20.04.2021
Das Virus infiziert die deutsche Sprache
TUD-Experten befragt: Linguist Professor Alexander Lasch im »angemeldeten UJ-Schnelltest«
Wohl über nichts wird gegenwärtig so viel gesprochen wie über die Corona- Pandemie. Wörter wie Inzidenz, Öffnungsstrategie und Homeoffice sind in aller Munde. Corona beeinflusst die deutsche Sprache. Wie und in welchem Maße, darüber spricht das UJ mit Alexander Lasch, Professor für Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte an der TUD-Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften.
UJ: Über 3000 neue Wörter enthält die im Sommer vergangenen Jahres erschienene 28. Auflage des Dudens, darunter viele Anglizismen wie »Lockdown« und »Social Distancing« aber auch Wörter und damit verbunden Konzepte wie »Herdenimmunität«, »Geisterspiel« und »rückverfolgbar«. Ist eine solche Zunahme von Wörtern in der deutschen Sprache innerhalb von drei Jahren ungewöhnlich?
Prof. Lasch: Ja, durchaus, zumindest, wenn man sich auf dieses eine Ereignis konzentriert. Denn man wird sich eingestehen dürfen, dass das aktuelle pandemische Geschehen so tiefgreifend unsere selbstverständlich geglaubten gesellschaftlichen Realitäten über Nacht auf den Kopf gestellt hat – in einer Singularität, die so außergewöhnlich ist, dass man sie und ihre Konsequenzen mit Worten begreifen muss. Allerdings, das sei auch gesagt, sind 3000 Wörter nicht besonders viel. Wenn man Komposita (wie Geisterspiel, Herdenimmunität oder rückverfolgbar) nicht mitzählte, läge die Zahl auch noch deutlich darunter. Die Zahl ist also nicht einmal das Entscheidende, sondern, dass uns auffällt, dass wir neue Wörter bereits nach einem Jahr wie selbstverständlich nutzen und uns zu Nutze machen. Denn das Wort Lockdown aus dem Englischen zu übernehmen, bedeutet ja nicht zugleich, damit das Konzept und den Begriff in gleicher Schärfe umzusetzen. Auch ließen sich Bezeichnungskonkurrenzen zwischen Shutdown und Lockdown beobachten, die mittlerweile entschieden sind, und integrieren können wir besonders gut, wie man zum Beispiel am Kompositum Brücken- Lockdown Armin Laschets dieser Tage gut beobachten kann.
Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim führt in einem Onlinelexikon rund 1000 neue Wortschöpfungen rund um die Corona-Pandemie auf. Bereichern große gesellschaftliche Ereignisse die Sprache und den Wortschatz? Natürlich – Sprecher:innen passen sich sprachlich immer ihrer sozialen und physischen Umwelt an und am einfachsten geht dies mittels Neuschöpfungen, kreativen Um- und Neubildungen oder Entlehnungen. Man erkennt also an Neuaufnahmen und den Erweiterungen des Wortschatzes gesellschaftlich Relevantes, das sich in vielen Lebensbereichen nachhaltig auswirkt: Mikroplastik, Fukushima, Nine Eleven, Breakoutroom lassen sich mit gesellschaftlich bedeutsamen Ereignissen und Entwicklungen ebenso in Verbindung bringen wie Arabischer Frühling oder Smartphone.
Ex-Präsident Donald Trump verwendete wohl als erster das Wort »Chinavirus«, gegenwärtig wird von einer »britischen« Mutante des Virus und vom »Russen-Impfstoff« gesprochen. Sind konnotative Verknüpfungen hier angebracht?
Man liest auch bisweilen vom *Briten- Virus – zur kritischen Distanzierung markiere ich die Bildung mit Asterisk. Funktionale Bezüge (hier auf den ersten Blick nach Herkunft eines Virus oder einer -variante) bieten meist sehr schnell Orientierung und Einordnung. Allerdings werden meist auch sofort spezifische Sichtweisen auf die Welt mitbedeutet und Heterostereotype, also Vorurteile, über andere (zumindest) mitausgedrückt. Etwas mehr Augenmaß wäre hier nötig. Denn nicht selten wird darin eine (west-)europäisch hegemoniale Sicht auf die Welt greifbar, von der wir uns besser lösen sollten. Man sollte sich also überlegen, ob man ungeniert von *Afrikanern, ja, nicht geschlechtergerecht, sprechen sollte, oder wie Trump vom *Chinavirus. Denn mit Sicherheit drückt er damit nicht nur einen Herkunftsbezug, sondern auch behauptete Superiorität aus, also (wie auch immer geartete und vermeintliche) Überlegenheit des westlichen Kulturkreises. Anders dürfte es auch bei *Russen-Impfstoff nicht sein, denn hier deutet man nicht auf eine Himmelsrichtung, sondern auf ein Konzept von Russland mit hin, das dem Westen heute immer noch fremd ist und fremd bleiben wird, wenn man weiter nicht miteinander redet und verhandelt. Schmunzeln muss ich bei der Aussprache von Sputnik V – hier war anfangs nicht klar, ob V als römische Ziffer oder als Realisierung eines Graphems auszusprechen ist. Und nicht wenige dürften in der Verwendung mit römischer Ziffer an einen Satelliten gedacht haben.
