Garrecht/Sawodny/Sobek
Inhaltsverzeichnis
Projektinformationen
Effiziente automatisierte Herstellung multifunktionaler gradierter Bauteile mit mineralischen Hohlkörpern
Antragsteller 1 | Applicant 1: Prof. Dr.-Ing. Harald Garrecht
Universität Stuttgart, Institut für Werkstoffe im Bauwesen (IWB), Pfaffenwaldring 4, 70569 Stuttgart
+49 (0)711 685-63323 | harald.garrecht@iwb.uni-stuttgart.de | http://www.iwb.uni-stuttgart.de/
Antragsteller 2 | Applicant 2: Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Oliver Sawodny
Universität Stuttgart, Institut für Systemdynamik (ISYS), Waldburgstraße 17/19, 70563 Stuttgart
+49 711 685-66302 | oliver.sawodny@isys.uni-stuttgart.de | https://www.isys.uni-stuttgart.de/
Antragsteller 3 | Applicant 3: Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. Werner Sobek
Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK), Pfaffenwaldring 7+14, 70569 Stuttgart
+49 711 685-6 6226/-6 3599 | werner.sobek@ilek.uni-stuttgart.de | http://www.uni-stuttgart.de/ilek/
Projektnummer | Project number: 257610789
Berichts-/Förderzeitraum | Reporting/funding period: 01.05.2015–31.06.2018
Team | Team: Daniel Schmeer (ILEK), Mark Wörner (ISYS), Walter Haase (ILEK), Christian Baumert (IWB), Christian Blatt (IWB, 10/2016–12/2016; 08/2017–10/2017), Ante Vucemilovic (IWB, 09/2015–11/2015)
Kurzfassung
Dieses Projekt ist die Fortführung des Projektes Optimalstrukturen aus funktional gradierten Betonbauteilen – Entwurf, Berechnung und automatisierte Herstellung aus Förderphase 1.
Aufbauend auf den Entwicklungen und Ergebnissen der ersten Förderphase liegt das Ziel des Forschungsvorhabens in der Optimierung der Prozesskette bei der Herstellung multifunktionaler Bauteile aus Beton. In einer interdisziplinären Kooperation der Institute für Werkstoffe im Bauwesen, für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren sowie für Systemdynamik wird hierzu gezielt an der Erweiterung des funktionalen Gradierungsspektrums von Betonbauteilen geforscht. Neben der konsequenten Weiterentwicklung der automatisierten Prozesskette und Betontechnologie erfordert dies die Optimierung des Applikationsprozesses respektive der Prozessregelung. Die Erweiterung der Technologie um die Herstellung und automatisierte Einbringung von mineralisierten Hohlkörpern ermöglicht hierbei eine weitere Steigerung des möglichen Eigenschaftsspektrums. Hierzu gilt es Berechnungsmethoden für die innere Struktur- und Eigenschaftsoptimierung zu entwickeln, welche neben der Hohlkörpertechnologie, die Restriktionen aus dem Herstellungsverfahren berücksichtigt.
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Das Ziel des Forschungsvorhabens besteht in der Weiterentwicklung der Gradientenbetontechnologie im Hinblick auf Betoneigenschaften, Bauteilentwurf und automatisierte Fertigung. Funktional gradierte Bauteile sind durch eine ortsabhängige kontinuierliche Eigenschaftsänderung in bis zu drei Raumrichtungen charakterisiert, wodurch eine Anpassung der inneren Struktur an das vorliegende Anforderungsprofil möglich wird. Mit dieser Technologie lassen sich beispielsweise sortenreine, gewichtsreduzierte Betonbauteile durch eine Anpassung der Porosität oder multifunktionale Systeme realisieren, die sowohl Anforderungen aus der Statik (Tragfunktion) wie auch der Bauphysik (Wärmedämmung) erfüllen und in Form eines Ein-Material-Bauteils vorliegen.
In der ersten Förderphase des DFG-SPP 1542 konnten im Forschungsprojekt „Optimalstrukturen aus funktional gradierten Betonbauteilen – Entwurf, Berechnung und automatisierte Herstellung“ grundlegende Ergebnisse bei der Mischungsentwicklung von dichteanpassbaren Betonen, dem Entwurf funktional gradierter Betonbauteile sowie deren automatisierter Herstellung erzielt werden.
