03.02.2023
Steile These: Klare Regeln im Schreibprozess gibt es nur für die äußere Form des Textes
Letztens fiel mir ein Klassiker unter den Ratgebern zum wissenschaftlichen Schreiben wieder in die Hände: Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt von Umberto Eco. – Eine von vielen Einführungen, die Studierenden Orientierung beim Schreiben ihrer Arbeiten im Studium geben soll. Darin schreibt Eco, die äußerliche Gestaltung eines Textes sei das Einzige im Prozess des Verfassens einer wissenschaftlichen Arbeit, für das es „einigermaßen präzise Regeln gibt“ (S. 3 f.).
Stimmt ihr dem zu, liebe Leser:innen? Das habe ich mich auch gefragt und zunächst sofort innerlich mit dem Kopf genickt. Dabei habe ich an formale Anforderungen gedacht wie: Schriftart, Schriftgröße, Zeilenabstand, Seitenränder, Formatierung und Nummerierung der Überschriften, Anzahl der Gliederungsebenen oder Gestaltung von Hervorhebungen. Hierzu gibt es seitens Dozierender oder Institute oft genaue Vorgaben und entsprechende Leitfäden oder Templates für Studierende. Auch Rechtschreibung und Interpunktion zähle ich zu den Formalia.
Wie sieht meine Einschätzung auf den zweiten Blick aus? Ich möchte den Schreibprozess genauer unter die Lupe nehmen und mich dabei zum einen auf die Suche nach weiteren klaren oder mehr oder weniger klaren Vorgaben und zum anderen nach Spielräumen in Schreibprozessen begeben. – Ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.
Vorgaben in Schreibprozessen
Zunächst komme ich zu den (halbwegs) klaren Vorgaben. Hier fallen mir dreierlei ein:
Zitieren
Wo im Text werden Quellenbelege platziert? Wie werden diese dort und im Literaturverzeichnis formatiert? Wie werden direkte Zitate korrekt verwendet? Wenn die Dozierenden keinen Zitierstil vorgeben, ist die Maßgabe Einheitlichkeit. Dann orientiert ihr euch an einem in eurer Fachrichtung üblichen Zitierstil wie z. B. Harvard, APA oder Chicago und setzt diesen durchgehend um. Auch beim Zitieren gibt es also mit Auswahl eines bestimmten Systems klare Regeln; etwas, das musterartig abgearbeitet werden kann. (Siehe zu der Frage, was und wie zitiert wird, die Materialien der SLUB.)
Die Arbeit gliedern
Regeln für die Gliederung einer Arbeit? Die Gliederung, der rote Faden, die Struktur der Arbeit ist doch abhängig von Thema und Fragestellung und damit immer individuell unterschiedlich, oder? Jein. Denn es gibt in wissenschaftlichen Texten universelle Strukturen oder Bestandteile: Die Grobgliederung in Einleitung, Hauptteil, Schluss fällt euch bestimmt sofort ein oder auch eine für Artikel im MINT-Bereich übliche Struktur, die eine Einteilung in die Abschnitte Introduction, Methods, Results and Discussion (IMRaD) vorsieht. Auch was in den einzelnen Abschnitten dargelegt wird, folgt einem einheitlichen Muster oder Standard, z. B. dass in der Einleitung zum Thema hingeführt, die Forschungsfrage formuliert, deren Relevanz und die Forschungslücke aufgezeigt wird etc. Also: Auch hier gibt es teilweise klare Vorgaben. (Siehe zur Strukturierung wissenschaftlicher Arbeiten das Modul „Struktur“ in der Online-Infothek des SZD.)
Verständlich schreiben
Was einen Text verständlich und gut lesbar, also seinen Inhalt schnell erfassbar macht, ist Gegenstand verschiedener Stilratgeber. Hier gibt es wiederkehrende Empfehlungen, die ich als allgemeine Regeln für einen verständlich geschriebenen Text sehe. Hierzu zählen z. B. das Bilden von Sinnabschnitten, leser:innenführende Elemente, das Vermeiden von Schachtelsätzen, exakte Angaben statt unpräziser Formulierungen, die Verwendung von Fachtermini, das Vermeiden einer hohen Fremdwortdichte oder der Verzicht auf unnötige Füllwörter. Auch hier könnt ihr euch also an klaren Vorgaben orientieren. (Siehe empfehlenswerte Ratgeber unter „Literaturtipps“ am Ende des Beitrags.)
Freiheiten in Schreibprozessen
Nicht reglementiert hingegen ist, wie ihr eure Schreibprozesse organisiert und das Schreiben selbst angeht. Das heißt, hier gibt es keine Patentrezepte à la: Befolge dies und du wirst deine Arbeit in der zur Verfügung stehenden Zeit zu einem abgabereifen Ende bringen oder tu jenes und du wirst produktiv schreiben können. Die Organisation des Schreibprozesses und das Schreiben selbst sind Übungssache und eine individuelle Angelegenheit; mit zunehmender Schreiberfahrung eignet ihr euch für euch funktionierende Strategien und Methoden an.
