20.04.2018
Zwischen Kopftuch und Spitzenwissenschaft
Die TU Dresden könnte sofort ein Büro an der Universität Shiraz beziehen: Symbolisch wurde dem Rektor, Prof. Hans Müller-Steinhagen, der Schlüssel für ein Verbindungsbüro überreicht. Dies war mehr als nur eine Geste. Während des fünftägigen Besuchs der TUD-Delegation an der Universität Shiraz zeigten die Gastgeber immer wieder, wie stark ihr Interesse an der Zusammenarbeit mit der TU Dresden ist. Sechs Wissenschaftler der TU Dresden sowie drei weitere Mitarbeiter waren Mitte April gemeinsam mit dem Rektor und dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt vor Ort, um die Möglichkeiten für gemeinsame Projekte in Forschung und Lehre auszuloten. 21 Projekte hatten die Wissenschaftler der Universität Shiraz zusammengestellt, für die sie sich eine Kooperation mit der TUD wünschen und über die vor Ort diskutiert wurde.
Nicht zuletzt fußt die Kooperation auf langjährigen Kontakten des Rektors, der seit 1996 eine Gastprofessur im Iran hat und insgesamt 16 iranische Doktoranden betreute. Einer seiner ersten Doktoranden, M. Reza Malayeri, ist heute selbst Professor an der Universität Shiraz und dort auch für die Kooperation zwischen beiden Universitäten zuständig. Prof. M. Reza Malayeri engagiert sich für die Internationalisierung »seiner« Universität. Nachdem er selbst viele Jahre in England und in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, will er seine eigenen Erfahrungen in die Kooperation der beiden Universitäten einbringen.
Seitens der TU Dresden ist Dr. Udo Krause Kontaktperson für die Kooperation mit der Universität Shiraz.
Iran – ein Land der Widersprüche
Das Land in wenigen Worten zu beschreiben fällt schwer: Auf der einen Seite ein totalitärer Staat, auf der anderen Menschen, die aufgeschlossen, lebensbejahend und sehr interessiert an allem sind, was um sie herum passiert.
Nach der Beilegung des Nuklearstreits im Jahr 2015 und der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen 2016 ist die TU Dresden eine der ersten deutschen Universitäten, die ihre Kooperationen in den Iran kontinuierlich ausbaut. Sie befindet sich dabei in guter Gesellschaft von DFG, BMBF, DAAD und Alexander von Humboldt-Stiftung. Der DAAD hat bereits 2014 als erste Bildungsagentur weltweit vor Ort ein eigenes Büro eröffnet, die DFG ist über ein Memorandum of Understanding mit ihrem iranischen Counterpart verbunden. Optimale Bedingungen also, um die Partnerschaft zwischen TU Dresden und Universität Shiraz weiter auszubauen. Der deutsche Botschafter im Iran lobt diese Partnerschaft in einem Gespräch mit Oberbürgermeister Dirk Hilbert bereits jetzt als die beste deutsche Wissenschaftskooperation im Iran.
Dass in Dresden die Zusammenarbeit mit einer iranischen Hochschule auch auf Kritiker trifft, muss angesichts der politischen Situation und der dortigen Menschenrechtsverletzungen nicht verwundern. Es steht die Frage im Raum, warum die TU Dresden sich auf einen Partnerschaft mit einer iranischen Universität einlässt, obwohl fast zeitgleich die Europäische Union darüber nachdenkt, die Sanktionen gegen den Iran wieder zu verschärfen. Prof. Hans Müller-Steinhagen nennt es schlicht Wissenschaftsdiplomatie: »Wissenschaft ist aus meiner Sicht ein besonders geeigneter Weg, im Gespräch zu bleiben und Kontakte auszubauen. Dabei will die TU Dresden aktiv mitwirken.«
Erste Schritte zu gemeinsamen Vorhaben
Die Wasserknappheit im Iran schreit nach neuen Wegen. Bei Peter Krebs, Professor für Siedlungswasserwirtschaft, laufen bereits Vorbereitungen für einen gemeinsamen Projektantrag für ein regionales Wasserkonzept für Shiraz und Umland. Von der Risikobewertung bis zu einer webbasierten Internetplattform möchte er in fünf Teilprojekten mit den Wissenschaftlern der Uni Shiraz das Wasserressourcenmanagement der Region optimieren. In seinem Workshop saßen rund 50 interessierte Wissenschaftler und Studenten, die meisten von ihnen weiblich. Das spiegelt die Realität an der Universität Shiraz wider. Rund 50 bis 60 Prozent aller Studenten in den Natur- und Technikwissenschaften sind Frauen.
