendiatin am Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School in Boston tätig. Dieses Jahr hat mein unabhängiges Denken geprägt. Nach meiner Promotion an der NOVA Universität Lissabon konnte ich zwei Wege gehen: entweder in die angewandte Wissenschaft, um herauszufinden, warum Menschen nicht regenerieren können und um zu versuchen, entsprechende Therapien zu entwickeln, oder aber in die Grundlagenforschung, um die mechanischen Prinzipien zu verstehen, wie Zellen Signale für das Wachstum geben. Ich habe mich für Letzteres entschieden und bin Postdoc im Labor von Marcos Gonzalez-Gaitan an der Universität Genf geworden. In seinem Labor sind wir mit quantitativen Überlegungen aus der Physik an biologische Probleme herangegangen. Dabei haben wir zwei bisher unbekannte Gradienten von knochenmorphogenetischen Proteinen gefunden und erforscht wie sie das Flossenwachstum beeinflussen. Das war wirklich aufregend, denn wir haben ein quantitatives Verständnis dieses Mechanismus‘ entdeckt: Wie spüren die Zellen diese Gradienten, wie breiten sie sich im Gewebe aus und wie steuern sie die Vermehrung? Am Ende meiner Postdoc-Zeit hatte ich jede Menge offener Fragen. Das hat mich dazu bewogen, mich auf eine eigene, unabhängige Stelle zu bewerben.
Sehen Sie in Selektion und Mutation einen biologischen Fehler, einen Zufall oder einen tieferliegenden Zweck?
Unsere Organe und ihre Funktionen sind Resultat der natürlichen Auslese durch die Evolution. Zufällige Mutationen geschehen in unseren Zellen ständig. Diejenigen, die für den Organismus in seiner Umgebung nützlich sein könnten, existieren weiter. Diese Auslese geschieht über einen langen Zeitraum, da die Organismen die ausgewählten Merkmale an die nächsten Generationen weitergeben. Ändern sich die Umweltbedingungen, sind bestimmte Organfunktionen nicht mehr nützlich. Das ist wie bei unseren Weisheitszähnen: Wir brauchen sie nicht mehr, aber die meisten von uns haben sie noch. Ein persönliches Beispiel: Während sich bei mir lästigerweise alle vier Weisheitszähne entwickelt haben, sind es bei meinem Bruder zufällig nur zwei – er ist ein Ergebnis erfolgreicher Evolution.
Welche Pläne haben Sie für Ihre Forschungsgruppe?
Wir wollen noch besser verstehen, wie Organe ihr Wachstum kontrollieren – beispielhaft an der für die Bildgebung günstigen flachen Brustflosse des Zebrafischs. Meine Forschungsaktivitäten – Flossenentwicklung und Regeneration – möchte ich verbinden und neue Forschungsansätze über die Konzentrationsgradienten hinaus etablieren. Ein Fokus auf Bioelektrizität hilft, um zu verstehen, wie Ionenflüsse Zellen mit Informationen versorgen und wieso dies ein Auslöser für Organwachstum sein könnte. Eine weitere Richtung ist die Erforschung der Gewebemechanik, also wie die verschiedenen Flossengewebe ihr Wachstum begrenzen. Bei diesem Projekt geht es ganz wesentlich um Mikroskopie und Live Cell Imaging, da werde ich sehr von der hervorragenden Ausstattung und der hiesigen Expertise in der Bildanalyse profitieren. Auch die Dynamik des Systems des Flossenwachstums würde ich gern besser nachvollziehen können. Das geht durch die Erforschung der zugrundeliegenden physikalischen Prinzipien, in enger Zusammenarbeit mit den theoretischen Physikern.
In meiner Postdoc-Zeit habe ich darüber hinaus begonnen, mich für ein Forschungsgebiet zu interessieren, das nichts mit dem Organwachstum zu tun hat: strukturelle Färbung, der Grund, warum Fische glänzen. Fischzellen beinhalten lichtreflektierende photonische Kristalle. Dieses Glitzern in den Streifen der Zebrafische ermöglicht ihnen die Tarnung in freier Wildbahn. Das wurde in der Biologie bisher kaum erforscht. In Dresden möchte ich herausfinden, wie diese Kristalle wachsen, sich formen und in der Zelle organisiert sind. Dieses Projekt ist besonders spannend, da ich eine Mikroskopietechnik entwickelt habe, bei der die Reflexion des Zebrafisches in vivo abgebildet werden kann.
Mir ist bewusst, dass meine Forschungsthemen sehr unterschiedlich erscheinen, aber ich denke, dass vielfältige Ideen gut sind. Konzepte aus der Physik und der Chemie in unser biologisches Denken einzubauen, finde ich äußerst spannend. Ich möchte, dass das Labor davon profitiert. PoL und DRESDEN- concept bieten dafür eine wirklich einzigartige Forschungsnische.
Die Fragen stellten Dr. Rita Mateus und Magdalena Selbig.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 09/2021 vom 18. Mai 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.