Schreibdidaktische Beratung oder Ratgeberliteratur kann dabei allenfalls unterstützen, also euch Optionen aufzeigen und Empfehlungen mit auf den Weg geben. Darunter diese:
- Bestimmte Arbeitsschritte im Forschungs- und Schreibprozess sind auf jeden Fall zu tun, und Modelle wie der Schreibdrachen, das wir am SZD gerne zur Veranschaulichung nutzen, legen eine bestimmte Einteilung in Teilschritte oder auch eine Abfolge nahe. So ist es aus schreibdidaktischer Sicht z. B. empfehlenswert, zunächst eine Rohfassung zu schreiben, also einen ersten Textentwurf recht zügig und noch lückenhaft herunterzuschreiben, und diesen dann weiter zu überarbeiten und sich für die Überarbeitung in mehreren Schleifen mit jeweils unterschiedlichem Fokus genügend Zeit zu nehmen.
- Wie das Entwickeln und Schreiben eines Textes angegangen wird, ist individuell gestaltbar. Das betrifft Fragen wie: Wie komme ich zu einer Fragstellung für meine Arbeit? Wie recherchiere und verwalte ich meine Literatur effektiv? Welche Form der Zeitplanung ist für mich hilfreich? Wie verliere ich Schreibhemmungen und beginne mit dem Schreiben? (Für einen Methodenüberblick siehe die Online-Infothek des SZD)
- Konkreter auf den zu schreibenden Text an sich bezogen: Auch wann mit dem Schreiben begonnen wird und welche Teile der Arbeit wann geschrieben werden, hat mit persönlichen Vorlieben zu tun. Wieso soll ich beispielsweise zuerst eine Gliederung entwickeln und an der Struktur feilen, wenn es mir doch viel mehr liegt, meine Gedanken „auf dem Papier“ zu entwickeln und die Struktur dabei erst herauszuarbeiten? In unserer letzten Newsletter-Ausgabe ging es in Sharons Steiler These schon um verschiedene Schreibstrategien (Planen, Drauflosschreiben, Patchworken, Mehrversionenschreiben), die geübtere Schreiber:innen z. B. je nach Textart, Inhalt oder zur Verfügung stehender Zeit flexibel einsetzen können.
Nach meinem kurzen Streifzug durch den Schreibprozess möchte ich also festhalten, dass es mehr präzise Regeln gibt als die formale Gestaltung des Textes. Gerade bei den ersten Arbeiten, die im Studium geschrieben werden – und allgemein bei jeder neuen Textart, die zu schreiben man noch ungeübt ist – gilt es diese in Erfahrung zu bringen.
Du willst wissen, was das jetzt für deinen Schreibprozess oder deine Lehrveranstaltung bedeutet?
Für Studierende
- Verschafft euch Orientierung, indem ihr in Erfahrung bringt: Welche Vorgaben, Anforderungen oder Erwartungen gibt es seitens der Dozierenden? An welchen fachlichen Konventionen sollt und könnt ihr euch orientieren? Gibt es hierzu Leitfäden, in denen diese expliziert werden? Wenn nicht: Hakt nach und verschafft euch so ein möglichst klares Bild der zu schreibenden Textart und der Anforderungen. (Hierfür kann die Checkliste des SZD für die Absprache mit Lehrenden eine gute Grundlage sein.)
- Nutzt die Sprechstunden eurer Dozierenden oder die Schreibberatung des SZD für Feedback und Austausch, z. B. bezüglich der Gliederung oder der Argumentationsstruktur eurer Arbeiten.
- Sprecht in der Schreibberatung des SZD mit den Peer-Schreibberater:innen darüber, wie ihr an das Entwickeln und Schreiben eurer Arbeiten herangehen könnt, was bisher gut geklappt hat und was ihr ausprobieren könntet.
Für Dozierende
- Stellt euch die Frage: Welche klaren Vorgaben gibt es? Was im Schreibprozess ist klar geregelt und was ist eben nicht klar geregelt und führt bei Studierenden potenziell zu Verunsicherung, Orientierungslosigkeit oder Schreibblockaden?
- Kommuniziert die Anforderungen und eure Erwartungen explizit und transparent: Macht in Leitfäden klare Vorgaben, wann immer es möglich ist. Zeigt auf, auf was es bei der zu schreibenden Arbeit ankommt.
- Sprecht mit den Studierenden darüber, wie sie an das Schreiben herangehen und wie ihr selbst an das Entwickeln eures Textes oder das Schreiben selbst herangeht, welche Strategien sich für euch bewährt haben, was euch motiviert und Spaß macht und wie ihr mit den verschiedenen Herausforderungen beim Schreiben umgeht.
Quellen
Eco, Umberto. 2020. Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt: Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften. 14., unveränderte Auflage. Stuttgart: UTB GmbH. (Zugang zur digitalen Ressource über die SLUB.)
Literaturtipps
Esselborn-Krumbiegel, Helga. 2021. Richtig wissenschaftlich schreiben: Wissenschaftssprache in Regeln und Übungen. 6., aktualisierte Auflage. Paderborn: Ferdinand Schöningh. (Zugang zur digitalen Ressource über die SLUB.)
Kühtz, Stefan. 2018. Wissenschaftlich formulieren: Tipps und Textbausteine für Studium und Schule. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage. Paderborn: Ferdinand Schöningh. (Zugang zur digitalen Ressource über die SLUB.)
Schau rein
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Dieser Beitrag erschien anlässlich des Schreibzentrumsnewsletters im Februar 2023. Diese und weitere Newsletterausgaben sind im Newsletter-Archiv des Schreibzentrums verlinkt.
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