12.05.2020
Ein deutsch-deutsches Leben
Dr. Wilhelm Knabe, Mitbegründer der Partei »Die Grünen«, erhielt seine ökologisch-naturwissenschaftliche Hochschulausbildung an der TH Dresden
Otto Wienhaus
»Erinnerungen – Ein deutsch-deutsches Leben «, so lautet der Titel eines Buches, das im Dezember vorigen Jahres erschien. Geschrieben hat es der heute 96-jährige Wissenschaftler und Politiker Dr. Wilhelm Knabe. Otto Wienhaus, emeritierter TUD-Professor für Pflanzenchemie und Ökotoxikologie, hat sich für das UJ mit dem bewegten Leben von Dr. Knabe beschäftigt.
Wilhelm Knabe wurde am 8. Oktober 1923 als siebentes von insgesamt neun Kindern geboren. Sein Vater war ab 1936 Rektor der Diakonenanstalt in Moritzburg. Ein herber Verlust für die ganze Familie war sein früher Tod am 24. April 1940.
Wilhelm Knabe besuchte die Fürstenschule St. Afra in Meißen und wurde unmittelbar nach dem Abitur zum Militärdienst einberufen. Er absolvierte eine Pilotenausbildung. Nachdem er bereits 1945 aus der Gefangenschaft entlassen wurde, trat er aus seiner christlich-pazifistischen Gesinnung heraus in die CDU ein.
Als dann 1946 der Lehrbetrieb an der TH Dresden wieder aufgenommen wurde, konnte er gemeinsam mit 25 späteren Kommilitonen aus insgesamt 100 Bewerbern für das Forststudium ausgewählt werden. Sowohl von den Studienbedingungen her (im ersten Studienjahr musste der Lehrbetrieb wegen Brennstoffmangel drei Wochen eingestellt werden) wie auch von der Ernährungssituation her (der ortsansässige Müller stellte den hungernden Studenten illegal Haferflocken zu Verfügung) waren es sehr harte Bedingungen. Wilhelm Knabe engagierte sich in der Dresdner Studentengemeinde. Er organisierte Lehrerweiterbildungen in der Arbeitsgemeinschaft »Wald und Volk« und aktivierte dafür in bewundernswerter Weise seine Mitstudenten. Mit dieser Aktion konnten die sächsischen Lehrer als Multiplikatoren für das Wissen der Kinder über den Wald gewonnen werden. 1950 schloss er sein Forststudium mit einer Diplomarbeit über die Lärche ab.
Danach war er Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Gartenkunst und Landschaftsgestaltung der Humboldt- Universität Berlin. Hier beschäftigte er sich sehr erfolgreich mit der Rekultivierung von Kippen im Lausitzer Bergbaugebiet und promovierte darüber 1957 mit einer entsprechenden Dissertation.
Die Familie verlässt 1959 die DDR
Obgleich er ein anerkannter und gefragter Fachmann bei der Gestaltung der Bergbau-Folgelandschaften in der DDR war, entschied sich die Familie 1959 aus politischen Gründen und wegen der Zukunft der Kinder, in die Bundesrepublik zu übersiedeln.
Hier wurde er im gleichen Jahr Geschäftsführer des Deutschen Pappelvereins NRW. Die Pappel hatte damals als rasch wachsende Baumart sowohl eine große Bedeutung für die Holzversorgung als auch für die Landschaftsgestaltung.
Im Jahr 1961 fand er eine Anstellung am Institut für Weltforstwirtschaft der Bundesforschungsanstalt in Reinbek bei Hamburg. Bei entsprechenden Forschungsaufträgen konnte er seine Erfahrung aus der Kippenrekultivierung auf Ödlandaufforstungen in tropischen Ländern und auf die Haldenrekultivierung in den USA übertragen.
Danach ging er 1966 an die Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz (LIB) in Essen. Hier machte er Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen der Luftqualität und dem Gesundheitszustand der Wälder, die eine wichtige Basis für den Bau von Abgasreinigungsanlagen waren.
1970 begründete er die internationalen Tagungen der Sachverständigen für Rauchschäden, bei denen Fachleute aus beiden deutschen Staaten, der Schweiz, Italien, der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und den USA die Probleme der Schädigung der Vegetation durch Luftverunreinigungen und deren Minderung berieten. Im gleichen Jahr wurde er auch zum Regierungsdirektor ernannt.
