13.04.2022
Steile These: Weniger ist mehr - auch beim Lesen von Fachliteratur
Ich kann aus Erfahrung sagen: Die Bücher aus der SLUB stapeln sich neben mir auf dem Tisch, sie liegen auf dem Boden und im Ordner für das Seminar oder die Hausarbeit landen immer mehr Artikel, die man "dann zur Vorbereitung schon noch liest". Vier Wochen später kommt die Erinnerung der Ausleihfrist der SLUB - aber die Bücher liegen noch genau dort, wo sie auch vor vier Wochen schon lagen. Viele Bücher habe ich ungelesen in die SLUB zurückgebracht und auch dutzende Artikel zur Recherche für verschiedenste Themen habe ich abgespeichert und prompt wieder vergessen. Das Semester geht weiter, wer hat schon die Zeit, alles zu lesen?
Im Studium werden viele Studierende von Fachliteratur nahezu erschlagen und durch die Digitalisierung vieler Medien ist der Zugang so leicht wie noch nie. Veranstaltungen, wie Seminare oder Vorlesungen, haben lange Literaturlisten mit Empfehlungen der Dozierenden zu Grundlagenliteratur und eine kurze Suche mit der Suchmaschine des Vertrauens bietet hunderte weitere Quellen. Aber die Verfügbarkeit ist eben nicht alles.
Im Laufe des Studiums ist es meiner Meinung nach deswegen unglaublich wichtig, den richtigen Umgang mit Fachliteratur zu erlernen - um eben nicht im Chaos zu versinken, weil man alles lesen möchte, oder das Gefühl hat, alles lesen zu müssen. Nach inzwischen acht Jahren Studium kann ich sagen: Weniger ist mehr. Es war einer der wichtigsten Momente in der Recherche einer Hausarbeit, als mir klar wurde, dass ich nicht jede Quelle von Anfang bis Ende lesen muss. Das Stichwort hier ist die Effektivität, nicht die Geschwindigkeit beim Lesen. Ich kann noch so schnell durch einen Text kommen - wenn ich danach nicht weiß, welche Argumente von den Autor:innen vorgebracht oder welche Probleme aufgeworfen oder gar gelöst werden, dann habe ich Zeit verschwendet.
Das Lesen von Fachliteratur ist ein sehr aktiver Prozess: Studierende lesen hier nicht passiv zur Unterhaltung, es geht vielmehr darum, zu verstehen, zu reflektieren, zu hinterfragen und zu kritisieren. Fachliteratur kann so komplex sein, dass auch zweimal oder dreimal pures Lesen nicht ausreicht, und oft ist man schnell ablenkt - Müdigkeit, Fachbegriffe, Verständnisschwierigkeiten oder einfach keine Lust mehr. Und es gibt unzählige Dinge, die schnell spannender sind als ein Text für's nächste Seminar.
Effektiv heißt leider nicht immer auch schnell. Ich denke aber, dass das gründliche Lesen - und schlussendlich auch das Verstehen - von Fachtexten unglaublich viel wertvoller ist als das Ich-muss-heute-noch-400-Seiten-Lesen-und-habe-morgen-wieder-alles-vergessen-Lesen. Aktives Lesen heißt in der Vorbereitung auch, sich zu entscheiden, welche Texte es wert sind, intensiv bearbeitet zu werden, oder auch nur welche Abschnitte eines Textes.
Der Schlüssel zum richtigen Umgang mit Fachliteratur ist meines Erachtens nach deswegen die Vorbereitung auf's Lesen. Wenn ich mir überlege, was mein Ziel beim Lesen ist - das große Warum - dann kann ich die Zeit, die ich habe, auch effektiv nutzen, um dieses Leseziel zu erreichen. Ich kann mir z. B. vornehmen, den Text erstmal nur zu überfliegen, um einen groben Eindruck zu bekommen; oder ich kann einen wirklich wichtigen Text genau auf die Argumente hin untersuchen, um die Autor:innen zu verstehen. In der Literatur zum Thema Lesen im Studium wird oft von Lesestrategien (oder Lesetechniken) gesprochen, die man aktiv anwendet, um den eigenen Leseprozess mitzugestalten und zu steuern. Lesestrategien sind nicht nur hilfreich, den Leseprozess zu steuern, zusätzlich helfen sie auch dabei, das ursprüngliche Verständnis, das wir vom Lesen haben, über den Haufen zu werfen: Lesen wird im Alltag noch als passiver Prozess verstanden, wir konsumieren die Zeitung oder den Roman zum Spaß. Im Studium geht das leider selten, hier muss aktiv mit dem Text gearbeitet werden. Es mag zwar stimmen, dass (fast) jede:r Lesen kann, aber für den Umgang mit Fachliteratur muss man Lesen neu lernen.