Für Christoph Neinhuis, Professor für Botanik, ist Partnerschaft mit dem Iran kein Neuland. Er war bereits 2015 zu einer Sondierungsreise im Land und betreut seit einem Jahr einen iranischen Doktoranden. In Shiraz interessiert er sich vor allem für den 1096 gegründeten Botanischen Garten und die Erforschung traditioneller Medizininalpflanzen und Heilkräuter. Diese wachsen in den Bergen rund um Shiraz wild und werden in großen Mengen gesammelt und verkauft. Im Botanischen Garten finden Neinhuis und seine Kollegen die Möglichkeit, ausgewählte Heilpflanzen kontrolliert anzubauen und zu erforschen. Eine spannende Fragestellung ist zum Beispiel, ob bestimmte Inhalts- und Wirkstoffe durch die Kultivierung verloren gehen. Außerdem plant er gemeinsam mit zwei weiteren Dresdner Kollegen ein Projekt zur Vermeidung von Sandstürmen durch neue Methoden zur Verfestigung des Wüstensandes sowie die Entwicklung der nachhaltigen Kultivierung von Böden, um das Pflanzenwachstum zu erhöhen.
Auch für die Geisteswissenschaften gibt es zahlreiche interessante Möglichkeiten zur Kooperation. So ist zum Beispiel Thomas Kühn, Professor für Kulturstudien Großbritanniens, im Gespräch mit zwei Kollegen der Uni Shiraz zu Themen der Populärkultur. Zum einen geht es um die Neubewertung amerikanischer Literatur im Iran: Es soll untersucht werden, wie die eigene Vorstellung über die amerikanische Kultur bei den Iranern die Rezeption amerikanischer Literatur beeinflusst bzw. immer wieder versucht, das eigene Bild zu bestätigen. Gemeinsam mit dem iranischen Wissenschaftler Dr. Amirhossein Vafa sucht er nach Möglichkeiten, diesen von Stereotypen geprägten Kreislauf zu durchbrechen.
Im Fokus des zweiten Projektes, welches Thomas Kühn mit Dr. Omid Azadibougar betreibt, steht der Einfluss politischer Prozesse auf die iranische Populärkultur (Bestseller, Kino und Fernsehprogramm) und ihre Wirkung auf das Selbstbild der Iraner. Dr. Omid Azadibougar wird das Projekt bei der Alexander von Humboldt-Stiftung beantragen.
Die Dezernentin des Bereichs Geistes- und Sozialwissenschaften, Dr. Christina A. Anders, freute sich darüber, mit Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen ins Gespräch zu kommen. Mögliche Kooperationen und die Initiierung gemeinsamer Forschungsprojekte zu Themen der Digital Humanities, Women’s Studies, Korpuslinguistik und Inklusiver Pädagogik sind denkbar.
Jan J. Weigand, Professor für Anorganische Molekülchemie, wurde mit zahlreichen Projektideen aus unterschiedlichen Fächern der Naturwissenschaften geradezu überrannt. Wirklich konkret sieht er für sich und sein Fach aber Chancen auf Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Technischen Chemie. Erstaunt hat ihn die Ausstattung der Labore am Chemischen Institut der Universität Shiraz, die – wenn man ehrlich ist – in Diskrepanz zu den wissenschaftlichen Erfolgen steht.
Michael Beckmann, Professor für Energieverfahrenstechnik, arbeitet schon seit Jahren eng mit Professor M. Reza Malayeri zusammen. Gemeinsam betreuen sie Doktoranden, gemeinsam stellen sie Projektanträge. Bereits Ende Mai könnte über ein Forschungsprojekt zur Behandlung von Klärschlamm entschieden werden. Ein anderes Projekt beschäftigt sich mit der Verminderung von Ablagerungen in Rohren von Wärmeübertragern.
Intensiviert werden soll auch der Austausch von Studenten und Gastwissenschaftlern. So wird zum Beispiel ab 1. Oktober 2018 die Doktorandin Mahshid Nategh, die ein Stipendium vom DAAD erhält, für zehn Monate an die Professur von Michael Beckmann kommen, um in Dresden weiter an ihrer Promotion zu arbeiten.
Als Gastwissenschaftler kommt bereits ab 1. August Prof. Aliakbar Safavi von der Uni Shiraz gemeinsam mit seiner Familie für zwölf Monate nach Dresden. Er wird sowohl bei Ronald Tetzlaff, Professor für Grundlagen für Elektrotechnik, als auch bei Leonhard Urbas, Professor für Prozessleittechnik, forschen und lehren.
Studenten der TU Dresden interessieren sich bisher kaum für einen Austausch an die Universität Shiraz. Prof. Hans Müller-Steinhagen ist sich aber sicher, dass sich das ändern wird: »Beim Studentenaustausch sieht es im Moment tatsächlich noch so aus, dass das Interesse der iranischen Studenten größer ist, nach Dresden zu kommen, als anders herum. Aber ich bin sicher, hier werden sich gute Erfahrungen schnell herumsprechen und das Interesse der Dresdner an einem Aufenthalt in Shiraz wird steigen.« In jedem Fall wird jeder, der sich auf den Weg nach Shiraz macht, einer unglaublichen Gastfreundschaft begegnen.
Bei der DresdenWeek in Shiraz war immer wieder die Rede von den kleinen Schritten am Anfang, die der Beginn einer langen Reise sein können. So gesehen hat diese Kooperation der TU Dresden mit der Universität Shiraz vielleicht sogar das Potenzial, eine strategische zu werden.
Informationen für Journalisten:
Kim-Astrid Magister
Tel.: +49 (0) 351 463-32398