22.09.2020
Gärtner, Gestalter, Unbekannter: 370 Jahre Karcher
Als Obergärtner entwarf Johann Friedrich Karcher den Großen Garten. Doch er prägte nicht nur Dresdens größten Park.
Luise Anter
Man kann nach Versailles fahren, um sich barocke französische Gärten anzuschauen: 1053 Kilometer ab Fritz-Foerster-Platz, 10 Stunden Autofahrt. Man kann aber auch zur Karcherallee fahren: 5,2 Kilometer, 22 Minuten Busfahrt, dann ist man am Ostende des Großen Gartens. Der ist zwar nicht so pompös, die barocke Struktur ist nur noch in Grundzügen da. Doch man kann auf den Spuren eines wichtigen Gartengestalters wandeln: auf den Spuren Johann Friedrich Karchers.
Dresden 1683: Im Zentrum der Stadt entsteht seit sieben Jahren ein von Kurfürst Georg II. beauftragter Park. So richtig geht es nicht voran. Als einer von vier Gärtnern soll Karcher ein Gutachten über den Zustand des von Hofgärtner Martin Göttler entworfenen Gartens machen. Er legt einen Entwurf für einen Garten im französischen Stil vor: strenge Geometrien, breite Alleen, das Wegenetz rechteckig statt sternförmig. Dem Kurfürsten scheint der Entwurf zu gefallen: Im August 1683 ernennt er Karcher zum Obergärtner und betraut ihn mit der Planung des Großen Gartens. Als solcher ist er später auch dafür verantwortlich, dass die Fläche des Gartens verkleinert wird – aus einem Quadrat wird die heute erhaltene rechteckige Fläche. Karcher schlägt auch vor, den Innenbereich des Gartens rund um das Palais mit acht Pavillons zu markieren: Die »Kavalierhäuschen« waren früher mit Ketten und Mauern verbunden. Heute sind noch fünf der Häuschen erhalten, sie wurden aber im 19. Jahrhundert baulich verändert. 1709 bringt Karcher das Bassin hinter dem Palais in die Planungen ein. Die Idee dafür hatte er wohl vom Schloss Marly-le-Roi, der nicht mehr existierenden Sommerresidenz Ludwig XIV. »Das ist ein klassisches Architekturzitat«, sagt Harald Blanke. Er hat vor zwanzig Jahren an der TU Dresden zur Entwicklung des Großen Gartens im Zeitalter August des Starken promoviert.
Woher genau Karcher seine Fähigkeiten hatte, sei unklar. »Wir wissen nicht genau, was er vor 1683 gemacht hat«, sagt der Historiker. Geboren wurde Karcher im September 1650, sein Geburtsort ist unklar. Er lernte wohl den Beruf des Gärtners und unternahm Studienreisen nach Frankreich. Dort hat er womöglich unter André le Nôtre gearbeitet, dem obersten Gartenarchitekten Ludwig XIV. Vermutlich beim damaligen sächsischen Oberlandbaumeister Wolf Caspar von Klengel erlangte Karcher sein architektonisches Wissen. »Aber da war auch viel Eigenstudium dabei«, so Blanke.
Karcher war auch an einigen anderen Gärten und Bauwerken beteiligt. Etwa gestaltete er den zeitgenössisch so genannten »kurfürstlichen kleinen Lustgarten vor dem Pirnaischen Tore«, von dem allerdings fast nichts mehr erhalten ist. Auf dem Gelände befindet sich heute der Blüherpark. Auch die Nordfassade des Taschenbergpalais und erste hölzerne Bauten des Zwingers tragen wohl die Handschrift Karchers – zumindest in Teilen: »Man kann heute oft nicht mehr genau sagen, wer was gestaltete hat«, so Blanke. Viele Entwürfe seien kaum signiert. »Letztlich war es immer Teamwork.«
Karchers Können war auch außerhalb Dresdens gefragt: Er wirkte an den Planungen von Stift Joachimstein bei Zgorzelec mit, vermutlich auch an jenen für Schloss Tiefenau bei Meißen. Auch für die Schlösser in Warschau oder das Schloss Wilhelmshöhe in Kassel machte Karcher Entwürfe – die wurden aber nie realisiert. »Das war üblich in dieser Zeit«, so Blanke. Auch einige von Karchers Ideen für Dresden, etwa für eine Kaserne in der Neustadt, verließen nie das Papier.
August der Starke ernannte Karcher 1699 zum Oberlandbaumeister, also zum Leiter des Bauamtes. Der so geehrte selbst fügte seinem Namen gern mal ein »alias Vitruvius« hinzu und sah sich damit auf einer Stufe mit einem bedeutenden römischen Architekten. Als Leiter des Bauamtes erließ er eine neue Bauordnung für Dresden, die etwa eine reine Steinbauweise und eine einheitliche Verputzfarbe festlegte. »Das diente vor allem der Beseitigung von Chaos und dem Brandschutz«, so Blanke. Das heutige Stadtbild präge das kaum noch.
Zudem waren die politischen Umstände nicht auf Karchers Seite. Ende des 17. Jahrhunderts verlagerte August der Starke seinen Schwerpunkt nach Warschau, Karcher aber blieb in Dresden. »Karcher war zwar Leiter des Bauamts«, so Blanke. »Aber es wurde nicht gebaut.«
Als Dresden nach dem Verzicht des Kurfürsten auf die polnische Krone wieder bedeutsamer wurde, war Karchers große Zeit vorbei. Denn er hatte mit einem Leiden zu kämpfen: Der Gestalter sah nicht mehr gut. Als eines seiner letzten Werke gilt die Gestaltung der Gartenanlage von Schloss Moritzburg im Jahr 1718, zusammen mit seinem Schüler Daniel Matthäus Pöppelmann. Der löste ihn im selben Jahr als Oberlandbaumeister ab. Obergärtner des Großen Gartens blieb Karcher noch bis 1722, dann machte ihm das schwindende Augenlicht seine Arbeit unmöglich. Der Große Garten aber galt zu dieser Zeit als vollendet. »Das ist Karchers Großwerk«, sagt Blanke.
Vier Jahre später starb Karcher in Dresden. Grab und Epitaph findet man in der Kirche Leubnitz-Neuostra, für deren barocken Anbau Karcher verantwortlich war. »So ein Epitaph«, meint Blanke, »ist schon ordentlich für einen Gärtner«.
Dr. Harald Blanke, im Jahr 2000 an der TU Dresden promoviert mit »Der große Garten zu Dresden. Geschichte und Gestaltung im Zeitalter August des Starken 1676 - 1733.« Er leitet heute Schloss Hundisburg in Sachsen-Anhalt. Telefonischer Kontakt: (03904) 44265
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 14/2020 vom 22. September 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im neuen Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.