02.06.2020
Warum COVID-19-Patienten ihren Geruchssinn verlieren, ihr Geschmackssinn aber erhalten bleibt
Eine weltweite Studie, die Professor Thomas Hummel vonseiten des Medizinischen Fakultät der TU Dresden betreut, liefert erste Belege für den Zusammenhang zwischen einer Covid-19-Infektion und dem Verlust des Geruchssinns: Das Corona-Virus greift offenbar Zellen des Riechepithels an. Diese Schäden könnten von Dauer sein. Die Ergebnisse resultieren aus einer Onlinebefragung und wurden von den Wissenschaftlern am 24. Mai 2020 unter dem Titel „More than smell. COVID-19 is associated with severe impairment of smell, taste, and chemesthesis“ (doi: 10.1101/2020.05.04.20090902) auf dem Portal medRxiv in einer Preprint-Version veröffentlicht.
Die Studie ist einzigartig und nationenübergreifend. Mehr als 25.000 Probanden rund um den Globus haben sich bisher an der Riech- und Geschmacksstudie beteiligt. Sie soll klären, ob eine Corona-Infektion mit dem Verlust der Fähigkeit zum Riechen und Schmecken einhergeht. Die Grundlage lieferten zunächst anekdotische Berichte von Patienten. Daraufhin schlossen sich rund 600 Wissenschaftler zusammen und befragten Probanden. Von sächsischer Seite wertet der auf chemische Sinneswahrnehmungen spezialisierte Professor Thomas Hummel von der Medizinischen Fakultät der TU Dresden die Ergebnisse aus.
Basierend auf Beiträgen von 4.039 Teilnehmern aus mehr als 40 Ländern zeigen die ersten Ergebnisse, dass Geruch, Geschmack und Chemästhesie bei Patienten mit Covid-19-Diagnose signifikant reduziert sind. Wichtig ist, dass diese Beobachtung nicht mit einer verstopften Nase einhergeht, was das Symptom deutlich von der Begleiterscheinung eines grippalen Infektes unterscheidbar macht. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine plötzlich aufgetretene Störung der chemosensorischen Funktion als möglicher Indikator für eine Covid-19-Infektion angesehen werden sollte“, sagt Professor Thomas Hummel als Arzt für Pharmakologie und Toxikologie, der zudem das interdisziplinäre Zentrum „Riechen und Schmecken“ an der HNO-Klinik des Dresdner Uniklinikums Carl Gustav Carus leitet. Die Einschränkungen wären damit auch ein wichtiger Indikator für eine Corona-Infektion, die selbst bei telemedizinischer Behandlung abgefragt werden könne. Die Forscher haben ihren Fragebogen in 27 Sprachen übersetzt. Für die jetzt vorliegenden Auswertungen, die in der Zeitschrift Chemical Senses publiziert werden sollen, nutzten sie Aussagen, die Probanden zwischen dem 7. und 18. April 2020 in ein eigenes eingerichtetes Online-Portal eingetragen hatten. Die Teilnehmer wurden gebeten, zu quantifizieren, wie sie ihr Riech- und Schmeckempfinden erleben, während der Krankheit und danach im Vergleich zu ihren ursprünglichen Wahrnehmungen. Viele Patienten beschreiben einen vorübergehenden kompletten Verlust des Geruchssinnes, einige berichten aber auch von Geruchsverdrehungen, bei denen Gerüche nur in Teilen erfasst werden, was zu sehr unangenehmen Wahrnehmungen führen kann.
Viele der Patientendaten stammen aus den USA, Frankreich und Italien, also aus den Ländern, die massiv von der Corona-Pandemie betroffen sind beziehungsweise waren. „Wir erleben aber auch in Deutschland immer mehr ehemalige Corona-Patienten, die nach der Erkrankung über eine eingeschränkte Riechfähigkeit klagen“, so Professor Hummel. Dass viele Patienten parallel auch über Veränderungen bei der Geschmackswahrnehmung berichten, könnte nach Aussage von Professor Hummel ein Interpretationsfehler sein. Die meisten Corona-Patienten können bisherigen Erkenntnissen zufolge die vier Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter und salzig weiter einigermaßen zuverlässig unterscheiden. Was sie vermissen, sind die Aromen der Lebensmittel. Um diese zu erkennen, braucht es das Zusammenspiel mit dem Geruchssinn, der offenbar bei vier von fünf Covid-19-Patienten beeinträchtigt ist.
Ursache dafür ist das Virus, das Zellen im Riechepithel oberhalb der mittleren Nasenmuschel angreift und schädigt. Es sorgt dort für einen Ausfall der Rezeptoren. Da sich die Zellen des Riechepithels regelmäßig erneuern, klingt bei vielen Covid-19-Patienten die Geruchsstörung auch wieder ab. Professor Hummel vermutet, dass Frauen von der Wahrnehmungsstörung stärker betroffen sind als Männer, „weil sie besser riechen und damit die Einschränkung auch intensiver wahrnehmen“. Die in dem multinationalen Crowd-Sourcing-Ansatz erhobenen Daten sollen nun von nationalen Forschergruppen zu spezielleren Fragestellungen weiter ausgewertet werden. Sie basieren auf Selbstauskünften der Patienten und wurden nicht ärztlich verifiziert.
Quelle:
Das Preprint, doi: 10.1101/2020.05.04.20090902 ist unter https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.05.04.20090902v3 <https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.05.04.20090902v3> einsehbar. Die gutachterliche Beurteilung der Veröffentlichung ist noch nicht abgeschlossen. Das Review soll in der Zeitschrift Chemical Senses publiziert werden.