10.02.2025
Anomalie in der Tiefsee: Außergewöhnliche Häufung seltener Atome könnte geologische Datierungen verbessern
![Schematische Aufgliederung des Ozean-Bodens nach Alter](https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/ressourcen/bilder/news-bilder/fotos-2025/HZDR-Be10-EN-CMYK-300x200mm-300dpi-Print.jpg/@@images/d0e6c2b8-4077-4ea4-aa3f-fa27079c3044.jpeg)
Schematische Darstellung der Produktion und der Ablagerung von kosmogenem 10Be in Ferromangan-Krusten. Eine ausgeprägte Anomalie in der 10Be-Konzentration vor etwa 10 Millionen Jahren wurde entdeckt. Diese Anomalie hat großes Potenzial, als Zeitmarker für das späte Miozän zu dienen.
Beryllium-10, ein seltenes radioaktives Isotop, das durch kosmische Strahlung in der Atmosphäre erzeugt wird, liefert wertvolle Einblicke in die geologische Vergangenheit der Erde. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf (HZDR), hat nun in Kooperation mit der Technischen Universität Dresden und der Australian National University in Proben vom pazifischen Meeresgrund eine unerwartete Häufung dieses Isotops entdeckt. Diese Anomalie könnte vor 10 Millionen Jahren durch veränderte Meeresströmungen oder durch astrophysikalische Ereignisse entstanden sein. Sie hat das Potenzial, als globaler Zeitmarker zu dienen – ein vielversprechender Schritt für die Datierung geologischer Archive über Millionen von Jahren. Das Team stellt seine Resultate im Fachjournal Nature Communications (DOI: 10.1038/s41467-024-55662-4) vor.
Radionuklide sind Atomkernsorten (Isotope), die nach einer gewissen Zeit in andere Elemente zerfallen. Sie können dazu genutzt werden, archäologische oder geologische Proben zu datieren. Das bekannteste Verfahren ist die Radiokarbondatierung. Das Prinzip: Lebende Organismen nehmen konstant das radioaktive Isotop Kohlenstoff-14 (14C) auf. Nach ihrem Tod stoppt die Aufnahme, danach nimmt der 14C-Gehalt durch Zerfall mit einer Halbwertszeit von ca. 5.700 Jahren ab. Das Verhältnis von 14C zu stabilem Kohlenstoff (12C) erlaubt es, das Sterbedatum zu ermitteln.
Dadurch lässt sich das Alter archäologischer Funde wie Knochen oder Holzreste sehr genau bestimmen. „Allerdings reicht diese Methode nur etwa 50.000 Jahre zurück“, erläutert HZDR-Physiker Dr. Dominik Koll. „Um ältere Proben zu datieren, braucht es andere Isotope, zum Beispiel kosmogenes Beryllium-10 (10Be).“ Es entsteht, wenn kosmische Strahlung auf Sauerstoff und Stickstoff in der oberen Atmosphäre trifft. Durch Niederschlag gelangt es auf die Erde und kann sich am Meeresgrund anreichern. Mit einer Halbwertszeit von 1,4 Millionen Jahren zerfällt es zu Bor und ermöglicht dadurch eine geologische Datierung, die mehr als 10 Millionen Jahre zurückreicht.
Auffällige Häufung von Beryllium
Vor einiger Zeit hat Kolls Arbeitsgruppe eine besondere Probe untersucht: Im Pazifik hat ein Forschungsschiff geologische Proben aus mehreren Kilometern Tiefe geborgen. Es handelte sich um Ferromangankrusten, hauptsächlich bestehend aus Eisen und Mangan, die sich im Laufe von Jahrmillionen langsam, aber stetig gebildet hatten. Um die Proben zu datieren, analysierte das Team den 10Be-Gehalt mit einer hochempfindlichen Methode – der Beschleuniger-Massenspektrometrie am HZDR. Dabei wird die Probe chemisch gereinigt und anschließend auf Spurenisotope analysiert. Einzelne Atome aus der Probe werden durch Hochspannung beschleunigt, mit Magneten abgelenkt und von Spezialdetektoren registriert. Dadurch lässt sich 10Be sowohl von anderen Beryllium-Isotopen als auch von gleichschweren Molekülen und Isotopen trennen, etwa von Bor-10.
Als die Forschungsgruppe die Messdaten auswertete, erlebte sie eine Überraschung: „Bei etwa 10 Millionen Jahren fanden wir fast doppelt so viel 10Be, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre“, berichtet Koll. „Wir waren also auf eine bislang unentdeckte Anomalie gestoßen.“ Um auszuschließen, dass es sich um eine Verunreinigung handelt, analysierten die Fachleute weitere Proben aus dem Pazifik. Auch hier zeigte sich die Anomalie – das Team kann also davon ausgehen, dass es sich um ein reales Phänomen handelt.
Meeresströmung, Sternexplosion oder interstellare Kollision?
Doch wie war die auffällige Konzentrationserhöhung vor 10 Millionen Jahren entstanden? Koll, der an der TU Dresden und der Australian National University promovierte, sieht zwei verschiedene Erklärungsversuche. Einer hängt mit der Ozeanzirkulation nahe der Antarktis zusammen, die sich vor 10-12 Millionen Jahren drastisch verändert haben dürfte. „Das könnte dafür gesorgt haben, dass 10Be durch die veränderten Meeresströmungen eine Zeitlang ungleichmäßig auf der Erde verteilt wurde“, sagt der Physiker. „Dadurch könnte sich 10Be im Pazifik besonders angereichert haben.“
Die zweite Hypothese ist astrophysikalischer Natur. Demnach könnten entweder die Nachwirkungen einer erdnahen Sternexplosion dafür gesorgt haben, dass die kosmische Strahlung vor 10 Millionen Jahren vorübergehend intensiver wurde. Oder die Erde hatte zeitweise den Schutzschirm der Sonne – die Heliosphäre – durch die Kollision mit einer dichten interstellaren Wolke verloren und war dadurch stärker dem Einfluss der kosmischen Strahlung ausgesetzt. „Ob die Beryllium-Anomalie durch veränderte Meeresströmungen entstanden war oder astrophysikalische Gründe hat, können nur neue Messdaten zeigen“, meint Koll. „Deshalb wollen wir künftig weitere Proben analysieren und hoffen, dass andere Forschungsgruppen das auch tun.“ Sollte man die Anomalie überall auf dem Globus finden, spräche das für die Astrophysik-Hypothese. Sollte sie dagegen nur in manchen Regionen auftreten, wäre die Erklärung mit veränderten Meeresströmungen plausibler.
Für die geologische Beryllium-Datierung jedenfalls könnte die Anomalie einen deutlichen Nutzen haben. Grundsätzlich gibt es bei Datierungen ein Problem, verschiedene Archive zu vergleichen. Dafür braucht es Zeitmarker, die sich in sämtlichen Datensätzen finden und mit deren Hilfe sich die Archive miteinander synchronisieren lassen. „Für Zeiträume von Jahrmillionen gibt es solche kosmogenen Zeitmarker noch nicht“, erklärt Dominik Koll. „Doch diese Beryllium-Anomalie hat das Potenzial, als ein solcher Marker zu fungieren.“
Publikation:
D. Koll, J. Lachner, S. Beutner, S. Fichter, S. Merchel, G. Rugel, Z. Slavkovská, C. Vivo-Vilches, S. Winkler, A. Wallner: A cosmogenic 10Be anomaly during the late Miocene as independent time marker for marine archives, in Nature Communications, 2025 (DOI: 10.1038/s41467-024-55662-4)
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