18.01.2022
Ein Meister der Symbiose von Funktionalität und Ästhetik
Er designte den legendären Kleinstrechner D4a, die Schreibmaschine Erika und das Mokick S50/51 – eine Hommage auf Karl Clauss Dietel
Evelyn Paul
Mit dem Abstand eines halben Jahrhunderts erinnerte sich Karl Clauss Dietel im Herbst 2018 in der Dauerausstellung der Kustodie an die Arbeiten zur Formgestaltung des D4a – dem legendären Kleinstrechenautomaten, der Anfang der 1960er-Jahre unter Prof. Nikolaus Joachim Lehmann an der TH Dresden entwickelt wurde. Einer der ersten Aufträge des damals jungen, freiberuflichen DDR-Formgestalters, der nun am 2. Januar 2022 im Alter von 87 Jahren in Chemnitz verstarb.
Den gelernten Maschinenschlosser und studierten Kraftfahrzeugingenieur aus Reinholdshain bei Glauchau in Sachsen zog es Mitte der 1950er-Jahre zum Studium an die Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin- Weißensee. Dozenten wie Selman Selmanagic und Ernst Rudolf Vogenauer aber auch die Ideen des Bauhauses prägten Dietels rational ausgerichtete Gestaltungsprinzipien.
D4a, R 300 und Entwürfe für Trabant und Wartburg
Internationale Bekanntheit erarbeitete sich der Gestalter zusammen mit Lutz Rudolph, seinem Kommilitonen, späteren Atelierpartner und langjährigen Freund. Zu Dietels heute als ikonisch geltenden Entwürfen zählen neben dem D4a und dem Großrechner R300 von Robotron sowohl Entwurfsarbeiten für den Wartburg 353 und die Nachfolgermodelle des Trabant 601 – welche leider nie realisiert wurden – als auch Gestaltungen für den Rundfunkgerätehersteller Heliradio oder für die bekannte Schreibmaschinenserie Erika.
Dietels Gestaltungscredo war das Offene Prinzip, das einer geplanten Obsoleszenz entgegenwirken sollte. In seiner Umsetzung ist es heute noch mustergültig am Mokick S50/51 der Firma Simson erlebbar. Auch in der Formgestaltung des D4a spiegelt sich dieses Prinzip in Grundzügen wider: Weitestgehend offen sichtbare, klar zusammengefügte Funktionsbereiche ermöglichen ein schnelles Reagieren auf technische Neuerungen und sollen den späteren Nutzern den Einstieg in die Bedienung des Arbeitsgerätes für den individuellen Gebrauch erleichtern. Damit erfüllte Dietels Entwurf auch die gleichermaßen hohen Ansprüche an Funktionalität und Ästhetik des Erfinders des D4a, N. J. Lehmann.
Ein Videointerview »lieber heute als morgen«
Im Jahr 2018 liefen an der TU Dresden die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum Jubiläum »50 Jahre Informatikausbildung« an, die 2019 begangen wurden. Die Kustodie war hieran intensiv beteiligt, da sie als zentrale Einrichtung für die Sammlungen der TU Dresden und damit auch für die bedeutende Sammlung Historischer Rechenmaschinen verantwortlich ist und diese ebenso im Rahmen von hochschulgeschichtlichen Kontexten erforscht. Gemeinsam entwickelte das Team damals die Idee, ein Videointerview mit dem Gestalter des D4a, Karl Clauss Dietel, zu führen. Es folgten erste Vorgespräche – telefonisch und dann in seinem Chemnitzer Atelier. Dietel zeigte sich sehr aufgeschlossen und drängte in Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters, das Interview »lieber heute als morgen« aufzuzeichnen.
So entstand am 8. November 2018 in der Dauerausstellung der Kustodie, in welcher der D4a stellvertretend für die frühe Computerentwicklung an der damaligen TH Dresden präsentiert wird, ein wichtiges und lebendiges Zeitzeugnis. Dietel beleuchtet im Interview spannende, teils in Vergessenheit geratene Aspekte zur Auftragsvergabe sowie zu seiner persönlichen Bekanntschaft mit Prof. Lehmann und erläuterte mittels seiner Originalentwürfe die Ideen zur Beeinflussung der Nutzer durch die Gestaltung und letztlich zur Farbigkeit innerhalb des Einheitsgraus.
Seine Ansätze zur Langlebigkeit durch austauschbare Komponenten sowie zur Anpassung der Maschine an den Menschen mittels intuitiver Bedienung für eine größtmögliche Nutzerfreundlichkeit sind heute präsenter denn je.
Seine Gestaltungsprinzipien sind noch heute relevant
Und so wie sich Dietel zeitlebens in aktuelle Debatten einbrachte, sind die Grundlagen seiner Gestaltungsprinzipien auch für die heutige Forschung noch relevant, beispielsweise in den Themenfeldern Künstliche Intelligenz oder der Entwicklung von Sprachassistenzen.
Das Videointerview wurde mit freundlicher Unterstützung der Fakultät Informatik anlässlich des 50-jährigen Jubiläums universitärer Informatikausbildung in Dresden zur »Output 2019« erstmalig präsentiert und kann heute über den Youtube-Kanal und die Website der Kustodie unter www.tu-dresden.de/kustodie aufgerufen werden.
Die Autorin entwickelte 2018 das Konzept zum Videointerview und führte die Gespräche mit Karl Clauss Dietel.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 1/2022 vom 18. Januar 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.