Warum scheint es, als hätten die Schüler*innen kein Interesse und als würden sie sich die Unterrichtsinhalte nicht merken?
Die Vermutung, dass Schüler*innen bei fehlender Beteiligung wenig bis kein Interesse am Unterricht haben, liegt erst einmal nahe. Fehlende Beteiligung am Unterricht ist jedoch nicht grundsätzlich mit fehlender Lernbereitschaft gleichzusetzen. Vielmehr besteht das Problem darin, dass die Lebenswelt der Schüler*innen nicht an das Unterrichtsthema anschlussfähig ist (Steffens 2019: 41). Das Thema ergibt für sie dann einfach gesagt weder Sinn noch ist es bedeutsam (ebd.). Gelernt wird in diesem Fall vor allem, um in der nächsten Arbeit nicht durchzufallen und weniger aus eigenem Interesse (ebd). Folglich ist der Lernstoff der vorangegangenen Unterrichtsstunde auch nur bedingt abrufbar. Dabei ist der Anschluss an die Lebenswelt für gelingendes Lernen unverzichtbar, denn nur dann “wird Unterricht […] als sinnvoll wahrgenommen“ (ebd.).
Im Fall von Luca wird diese Problematik deutlich. Trotz ihrer Motivation, Neues zu lernen, kann sie dem Unterricht nicht immer folgen. Fragen und Themen aus ihrer momentanen Lebenswelt werden nicht aufgegriffen. Auch, wenn manche dieser Fragen auf Lehrende banal wirken, sind sie das für Schüler*innen nicht. Es sind wichtige Fragen im Prozess der eigenen Identitätsfindung. Welche Themen beschäftigen mich gerade? Was berührt mich emotional und warum? Wie kann ich mich mit den Themen des Unterrichts auseinandersetzen, wenn andere Fragen gerade drängender sind?
Werden diese Fragen ignoriert, befinden sich die Schüler*innen in einem ständigen Spannungsfeld. Auf der einen Seite stehen all die Fragen und Themen, die für sie wichtig sind und auf der anderen Seite der Schulstoff. Die eigene Lebenssituation ist dabei individuell bedeutsamer, als die Themen des Unterrichts. Nicht, weil Schüler*innen nichts lernen wollen, sondern weil ihre Fragen für die eigene Lebensgestaltung und Weiterentwicklung bedeutsamer sind.
Es ist also wichtig, diese Themen und Fragen aufzugreifen. Nicht nur, weil es Lern- und Entwicklungsprozesse anstoßen kann, sondern auch, weil diese Fragen wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung sind. Da Schule als wichtige Sozialisationsinstanz betrachtet werden muss, kann und darf sie diese Fragen und Themen nicht ignorieren.
Um die Lebenswelt in die Unterrichtsplanung einzubeziehen, braucht es die Übernahme einer Verstehenden Perspektive. Materialien dazu finden Sie unter dem Reiter “Verstehende Perspektive”. Impulse wie Unterricht so gestaltet werden kann, dass die Lernenden Sinn entwickeln können, finden Sie unter „Interesse wecken“.
Warum erzielt die Anpassung durch Herrn K. nicht die gewünschte Wirkung?
Wenn über fehlende Passfähigkeit des Lerngegenstandes gesprochen wird, so lautet der Lösungsvorschlag oft “Differenzierung des Materials”. Dieser Ansatz ist richtig, wird in der Umsetzung aber oft fehlinterpretiert. Die Differenzierung des Materials wird häufig nur entlang des Gegenstandes gedacht. Eine verbreitete fehlerhafte Annahme ist, dass alle Lernenden einen Zugang finden, solange der Lerngegenstand differenziert genug dargeboten wird - das heißt beispielsweise, dass zum gleichen Inhalt drei Arbeitsblatt-Versionen zur Verfügung stehen. Verschiedene Quellen, unterschiedliche Komplexitätsgrade der Aufgabenstellungen oder vielfältige Medien sind oftmals Variationen in der Differenzierung. Selten werden dabei aber die spezifischen Perspektiven der Schüler*innen, sowie Fragen hinsichtlich ihrer individueller Interessen, Lebenswelt sowie der Art und Weise, wie sich Neues angeeignet wird, einbezogen. Eine Differenzierung, die nicht von den Lernenden aus gedacht wird und diese nicht in der Wahl der Aneignungsebene einbezieht, ist dann wenn überhaupt nur zufällig anschlussfähig. Somit kann differenziertes Material allein Probleme hinsichtlich der Passfähigkeit oder dem Fehlen von Sinn und Bedeutung nicht lösen. Was an einem nicht-passfähigen Gegenstand angeeignet wird und wie sich dies auf Lern- und Entwicklungsprozesses auswirken kann, können Sie unter „Ich versteh nur Bahnhof“ nachlesen. Impulse für eine gelingende Differenzierung des Gegenstandes finden Sie im Fundus unter „Differenzieren“.
Wie kann Herr K. mit der Situation konstruktiv umgehen und sie weniger persönlich nehmen?
Die Planung und Gestaltung von Unterricht und entsprechender Materialien ist Teil jeder Lehrtätigkeit. Handlungsleitend für Lehrende ist dabei immer das Motiv, dass Schüler*innen Neues lernen können und sich weiterentwickeln. Fehlt jedoch die Passfähigkeit zwischen den einzelnen Lernenden und dem Lerngegenstand, verhindert dies nicht nur Lernprozesse, es entsteht auch Frustration auf allen Seiten: Die Lernenden haben eventuell das Gefühl, nichts zu verstehen, ziehen sich zurück oder machen andere Dinge, „die stören“ (Erfahren sie dazu mehr unter “Störungen neu deuten”.)
Die Lehrenden ihrerseits reagieren frustriert, wenn sie das Gefühl haben, die Lernenden seien desinteressiert. So, wie Herr K., dessen Bemühungen keinen Erfolg haben, haben Lehrende dann das Gefühl, ihre Bemühungen werden von den Lernenden nicht wertgeschätzt. Diese Spirale kann ohne Austausch nicht aufgelöst werden. Und - wie im Fall - verstärken sich die jeweiligen Wahrnehmungen nur weiter. Das stört die Lernprozesse, wie auch die Lernatmosphäre und wirkt sich negativ auf die Beziehungen zwischen Lernenden und Lehrenden aus. Lesen Sie mehr zum Einfluss gestörter, pädagogischer Beziehungen auf Lernprozesse im Fall “Keine Kontinuität”. Für gelingende Lernprozesse bedarf es demnach der Ausrichtung des Gegenstandes an den Bedarfen der Lernenden. Unter dem Reiter Verstehende Perspektive bietet der Fundus Impulse, wie Lehrpersonen Erkenntnisse hinsichtlich der Bedürfnisse der Lernenden gewinnen können. Weiterhin bietet der Fundus unter Mit Emotionen umgehen Material zum gelingenden Umgang mit Emotionen im Lernprozess. Und unter Beziehung gestalten finden Sie Informationen zum Aufbau von guten Beziehungen zu den Lernenden.