Betontechnologie. Das Grundkonzept der Gradientenwerkstoffe basiert auf der Zusammenführung von Materialen mit stark unterschiedlichen Eigenschaften und deren Positionierung im Bauteil, sodass in der jeweiligen Kombination das vorherrschende Beanspruchungsprofil optimal erfüllt wird. Um die Forderung nach Gewichtsersparnis von Betonbauteilen bei jederzeitiger Rezyklierbarkeit zu erfüllen, wird beim Gradientenbeton die Porosität durch die Zugabe von mineralischen Leichtzuschlägen variiert. Hierzu werden mindestens zwei Betonmischungen benötigt, welche die Tragfähigkeit gewährleisten sowie die Reduktion der Bauteilmasse ermöglichen. Die Basismischung (MI) stellt bei maximaler Festigkeit und minimaler Porosität die tragende Komponente dar. Basismischung II (MII) wird durch die Substitution des schweren Zuschlags von MI durch Leichtzuschlag gebildet und ist aufgrund ihrer minimierten Dichte für die Gewichtsreduktion verantwortlich. Die gezielte volumenspezifische Zusammenführung der beiden Basismischungen führt zu kontinuierlichen Eigenschaftsübergängen.
Zur Erweiterung der Technologie wird aktuell am IWB an Betonrezepturen geforscht, welche sowohl die geforderten mechanischen Eigenschaften aufweisen, als auch ökologische Aspekte berücksichtigen. Des Weiteren werden neue Anwendungsbereiche durch den Einsatz von mineralischen Hohlkugeln untersucht. Zu deren Herstellung wird am ILEK an unterschiedlichsten Fertigungsmethoden und am IWB an geeigneten Betonmischungen geforscht. Mit den entwickelten Verfahren konnten erste Prototypen der mineralischen Hohlkörper realisiert werden. Die Voruntersuchungen zeigten, dass eine Automatisierung des Herstellungsprozesses notwendig ist, um eine reproduzierbare Qualität zu gewährleisten. Derzeit wird am ILEK und ISYS an Konzeption, Konstruktion und Umsetzung eines Prototyps zur Fertigung mineralischer gearbeitet.
Automatisierte Bauteilherstellung. Die Gradientenbetontechnologie erfordert die systematische Erforschung und Entwicklung von Verfahren und Methoden zur zielgenauen und reproduzierbaren Steuerung der Eigenschaftsverläufe innerhalb der Betonbauteile. In den Forschungsprojekten wurden zwei Konzepte zur Gradientenbildung erarbeitet, die sowohl für Beton-Trockenspritzverfahren als auch für Nassspritzverfahren anwendbar sind. Bei der Zwei-Düsen-Technologie werden die Eigenschaftsänderungen durch die gezielte volumenspezifische Superposition der Sprühstrahlen beim Materialauftrag erreicht. Durch eine vorgelagerte Mischeinheit mit stationärem Strömungskörper erfolgt die Zusammenführung vor der Materialapplikation, wodurch die Auflösung des Verfahrens verbessert werden kann.
Applikationssystem. Die Entwicklung eines Prototyps des Applikationssystems für die Herstellung funktional gradierter Betonbauteile bedarf der systematischen Analyse der prinzipbedingten Anforderungen an die Fertigungsverfahren. Insbesondere Spritzverfahren stellen erhebliche Anforderungen an die Technik. Dies ist sowohl auf die Trennung des Applikationsprozesses in eine Düsenführungs- und eine Düseneigenbewegung zurückzuführen als auch auf die prozessbedingten Rahmenbedingungen wie beispielsweise Rückprall oder Staubentwicklung.
Um diesen Aspekten Rechnung zu tragen, wurde ein Manipulator konzipiert, entwickelt und als Prototyp umgesetzt. Die Düsenführungsbewegung wird dabei mittels eines Mehrachslinearsystems (Portalsystem) ausgeführt, welches drei Freiheitsgrade und einen quaderförmigen Arbeitsraum besitzt. Zur dreidimensionalen Orientierung der Ausbringvorrichtung und zur Realisierung von unterschiedlichen Düseneigenbewegungen ist am Portal eine sogenannte Stewart-Gough-Plattform mit sechs Freiheitsgraden montiert. Aufgrund des günstigen Verhältnisses von Eigengewicht zur Nutzlast erlaubt es dieser parallele Mechanismus, hochdynamische Bewegungen auszuführen. Dabei können gleichzeitig große Prozesskräfte übertragen und eine hohe Positioniergenauigkeit erreicht werden. Durch den entwickelten Manipulator besteht die Möglichkeit der energieeffizienten und zeitoptimalen Applikation des Spritzbetons.
