Keine Kontinuität bzw. Die unausgeglichene Lehrperson
Die Lehrperson mag ihren Beruf und schätzt die Lernenden. Trotzdem fällt ihr das Lehren manchmal schwer. Dies trifft beispielsweise zu, wenn die Lehrperson gestresst ist, sich von Privatem belastet fühlt, kränkelt, es mit Lernenden oder im Kollegium Konflikte gab oder wenn man einfach mal einen schlechten Tag hat. Manchmal ist es dann herausfordernd, mit den vielen eigenen und fremden Emotionen im Lernraum professionell umzugehen. Schon eine kleine weitere Unregelmäßigkeit im geplanten Ablauf kann dann das Fass zum Überlaufen bringen. Die Lehrperson weiß, dass sie in solchen Momenten zu Ungerechtigkeit gegenüber den Lernenden neigt. Wenn sie jedoch Zurechtweisungen oder Strafen einmal ausgesprochen hat, will sie nicht an Glaubwürdigkeit verlieren, indem sie diese zurück nimmt.
Sascha hat eine Lehrperson, zu der er und seine ganze Klasse ein sehr schwankendes Verhältnis haben. Zeitweise ist die Lehrperson sehr streng, fast schon ungerecht. Sie greift recht schnell zu disziplinierenden Maßnahmen, beispielsweise wenn die Lernenden nur leise miteinander tuscheln. Ob diese Gespräche inhaltlich oder organisatorisch hilfreich sind, ist der Lehrperson egal. Wiederum ist sie dann aber auch wieder sehr freundlich und besorgt, fragt die Lernenden zum Beispiel wie es ihnen heute geht. Sascha und den anderen fällt es sichtlich schwer, sich auf diese emotionalen Schwankungen einzustellen. Die Atmosphäre wirkt meist eher angespannt.
- Wie kommt es zu Diskontinuität in der pädagogischen Beziehung und wie lässt sie sich vermeiden?
- Wie lässt sich Kontinuität im Miteinander herstellen?
- Was tun, wenn die Stimmung im Lernraum schon im Keller ist?
Wie kommt es zu Diskontinuität in der pädagogischen Beziehung und wie lässt sie sich vermeiden?
Es ist verständlich, dass nicht jeder Tag wie der andere verläuft und man sich somit nicht jeden Tag gleich fühlt und verhält – das trifft auf Lehrende und Lernende gleichermaßen zu. Handlungen sind nie rein rational, sondern immer mit Emotionen verknüpft. Ob es uns gut oder schlecht geht, hat somit einen großen Einfluss darauf, wie wir Aufgaben erledigen (Grams Davy 2017: 26).
"Während wir unter positiven Arbeitsbedingungen mit hohem Wohlbefinden oft und gerne dazu bereit sind, anderen zu helfen [...] und uns [...] zu engagieren, beginnen wir uns von diesem Verhalten zurückzuziehen, sobald insgesamt der Druck zu groß wird. Hört dieser Druck nicht auf und finden wir keinen Ausgleich, sinkt der Einsatz „für Andere“ auf ein Minimum [...]." (ebd.: 25)
Menschen sind keine emotionslosen Roboter. Somit können Emotionen auch in Lehr-Lern-Situationen nicht außer Acht gelassen werden - weder bei Lehrenden, noch bei den Lernenden. Ein reflektierender und transparenter Umgang mit Emotionen sowie ein authentisches, unverstelltes Auftreten können den Umgang mit Gefühlen erleichtern.
Macht man den Lernenden die eigene Gefühlslage professionell transparent, stellt dies einen Vertrauensvorschuss gegenüber der Lerngruppe dar (Thies 2002: 208f). So können vertrauensvolle Lehr-Lern-Beziehungen überhaupt erst entstehen (ebd.). Lernende werden zudem ermutigt, selbst offen mit ihren Emotionen umzugehen. Diskontinuität kann so überbrückt oder Kontinuität im Miteinander sogar aufrecht erhalten werden. Lern- und Entwicklungsprozesse bleiben möglich.
