Darum, weil ich diese Altertümer ausgiebig studiert habe und dabei nicht wenig Sorge darauf verwendet habe, diese sorgfältig aufzuspüren und mit Fleiß zu vermessen, und ich außerdem die vorzüglichen Autoren gelesen habe, um die Bauwerke mit den Schriftzeugnissen in Vergleich zu setzten, denke ich, eine gewisse Kenntnis der antiken Architektur erlangt zu haben.
(Raffael Sanzio an Papst Leo X., 1518)
Die Antike ist der Bezugspunkt schlechthin in der Renaissance: Gelehrte, Künstler und Architekten gleichermaßen spornt der Vergleich mit den vergangenen Größen zu Höchstleistungen an. Ihre Werke zwischen Tradition und Antikenrezeption sind die Elemente, welche die neue Epoche formen. Architektonisches Interesse wird durch das selbstständige Vermessen der Ruinen und die Lektüre antiker Schriften (Vitruv, De architectura) gestillt, wobei die Grenzen zwischen praktischer (mit den Händen ausgeführter) Arbeit und theoretischem (literarischem) Schaffen verschwimmen. Wenn in der Renaissance Herzöge, Gelehrte, Künstler und Ingenieure gleichermaßen als Architekten bezeichnet (und aktiv) werden, so wird eine Arbeit, die wie keine andere auf bautechnischen Erfahrungen und praktischem Wissen beruhte, neu interpretiert. Das Moment der Idee, die Genialität und Phantasie des Architekten-Schöpfers wird zum Schlüsselmoment des architektonischen Schaffens und dessen Nobilitierung als geistiger –nicht länger manueller – Tätigkeit.
Die Diskussion um die Rolle des Architekten in Traktaten, Briefen, Dokumenten, Biografien sowie in der sich entwickelnden Akademiekultur bezeugt den gesellschaftlichen Wandel. Diese literarisch-theoretischen Quellen sollen im Seminar in Bezug zu den heutigen Kenntnissen über die Abläufe auf einer Baustelle und über die konkreten Einsatzbereiche des Architekten gesetzt werden. Die Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen "Theorie" und "Praxis" wird so das Bewusstsein für die Komplexität der Frage nach dem "Architekten" schärfen und ermöglichen, dessen Rolle in der Renaissance adäquat zu untersuchen.
Die erste Sitzung dient der Einführung und Referatsvergabe. Die ersten Referatsthemen (17. und 24. April, Vitruv und Brunelleschi) können bei Interesse bereits vor Semesterbeginn vergeben werden (Kontakt via E-Mail). Die Referate (ca. 35 min.) sollten von einem Thesenpapier begleitet und durch eine Hausarbeit (ca. 15-20 Seiten) vertieft werden.
Bibliographie:
Textsammlung, via E-Mail bei Sophie Wolf (sophieelainewolf(at)gmx.de) erhältlich
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Edition Giorgio Vasari - Lebensläufe der hervorragendsten Künstler, hrsg. von Alessandro Nova
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Paper Palaces - The Rise of the Renaissance Architectural Treatise, hrsg. von Hart Vaughan, New Haven 1998
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Leon Battista Alberti, Zehn Bücher über die Baukunst, Darmstadt 1991
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Eugenio Battisti, Filippo Brunelleschi - Das Gesamtwerk, Stuttgart 1979
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Franco Borsi, Leon Battista Alberti - Das Gesamtwerk, Stuttgart 1982
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Rainald Franz, Vincenzo Scamozzi (1548-1616) Der Nachfolger und Vollender Palladios, Petersberg 1999
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Hubertus Günther, Das Studium der antiken Architektur in den Zeichnungen der Hochrenaissance, Tübingen 1988
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Hanno-Walter Kruft, Geschichte der Architekturtheorie, München 1985
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Lionello Puppi, Andrea Palladio - Das Gesamtwerk, Stuttgart 1994
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Andrea Palladio, Die vier Bücher zur Architektur, Zürich, München 1993
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Vincenzo Scamozzi, Dell'idea dell'architettura universale, Venedig 1615
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Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, München 1990
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