Auch bisher durchaus gebräuchliche Wörter werden in neuem, teils verharmlosendem Zusammenhang gebraucht wie etwa »Herausforderung «. Neulich hörte ich in einem Interview, wie der Geschäftsführer eines Unternehmens, nach den Auswirkungen der Pandemie auf sein Unternehmen befragt, spontan sagte, es habe einen massiven Gewinneinbruch gegeben. Sofort verbesserte er sich: Es habe eine Herausforderung gegeben. Verleiten außergewöhnliche Umstände wie eine Pandemie die Menschen dazu, sie begrifflich zu verharmlosen, damit sie besser damit klarkommen?
Das würde ich bei Herausforderung und Entwicklungspotenzial eher nicht behaupten. Sie werden in solchen besonderen Zeiten vielleicht auch in der Öffentlichkeit eher sichtbar, wenn sie, wie im Beispiel, den Bereich interner und externer Unternehmenskommunikation verlassen. Allerdings hört man auch von Herausforderungen statt Problemen in allen anderen institutionell verfestigten Bereichen. Es handelt sich also eher um ein im Sprachwandel häufig zu beobachtendes Phänomen, dass sich alternative Bezeichnungen durchzusetzen beginnen, die sich auf denselben Gegenstand beziehen, aber positiver konnotiert sind (Herausforderung), was zur weiteren Abwertung des etablierten Wortes (Problem) zumindest in bestimmten Kontexten führt.
Wie viele der »neuen Wörter« werden überleben? Gibt es eigentlich Beispiele von Wörtern großer gesellschaftlicher Umbrüche oder auch Pandemien wie der Pest, die wir noch heute im Sprachgebrauch haben?
Wenn Sie die Wahl zwischen Pest und Cholera haben, sehen Sie, in welchen Bereichen sich Bildungen besonders lang erhalten – in verfestigten Mehrworteinheiten, die dann meist entkontextualisiert sind und sich erhalten, weil sie eine neue (metaphorische) Bedeutung tragen, die sich auch verändern kann. Wenn Ihnen etwas an den Kragen geht, war bis ins 18. Jahrhundert ziemlich klar, dass damit nicht ein Kleidungsstück, sondern Ihr Hals gemeint ist. Oder »carpe diem«: Es wird zur stehenden Wendung für ein Lebensmotto, etwas pauschalisiert im Kontext des Dreißigjährigen Krieges, und feiert heute Erfolge als Wandtattoo – auch über dieses Kompositum könnte man einmal länger nachdenken –, obwohl Horaz möglicherweise eher etwas intendierte wie »Der frühe Vogel fängt den Wurm«. Mit technischen Errungenschaften verhält es sich so, dass, wenn sie sich durchsetzen, auch die Begriffe bleiben, auch wenn es ab und an Bezeichnungskonkurrenzen gibt. Dinge, denen kein durchschlagender Erfolg beschieden ist, werden nicht mehr gekannt und benannt. Was ein Theremin ist, weiß beinahe niemand mehr, mit einem Synthesizer kann vielleicht die eine oder der andere noch etwas anfangen, wenn man in den 1980ern sozialisiert wurde. Landläufig werden digitale Pianos heute aber eher als Keyboards bezeichnet, was nur noch mittelbar etwas mit dem Englischen zu tun hat, wo das Wort auch für die Computertastatur genutzt wird. Alles, das kann man lernen, ist im Wandel. Unabhängig mit der Verbindung zu einem spezifischen Ding oder Konzept, das bleiben wird, wie Homeoffice, haben Adjektive gute Chancen für den Weiterbestand; rückverfolgbar kann so ziemlich alles sein, das – wenn auch nur metaphorisch – Spuren hinterlässt. Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass wir uns in den Gebrauch der Begriffe Lockdown und Social Distancing nicht über viele Jahre einüben müssen.
Haben Sie gegenwärtig einen Lieblingsbegriff aus dem sprachlichen Umfeld des Corona- Geschehens?
Impfe. Kann stehen sowohl für den Impfstoff (primär) wie die Impfung selbst (sekundär): https://twitter.com/search?q=Impfe. Wer sich ein Bild machen will von der Dynamik, die ein solches Wort entfalten mag, kann sich bei Google Trends, also den Suchanfragen von Sprachnutzer:innen zu diesem Wort, einen Eindruck davon verschaffen.
Mit Prof. Alexander Lasch sprach Karsten Eckold.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 07/2021 vom 20. April 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.