Auch kollegiale Kooperation oder Hilfe von Dritten kann für Ausgleich sorgen und helfen, dass bestimmte Herausforderungen zukünftig seltener auftreten. Wenn keine anderen Möglichkeiten bestehen, muss der Ausgleich im familiären oder freizeitlichen Rahmen gefunden werden (Grams Davy 2017: 25).
Wie lässt sich Kontinuität im Miteinander herstellen?
Indikatoren für die Kontinuität einer Lehr-Lern-Beziehung sind Verlässlichkeit, Einschätzbarkeit und Gerechtigkeit im Lehrendenhandeln (Thies 2002: 111). Die im Fall beschriebene Beobachtung von Sascha zeigt genau in diesen Bereichen Probleme auf. Im Perspektivwechsel wird zudem deutlich, dass der Lehrperson ihre Impulsivität zwar bewusst ist, sie jedoch manchmal nicht weiß, wie sie mit ihren Emotionen anders umgehen soll. Die Lernenden haben dadurch nur wenig Handlungssicherheit, denn Reaktionen auf ihr Verhalten sind nicht zuverlässig vorhersagbar. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden kann so nicht entstehen (z. B. Diers 2016: 129-133). Vertrauen ist jedoch essentiell für eine gute Lehr-Lern-Beziehung,
- da Lernende in einem vertrauensvollen Verhältnis mehr Freude am Lernen haben,
- mehr Teilhabechancen sehen,
- der Lehrperson gegenüber wohlgesonnener eingestellt sind und
- daher Lehrveranstaltungen bei dieser Person insgesamt positiver einschätzen sowie
- sich in diesen stärker engagieren (Schweer, Padberg 2004: 6).
Der Lehr-Lern-Beziehung wohnt spätestens durch das Bewerten immer eine gewisse Hierarchie inne. Auch, wenn Lehrpersonen ihren Lernenden sonst auf Augenhöhe begegnen, sind es schlussendlich trotzdem sie, die über das Bestehen entscheiden. Jede dieser Entscheidungen hat eine unveränderbare Auswirkung auf das Leben der Lernenden. Thies fordert aufgrund des dadurch bestehenden Machtgefälles, dass Lehrpersonen den Lernenden einen Vertrauensvorschuss entgegenbringen (Thies 2002: 208f). Dieser kann beispielsweise darin bestehen, dass man als Lehrperson zugibt, dass man heute "nicht ganz auf der Höhe ist". Die Lernenden können das Verhalten der Lehrperson dann anders einordnen und weniger persönlich nehmen. Die Kontinuität der Lehr-Lern-Beziehung wird nicht oder kaum beschädigt. Auch psychische Grundbedürfnisse wie das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle können so sowohl auf Seiten der Lehrenden wie Lernenden aufrecht erhalten werden. Dies wirkt sich ebenfalls positiv auf die Lehr-Lern-Beziehung aus.
Was tun, wenn die Stimmung im Lernraum schon im Keller ist?
Kam es bereits zu emotionalen Verletzung beispielsweise durch Abwertung, Diskriminierung oder Ausgrenzung sollte die Lehrperson den angesprochenen Vertrauensvorschuss durch wiederholte Beziehungs- und Kommunikationsangebote erneuern. Auch wenn die Verletzung in der Kontinuität der Lehr-Lern-Beziehung von den Lernenden ausging, muss die Lehrperson hier professionell erneut auf die Lernenden zugehen. Hoffmann betont, dass gerade Lernende, die sich abwehrend verhalten, durch positive Beziehungserfahrungen "gehalten" werden müssten, um ihre vermutlich schlechten Erfahrungen und Erwartungen nicht noch zu verstärken (Hoffmann 2009: 232). Positive Beziehungserfahrungen können beispielsweise durch Verlässlichkeit, Einschätzbarkeit und Gerechtigkeit erzielt werden und dazu beitragen, das vertrauensvolle Verhältnis (wieder) herzustellen und zu festigen. Zum Aufbau sowie zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung eines sicheren und angstfreien Umfelds, sollten außerdem die psychischen Grundbedürfnisse (Grawe 2004: 192-303) der Lernenden berücksichtigt werden. Zudem sollte das aufgetretene Problem von der Person getrennt werden. Die Lehrperson muss den Lernenden glaubhaft vermitteln, dass die aktuelle Situation nichts an der generellen Wertschätzung als Person ändert. Auch das gemeinschaftliche Besprechen sozialer Situationen sowie das gemeinsame Formulieren von Konfliktlösestrategien wird in der Literatur empfohlen (z. B. Diers 2016: 416). Dies kann den respektvollen Umgang miteinander stärken.