Ebenfalls 1970 wurde der LIB in die Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung (LÖLF) in Recklinghausen integriert. Dr. Knabe war hier an einem landesweiten Messnetz zur Erfassung von Waldschäden durch Immissionen (die immissionsökologische Waldzustandserfassung) maßgeblich beteiligt.
Initiator und Leitungsmitglied der Partei »Die Grünen«
Nachdem sich in Nordrhein-Westfalen (NRW) die ersten Umweltgruppen gebildet hatten, war es das Anliegen von Wilhelm Knabe, dass die Fragen der Ökologie in die Programme der etablierten Parteien aufgenommen werden sollten. Entsprechende Schreiben von ihm wurden zwar verständnisvoll, aber ohne die erhoffte Wirkung aufgenommen. So wurde am 15. und 16. Dezember 1979 in Bonn der NRW-Landesverband »Die Grünen« gegründet. Sitzungsleiter und späterer Sprecher der Partei war Dr. Wilhelm Knabe.
Als dann am 12. und 13. Januar 1980 in der Karlsruher Stadthalle die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen stattfand und die Gründung der Bundespartei beschlossen wurde, war Wilhelm Knabe in das Präsidium gewählt worden. Bei den damals vielfältigen Strömungen in der Partei galt er als Umweltfachmann und Wertkonservativer. Am 14. November 1982 wurde er in Hagen beim Bundesparteitag als Sprecher der Partei gewählt.
Zur Bundestagswahl 1983 kamen die Grünen mit 28 Abgeordneten erstmalig in den Bundestag. Bei der nächsten Wahl 1987 wurde Dr. Wilhelm Knabe als Bundestagsabgeordneter gewählt. Er gehörte damals der Enquete-Kommission »Vorsorge zum Schutze der Erdatmosphäre « an.
Von 1994 bis 1999 war er 2. Bürgermeister in Mülheim an der Ruhr. Auch heute ist er Mitglied der Seniorenorganisation »Grüne Alte«, ehemaliger Abgeordneter des Bundestages und des Europaparlamentes. Im Jahre 2014 wurde er für sein Wirken mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Eine besondere Freude war für ihn die Verleihung des Kavalierskreuzes des Verdientsordens der Republik Polen für seine fachlich-ökologische und politische Zusammenarbeit vor und nach der politischen Wende im Jahre 2008 durch den polnischen Staatspräsidenten.
Wilhelm Knabes Verbindung zur TUD vor und nach 1989
Wilhelm Knabe hielt den Kontakt zu den Tharandter Umweltforschern. Zunächst gab es da wenige Schwierigkeiten. Ab Mitte der 1970er-Jahre unterlagen die Umweltdaten zunehmend der Geheimhaltung. Prof. Hans-Günther Däßler, TUD-Professor für Pflanzenchemie (siehe UJ 8/2020), durfte beispielsweise nicht mehr zu Tagungen in westliche Länder fahren. Große Aufregung gab es, wenn Wilhelm Knabe das Institut unangemeldet aufsuchte. Anschließend wurde jeder, der mit ihm gesprochen hatte, von der Sektionsleitung befragt.
Dr. Wilhelm Knabe organisierte die erste offizielle Delegationsreise der Grünen in die DDR. In dem 2015 erschienenen Buch des Mainzer Historikers Dr. Tobias Huff »Natur und Umwelt in der DDR« ist dieses besondere Ereignis auf S. 378 auf der Basis von Archivunterlagen aus der DDR im Bundesarchiv beschrieben: Es war für den 18. Oktober in Zeuthen ein Gespräch zwischen Dr. Wilhelm Knabe, Charlotte Gabler, Christine Muschler von den Grünen, dem Umweltminister der DDR, Hans Reichelt und dem Generalforstmeister der DDR, Rudolf Rüthnick, vereinbart worden. Auf speziellen Wunsch von Dr. Knabe war auch Prof. Hans-Günther Däßler als Fachmann von der TU Dresden bei den Beratungen zugegen. Thema der Begegnung waren die Luftverunreinigungen und die Waldschäden in beiden deutschen Staaten. Wie bereits beschrieben, gehörte Dr. Knabe zu den ersten Forststudenten nach der Wiedereröffnung der TH Dresden 1946. Prof. Däßler wiederum war einer der ersten Chemiestudenten. Die DDR-Vertreter warteten auf den besonderen Besuch insgesamt sechs Stunden. Es hatte sich Folgendes zugetragen: Die westdeutschen Delegationsmitglieder wollten mit dem Fahrrad zu dem Staatsbesuch einreisen. Für die Kontrollbeamten war das jedoch etwas Außergewöhnliches, und so wurde nach Konsultationen mit höchsten Regierungsstellen eine Staatskarosse für die Weiterfahrt zur Verfügung gestellt. Den Bericht von dem Treffen schickte Minister Reichelt dann an die Politbüromitglieder Erich Honecker, Günter Mittag, Willi Stoph und Hermann Axen.