Wenn ich so drüber nachdenke, ist es auch beim Lesen wie bei vielen anderen Sachen auch: Ein guter Plan ist die halbe Miete und der Rest ist Übungssache. Um den Überblick zu behalten sollte ich also nicht einfach jeden Artikel gleich abspeichern, weil er irgendwie interessant sein könnte – ein erstes kurzes überfliegendes Lesen oder das Suchen nach Schlüsselwörtern im Text kann mir schon verraten, ob ich meinen Speicher wirklich damit zumüllen sollte.
zur Autorin: Paulina ist seit 2017 ausgebildete Schreib-Tutorin am Schreibzentrum der TU Dresden, begleitet u. a. das Text-Buddy-Programm und gibt Workshops zum wissenschaftlichen Lesen. Sie hat ihren Master in Europäische Sprachen an der TU Dresden abgeschlossen und studiert seit 2021 auf ihren zweiten Master: Human Communication - Kommunikationspsychologie und -management.
Referentin für Schreibdidaktik
NamePaulina Hösl
Projekt sTUDy smart, Expertin für KI-gestützte Schreibprozesse
Eine verschlüsselte E-Mail über das SecureMail-Portal versenden (nur für TUD-externe Personen).
Schreibzentrum der TU Dresden
Schreibzentrum der TU Dresden
Besuchsadresse:
Fritz-Foerster-Bau, Raum 108 Mommsenstr. 6
01069 Dresden
Literatur (Auswahl):
- Damm, Christian. o.D. Fachtexte lesen und verstehen. https://studi-lektor.de/tipps/erfolgreich-studieren/fachtexte-lesen-und-verstehen.html Zugriff: 27.03.2022
- Hambuch, Rebekka. 2020. Lesen im Studium. ILIAS der Philipps-Universität Marburg. https://ilias.uni-marburg.de/ilias.php?ref_id=2059523&obj_id=247992&cmd=layout&cmdClass=illmpresentationgui&cmdNode=h3&baseClass=ilLMPresentationGUI
- Kruse, Otto. 2015. Lesen und Schreiben. 2. Auflage. Wien: Verlag Huter & Roth KG. UTB.
- Pawlaschyk, T. 2012. Tipps fürs Studium, Teil 3. Thema: Lesetechniken. Bergische Universität Wuppertal.
- Menne, Mareike. 2021. Einfach Lesen: Der Umgang mit Texten im Studium. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.
Dieser Beitrag erschien anlässlich des Schreibzentrumsnewsletters im April 2022. Diese und weitere Newsletterausgaben sind im Newsletter-Archiv des Schreibzentrums verlinkt.
Schreibzentrum der TU Dresden
Eine verschlüsselte E-Mail über das SecureMail-Portal versenden (nur für TUD-externe Personen).
Besuchsadresse:
Fritz-Foerster-Bau, Raum 108 Mommsenstr. 6
01069 Dresden
Postadresse:
Technische Universität Dresden
Zentrum für Weiterbildung/
Schreibzentrum der TU Dresden
01062 Dresden
Das Schreibzentrum der TU Dresden (SZD) unterstützt Studierende und Lehrende mit Angeboten zum Planen und Schreiben verschiedener Texte im Studium wie Belege, Protokolle, Seminar- und Abschlussarbeiten und zur Vermittlung des akademischen Schreibens in Lehre und Betreuung. Alle Informationen zu Angeboten und Möglichkeiten der Unterstützung sind in den Bereichen für Studierende und Lehrende zu finden.