Wie kommt es zu Diskontinuität in der pädagogischen Beziehung und wie lässt sie sich vermeiden?
- Bin ich authentisch vor der Lerngruppe oder spiele ich eine Rolle?
- Nehme ich mir Zeit, meine Emotionen und Entscheidungen zu reflektieren?
Der Fundus Inklusion gibt Anlässe, um über Emotionen zu reflektieren. Wenn es darum geht, in hitzigen Situationen die Ruhe zu bewahren, finden Sie vor allem auf der Seite "Emotionen der Lehrperson" einige Hinweise. - Nehme ich Lernenden-Verhalten häufig negativ konnotiert wahr?
Dann sollte ich Unterrichtsstörungen neu deuten lernen. - Habe ich schon versucht, mit Kolleg*innen über meine Emotionen oder Herausforderungen zu sprechen?
Die Kooperation im Kollegium kann ein wichtiger Ausgleich in als herausfordernd empfundenen Momenten sein. - Habe ich in Erwägung gezogen, andere um Hilfe zu bitten?
Der Fundus Inklusion bietet eine Sammlung von TUD-internen sowie externen Partner*innen, die bei verschiedenen Themen weiterhelfen können.
Wie lässt sich Kontinuität im Miteinander herstellen?
- Haben die Lernenden eine Chance sicher- und angstfrei mit mir in Kontakt zu treten, weil sie meine Reaktion in gewisser Weise abschätzen können?
- Bleibe ich bei getroffenen Entscheidungen, weil ich sie gut begründen kann oder aus Prinzip bzw., um mein Gesicht zu wahren?
- Mache ich die Beweggründe für meine Entscheidungen gegenüber den Lernenden transparent ?
- Bin ich zuverlässig? Halte ich z. B. verabredete Termine und Vereinbarungen ein?
- Bin ich fair? Beziehe ich z. B. verschiedene Perspektiven ein, bevor ich etwas entscheide, das auch die Lernenden betrifft?
Der Fundus Inklusion möchte dafür Perspektivwechsel ermöglichen.
Was tun, wenn die Stimmung im Lernraum schon im Keller ist?
- Mit Beziehungsgestaltung und Kommunikation können sie versuchen, Beziehungen und Gefühlslagen wieder ins Lot zu bringen.
Alle Stolperfallen auf einen Blick finden Sie im Bereich Reflektieren.
Intransparenzfalle
Die Lehrperson aus dem Fallbeispiel ist in die Intransparenzfalle gestolpert. Sie hat den Lernenden nicht aufgezeigt, wie es ihr geht. Auch die Lernenden wurden nicht dazu eingeladen, ihre Emotionen transparent zu machen. So konnten sich die verschiedenen Personen nicht aufeinander einstellen und es kam zu Konflikten. Unausgesprochene, negative Emotionen beeinflussen die Lernatmosphäre und damit auch die Lernprozesse.
Machtfalle
Zudem tappt die Lehrperson ab und an in die Machtfalle. Denn zeitweise stellt sie die Aufrechterhaltung ihrer Autorität über eine gute, pädagogische Beziehung zu den Lernenden. Obwohl ihr bewusst ist, dass dies falsch und ungerecht ist. Das Machtgefälle erzeugt zusätzliche negative Emotionen und Demotivation im Fallbeispiel.