03.01.2018
Arten ohne Grenzen
Die TU Dresden schützt in einem tschechisch-sächsischen Projekt die Synergie von Artenvielfalt und Tradition im Erzgebirge
Mehr menschliche Bewirtschaftung für mehr Artenvielfalt: An der sächsisch-tschechischen Grenze wollen Forscher beider Länder auf diese Weise die Flora und Fauna vor Ort bewahren. „800 Jahre Bergbau und Landwirtschaft haben im Erzgebirge Kulturlandschaften geformt. Die Biotope, die darin gewachsen sind, sind auf diese Nutzung angewiesen, um weiterzuleben“, erklärt Dr. Frank Müller vom Institut für Botanik an der TU Dresden. Diese Biotope und ihre Pflanzenarten – viele selten und auf Roten Listen – zu schützen und zu regenerieren ist das Ziel eines bilateralen Umweltschutzprojekts, das 2018 beginnt, und in dem Wissenschaftler der TU Dresden und der Jan-Evangelista-Purkyně-Universität Ústí nad Labem zusammenarbeiten. Vom EU-Fonds für regionale Entwicklung gefördert, bündeln die Forscher ihre Erfahrungen zum Schutz der menschengemachten Gesteinsbiotope und ihrer Pflanzenarten und leiten Konzepte für deren Erhalt ab. Ein besonderer Fokus sind Bergbaubiotope und die Steinrücken oder Lesesteinwälle.
Das Erzgebirge ist reich an ihnen. Die Mauern haben Bauern und Dorfbewohner über Jahrhunderte aufgehäuft: Sie befreiten Äcker und Grünland von unerwünschtem Gestein, und markierten zugleich Ackerraine und Flurgrenzen. Diese Grenzen aus aufgelesenen Steinen – Lesesteinen – bilden seitdem das Zuhause für Arten wie Wildapfel und Feuerlilie, Heuschrecken und Reptilien; Heilpflanzen wie Bärwurz und Johanniskraut bevorzugen die kargen Flächen ebenso wie Moose und Flechten, die an schwermetallreiche Standorte gebunden sind. Für ihr Überleben müssen „Natur und Kultur in Einklang“ sein, so das Ziel von Dr. Müller. „Den Flächen täte es gut, wenn wir die Menschen im Umland wieder in ihre Nutzung integrieren könnten.“ Bloßes Brachliegen führt auf Dauer zum Verlust der Pflanzen und Tiere, die sich in den Steinrücken und ehemaligen Bergbauflächen angesiedelt haben. „Alle Biotope in Mitteleuropa entwickeln sich letztlich in Richtung Wald, das ist die Endgesellschaft hier. Wald ist natürlich schön – aber nach 800 Jahren Mensch und Natur im Erzgebirge würde das, was heute hier lebt, im Wald wahrscheinlich untergehen.“
Um die Grenzen zwischen Tschechien und Sachsen sowie zwischen Mensch und Natur in einem gemeinsamen Lebensraum zu schützen, sammeln und bewerten die Forscher ab kommendem Jahr biotische Daten für rund 300 Hektar Fläche. Wesentlich hierfür ist der Aufbau von Kontakten zwischen botanischen Forschungseinrichtungen, Verwaltungen, Museen und Vereinen beider Länder. Aber auch Akzeptanz und Verständnis der lokalen Bevölkerung für ihre kulturelle Naturlandschaft ist mit Exkursionen und Informationsveranstaltungen Teil des Projekts.
Die Analysen sollen Handlungsträgern effiziente Planungsinstrumente an die Hand geben, um transnationale Ziele des Natur- und Landschaftsschutzes zu erreichen – und der Wissenschaft neue Erkenntnisse zur Ökologie der Biotoptypen und ihrer charakteristischen Pflanzenarten bringen. Das natur-kulturelle Erbe erhält durch die Untersuchungen auch Futter für die Bewerbung als UNESCO-Welterbe – die „Montane Kulturlandschaft Erzgebirge/Krušnohoří“.
Dr. Müller, der schon als Kind die Orchideenwiesen seiner hiesigen Heimat mit Sensen pflegte, hofft zudem auf motivierende Vergleiche zu seiner Doktorarbeit: „Ich habe zu den Steinrücken im Erzgebirge promoviert. Nachdem in den vergangenen Jahren einige Pflegemaßnahmen für Großschutzgebiete im Erzgebirge gelaufen sind, hoffe und denke ich, dass wir von der damaligen Analyse aus positive Entwicklungen feststellen.“
Das Vorhaben ist Teil des grenzübergreifenden Kooperationsprogramms Freistaat Sachsen – Tschechische Republik 2014 – 2020, das Ende vergangenen Jahres sieben neue Projekte zur Förderung freigegeben hat. Rund 10,1 Millionen Euro fließen aus dem Fonds für regionale Entwicklung von der Europäischen Union in die Grenze, um hier kulturelle und ökologische Brücken zwischen den Ländern zu bauen.
Informationen für Journalisten:
Dr. Frank Müller
Fakultät für Biologie der TU Dresden
Institut für Botanik
Tel.: +49 (0) 351 463-33012