Betonverfahrenstechnik. Die Gradierung wird entsprechend der grundlegenden Konzeption mittels einer Zwei-Düsen-Technologie sowie einer Ein-Düsen-Technologie umgesetzt. In einem ersten Schritt werden die trockenen Ausgangsmischungen MI und MII in je einem Zwangsmischer hergestellt. Nach abgeschlossenem Mischprozess werden die Rezepturen durch Fallrohre den Rotortrockenspritzmaschinen zugeführt. Diese fördern die trockenen Ausgangsmischungen pneumatisch durch einen geregelten Luftvolumenstrom zum Düsensystem. Hierbei erfolgt die Energiezufuhr über einen Kompressor, der zusätzlich mit einem Kondensator ausgestattet ist, um konstante Eigenschaften des Fluids zu gewährleisten.
Mit der gezielten Steuerung und Regelung der Prozessparameter kann der gewünschte Massenstrom der Betonrezepturen eingestellt werden. Der Transportweg der trockenen Ausgangsmischungen führt über eine passive Schlauchführung zum Applikationssystem. Diese ermöglicht eine vertikale einachsige Bewegung der Schläuche. Mittels einer Wasserpumpe und eines Flüssigdosiergeräts wird eine Vor- und Hauptbenetzung des Betons durchgeführt. Die beiden Sprühstrahlen werden anschließend entsprechend den Anforderungen an die Eigenschaften des Betonbauteils überlagert. Hierdurch entsteht die Gradierung. Alternativ kann die Durchmischung der Ausgangsmaterialien mithilfe einer vorgelagerten Mischeinheit inklusive stationärem Strömungskörper in der Förderstrecke erfolgen. Eine integrierte Absaugung reduziert die Staubentwicklung und entfernt unerwünschte lose Partikel des Materialauftrags.
Bauteilentwurf. Der Entwurf von dichtegradierten Betonbauteilen verfolgt das tragstrukturelle Ziel, mit einem Minimum an eingesetztem Material eine gegebene Belastung unter Einhaltung von Tragfähigkeits- und Verformungsgrenzen abzutragen. Um einen von Bauteilform und Belastung unabhängigen Entwurfsansatz zu entwickeln, wurden Verfahren aus der Topologieoptimierung auf den Entwurfsprozess der Bauteilauslegung transferiert. Innerhalb eines definierten Entwurfsraums und unter Berücksichtigung von Auflagerbedingungen, Belastungen und Verformungsrestriktionen wird hierbei das eingesetzte Material im Sinne eines fully stressed design angeordnet. Die Materialverteilung erfolgt bei funktional gradierten Betonbauteilen unter dem Optimierungsziel der Maximierung der Bauteilsteifigkeit bei festgelegter Bauteilmasse oder der Minimierung des Gewichts bei vorgegebener Steifigkeit. Als Entwurfsvariable wird die normierte Dichte des in finite Elemente diskretisierten Entwurfsraums verwendet, welche sich mithilfe des dichtebasierten SIMP-Ansatzes mit der ins Optimierungsziel einfließenden Bauteilsteifigkeit in Zusammenhang bringen lässt.
Um eine effizientere Herstellung von funktional gradierten Betonbauteilen zu erreichen, darf der Entwurf nicht mehr als separater Vorgang betrachtet werden, sondern muss zur Integration in den Gesamtprozess der Gradientenbetontechnologie um materialspezifische und verfahrenstechnische Randbedingungen ergänzt werden. Die werkstofflichen Restriktionen in Form des vorhandenen Dichte-E-Modul-Bereichs können bei der Optimierung direkt durch den SIMP-Ansatz berücksichtigt werden. Die verfahrenstechnischen Randbedingungen fließen durch eine Sektionierung in den Entwurf ein, bei der benachbarte finite Elemente zusammengefasst werden, sodass deren Dichte nur simultan variiert werden kann. Durch Verwendung und Anpassung eines Dichtefilters werden die Randbedingungen bei der Bauteilherstellung berücksichtigt. Innerhalb einer Schicht des Bauteils werden in der Horizontalen nur geglättete Materialübergänge zugelassen, wohingegen die vertikalen Eigenschaftsänderungen nicht restringiert werden.