Umweltfragen spielten an der TU Dresden bei der Ausbildung beispielsweise von Ingenieuren und Chemikern vor 1989 keine bzw. eine untergeordnete Rolle. So wurde von interessierten Studenten erst Ende der 1980er-Jahre die TU-Umweltinitiative (TUUWI) gegründet. Es wurden Umweltprojekte und Vortragsreihen von den Studenten organisiert. Besondere Bedeutung gewann diese Organisation in der Zeit der politischen Wende. Die Vermittlung umweltrelevanten Wissens wurde auch von der TUD-Leitung für viele Fachrichtungen grundlegend aufgewertet. Im Studium generale wurden Umweltthemen behandelt. Das Angebot von Dr. Knabe, in diesem Rahmen Vorträge zu halten, wurde freudig aufgenommen und in die Lehrpläne für Studenten der Ingenieurwissenschaften, der Chemie, der Hydrologie, der Pädagogik etc. integriert. Auch heute lebt die TUUWI weiter und engagiert sich sowohl für die Umweltbildung als auch für die Umweltgestaltung.
Eine besondere Ausgründung aus der TUUWI ist das Umweltbildungshaus Johannishöhe in Tharandt, das von der Hydrochemikerin Milana Müller und Diplomingenieur Jens Heinze geleitet wird. Beide sind auch Stadträte von Tharandt. Im Haus, auf dem Grundstück und in der Stadt Tharandt werden »grüne « Projekte realisiert. Als das Grundstück Johannishöhe von der Treuhand veräußert wurde, war es Dr. Wilhelm Knabe, der die Übereignung an die Grüne Liga und damit an die heutigen Betreiber massiv befürwortete.
Als das Bundestagsmandat von Dr. Knabe 1990 endete, konnte ich mit ihm in seinem Abgeordnetenbüro in Bonn aus den Regalen Bücher und Berichte auswählen und nach Tharandt bringen. Das war in der Wendezeit besonders hilfreich, da man die eigene Forschung besser in das Netzwerk der gesamtdeutschen Forschung integrieren konnte und auch die Lehre mit den gewonnenen Kenntnissen aktualisiert werden konnte. Die Schriften wurden später an die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden übergeben.
Im 30. Jahr der Wiedervereinigung erscheint es besonders bedeutsam, an solche Persönlichkeiten zu erinnern, die stets und in besonderer Weise um den Zusammenhalt der Deutschen in Ost und West gerungen haben. Aus seiner fundierten praxisorientierten Fachkenntnis heraus hat er die ökologischen Probleme in die Politik eingebracht und um sachlich orientierte Lösungen gerungen. Dabei war die christlich-humanistische Einstellung eine wichtige Grundlage seines Handelns, weshalb er sich auch von verschiedenen – teils radikalisierten – Strömungen seiner Partei nicht vereinnahmen ließ. Solche mit Fachkenntnissen und praktischen Erfahrungen ausgestatteten Führungspersönlichkeiten wie Dr. Wilhelm Knabe wären auch heute für die Grünen dienlich. Dabei ist es für uns von besonderem Wert, dass er seine forstlich-naturwissenschaftliche akademische Ausbildung an der TH Dresden erhalten hat.
Dr. Wilhelm Knabe: »Erinnerungen – Ein deutsch-deutsches Leben«, Dr. Krosse Verlag, Mülheim a. d. Ruhr, ISBN 978-3-9813807-3-6
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 9/2020 vom 12. Mai 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.