02.07.2024
Digitale Gesundheitsanwendungen: Regulierung und Kostenerstattung flexibler gestalten
Digitale Gesundheitstechnologien (DHTs) wie Wearables, mobile Geräte und Telemedizin-Anwendungen sind ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Medizin. In der Praxis ist es häufig sinnvoll, einzelne Anwendungen in umfassenden Paketen zu kombinieren, um verschiedenen klinischen Bedürfnissen gerecht zu werden. Beispiele hierfür sind Geräte für die Fernüberwachung von Erkrankten oder sogenannte Hospital-at-Home-Konzepte, die verschiedene Technologien wie Gesundheitssensoren, Warn- und Überwachungssysteme, smarte Medikamentenboxen und digitale Unterstützung für Patientinnen und Patienten beinhalten können. Eine anwendungsbezogene Kombination mehrerer Technologien stellt derzeit sowohl Hersteller und kommerzielle Anbieter als auch Gesetzgeber und Erstattungsstellen vor Herausforderungen. In einer zweiteiligen Serie beleuchten Forschende aus Dresden, Oxford und London das Potenzial sowie die aktuellen Herausforderungen in der Umsetzung von DHTs und schlagen flexible, zweckmäßige Lösungen vor. Ihre Einschätzungen wurden im Nature Portfolio Journal „npj Digital Medicine“ veröffentlicht.
Derzeit bestehende Bewertungssysteme für verbundene DHTs behindern tendenziell die Weiterentwicklung sowie den Einsatz solcher Technologien und verlangsamen damit den medizinisch-technischen Fortschritt. In den meisten Fällen wird jedes Gerät einzeln getestet und für einen bestimmten Zweck zugelassen. Die Verbindung mehrerer Anwendungen könnte neue, möglicherweise überlegene Vorteile bieten, wird jedoch nur selten berücksichtigt. Eine flexible Kombination verschiedener Geräte für neue klinische Anwendungsbereiche stellt den Gesetzgeber und die Erstattungsstellen vor große Herausforderungen. Derzeit müssen Entwickler von digitalen medizinischen Hilfsmitteln die Zulassung für Medizinprodukte und den Nachweis klinischer Daten für alle verwendeten Komponenten vorweisen – auch wenn sie diese nicht selbst herstellen. Für Kombinationen, die Technologien wie Smartphones oder Sensoren von mehreren verschiedenen Herstellern verwenden, bedeutet diese Auslegung des EU-Rechts eine fast unlösbare Aufgabe. Auch Sicherheits- und Leistungsaspekte spielen eine wichtige Rolle. Werden Gesundheitsanwendungen kombiniert, müssen die verschiedenen Systeme miteinander kompatibel sein. Zudem werden Cybersicherheit und der Schutz sensibler, persönlicher Gesundheitsdaten richtigerweise mit hoher Priorität berücksichtigt.
Durch die zunehmende Vernetzung neuer Technologien und die großen Fortschritte in der mobilen Kommunikation nimmt auch die Komplexität der zu regulierenden Anwendungen zu. Eine Entwicklung, mit der die aktuelle Praxis der Prüfung, Zulassung, Überwachung und Kostenerstattung nicht mithalten kann. Deshalb empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass diese Prozesse künftig dynamischer erfolgen sollten. Ein Beispiel, wie das besser gelingen kann, ist in Deutschland die Erweiterung von Programmen wie dem Fast-Track-Verfahren zur Zulassung von Digitalen Gesundheitsanwendungen, kurz: DiGA. Hier werden strenge Sicherheitsstandards beibehalten und die Genehmigung der Kostenerstattung an Bedingungen geknüpft. Sie ist zunächst auf einen Zeitraum von einem Jahr begrenzt, in dem der Nachweis über einen positiven Nutzen erfolgen muss. Damit wird ein Mittelweg zwischen Sicherheit und Innovation gefördert.
Professor Stephen Gilbert, Leiter der Forschungsgruppe „Medical Device Regulatory Science“ am Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit an der Technischen Universität Dresden, spricht sich gemeinsam mit weiteren Forschenden für einen flexiblen und zweckmäßigen Bewertungsrahmen aus, der die Stärken und Schwächen digitaler Technologie-Pakte berücksichtigt. Für die Zukunft empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Mischung aus flexibler Zulassung, Bewertung und Erstattung verbunden mit robuster und intelligenter Kontrolle. Das Ziel sollte ein digitaler Wandel in der Medizin sein, der den gesellschaftlichen Bedürfnissen entspricht, Kosten einspart, umweltfreundlich ist und die Qualität der Gesundheitsversorgung insgesamt verbessert.
Publikationen
Rebecca Mathias, Peter McCulloch, Anastasia Chalkidou, Stephen Gilbert: Digital health technologies need regulation and reimbursement that enable flexible interactions and groupings; npj Digital Medicine, 2024.
Link: https://www.nature.com/articles/s41746-024-01147-z
Rebecca Mathias, Peter McCulloch, Anastasia Chalkidou, Stephen Gilbert: How can regulation and reimbursement better accommodate flexible suites of digital health technologies?; npj Digital Medicine, 2024.
Link: https://www.nature.com/articles/s41746-024-01156-y
Diese Arbeit wurde von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms „Horizon Europe“ als Teil der Projekte CYMEDSEC (101094218) und ASSESS-DHT (101137347) unterstützt. Die britischen Teilnehmenden am Horizon Europe-Projekt ASSESS-DHT werden durch den Zuschuss von UK Research and Innovation (UKRI) unter der Nummer 10106825 (National Institute for Health and Care Excellence) unterstützt.
Else Kröner Fresenius Zentrum (EKFZ) für Digitale Gesundheit
Das EKFZ für Digitale Gesundheit an der TU Dresden und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden wurde im September 2019 gegründet. Es wird mit einer Fördersumme von 40 Millionen Euro für eine Laufzeit von zehn Jahren von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung gefördert. Das Zentrum konzentriert seine Forschungsaktivitäten auf innovative, medizinische und digitale Technologien an der direkten Schnittstelle zu den Patientinnen und Patienten. Das Ziel ist dabei, das Potenzial der Digitalisierung in der Medizin voll auszuschöpfen, um die Gesundheitsversorgung, die medizinische Forschung und die klinische Praxis deutlich und nachhaltig zu verbessern.
Kontakt
EKFZ für Digitale Gesundheit
Anja Stübner und Dr. Viktoria Bosak
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