Experimentelle Validierung. Im Rahmen einer Analyse der prozessdeterminierenden Einflussfaktoren konnte das Verfahren so eingestellt werden, dass reproduzierbare Betoneigenschaften im Dichtebereich von 1,0 bis 2,2 kg/dm3 mit Festigkeiten zwischen ~ 10 und 65 N/mm2 erzielt werden. Das Potenzial der automatisierten Herstellung von funktional gradierten Betonbauteilen kann anhand von Probekörpern aufgezeigt werden, deren Gradientenlayout sich aus dem inneren Schnittkraftverlauf ableitet. Im Vergleich zu einem monolithischen Balken mit Vollquerschnitt wurde bereits eine Massenersparnis von über 20 % bei gleicher maximaler Tragfähigkeit erreicht.
Publikationen
- Herrmann, M.; Sobek, W.: Gradientenbeton – Numerische Entwurfsmethoden und experimentelle Untersuchung gewichtsoptimierter Bauteile. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015) 10, S. 672–686
- Schmeer, D.; Hermann, M.; Wörner, M.; Sippel, S.; Sawodny, O.; Garrecht, H.; Sobek, W.: Entwurf und automatisierte Herstellung von Bauteilen aus funktional gradiertem Beton. In: Garrecht, H.; Hofmann, J.; Sobek, W.; Novák, B. (Hrsg.): Beiträge zur 3. DAfStb-Jahrestagung mit 56. Forschungskolloquium am 11./12.11.2015 in Stuttgart, Institut für Werkstoffe im Bauwesen der Universität Stuttgart, 2015, S. 15–22
- Sippel, S.; Wörner, M.; Schmeer, D.; Sawodny, O.; Sobek, W.; Garrecht, H.: Dichteangepasste Betongemische für das Trockenspritzen von gradierten Bauteilen. In: Garrecht, H.; Hofmann, J.; Sobek, W.; Novák, B. (Hrsg.): Beiträge zur 3. DAfStb-Jahrestagung mit 56. Forschungskolloquium am 11./12.11.2015 in Stuttgart, Institut für Werkstoffe im Bauwesen der Universität Stuttgart, 2015, S. 137–143
- Wörner, M.; Schmeer, D.; Schuler, B.; Pfinder, J.; Garrecht, H.; Sawodny, O.; Sobek, W.: Gradientenbetontechnologie: Von der Mischungsentwicklung über den Bauteilentwurf bis zur automatisierten Herstellung. Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016) 12, S. 794–805
- Sobek, W.: Über die Gestaltung der Bauteilinnenräume – Meinem Freund Manfred Curbach zum 60. Geburtstag gewidmet. In: Scheerer, S.; van Stipriaan, U. (Hrsg.): Festschrift zu Ehren von Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach, Dresden: Institut für Massivbau der TU Dresden, 2016, S. 62–76
- Herrmann, M.; Sobek, W.: Functionally graded concrete: Numerical design methods and experimental tests of mass-optimized structural components. Structural Concrete 18 (2017), S. 54–66
- Schmeer, D.; Sobek, W.: Weight-optimized and Mono-material Concrete Components by the Integration of Mineralized Hollow Spheres. In: Bögle, A.; Grohmann, M. (Hrsg.): Interfaces: architecture.engineering.science – Proc. of the IASS Annual Symp. 2017, 25.–28.09.2017 in Hamburg, Hamburg: HCU & IASS, 2017, book of abstracts: S. 152, full paper published digitally: paper no. 9600, 9 S.
- Wörner, M.; Schmeer, D.; Schuler, B.; Sawodny, O.; Sobek, W.: The technology of graded concrete – Interface between design and manufacturing. In: Bögle, A.; Grohmann, M. (Hrsg.): Interfaces: architecture.engineering.science – Proc. of the IASS Annual Symp. 2017, 25.–28.09.2017 in Hamburg, Hamburg: HCU & IASS, 2017, book of abstracts: S. 153, full paper published digitally: paper no. 9601, 8 S.
- Wörner, M.: Automatisierte Herstellung funktional gradierter Betonbauteile. Dissertation, ISYS, 2017
- Schmeer, D.; Sobek, W.: Gradientenbeton. In: Bergmeister, K.; Fingerloos, F.; Wörner, J.-D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2019, Berlin: Ernst & Sohn, 2019, S. 455–476
- Schmeer, D.: Mesogradierung von Betonbauteilen. Herstellung und Tragverhalten von Betonbauteilen mit integrierten mineralischen Hohlkugeln. Dissertation, ILEK, 2021
- Schlussbericht: https://doi.org/10.25368/2022.331