08.05.2014
Knochenmarktransplantation: Neuer Wirkstoff schützt fast nebenwirkungsfrei vor gefährlichen Virus-Infektionen
„So etwas habe ich in meiner bisherigen Forscher-Laufbahn bei einem hoch wirksamen Wirkstoff noch nicht erleben dürfen“, sagt Prof. Gerhard Ehninger begeistert. Der weltweit anerkannte Dresdner Hämatologe, Direktor des Universitäts KrebsCentrums UCC am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden und Mitbegründer der Deutschen Knochenmarkspenderdatei DKMS, koordinierte eine Studie zum Viren-blockenden Wirkstoff Letermovir auf nationaler und internationaler Ebene. „Mit Letermovir blockieren wir den Austritt des vermehrten Virus aus der infiltrierten, befallenen Zelle“, erklärt Prof. Ehninger. Der dafür nötige Eingriff mit dem Wirkstoff auf zellulärer Ebene hat aber keine Auswirkungen auf andere Prozesse im Körper. Dieser fast nebenwirkungsfreie Wirkmechanismus des Medikaments zeigt sich eindrucksvoll in einer kontrollierten Doppel-Blind-Studie: Erstmals konnte hier der Placebo-Effekt kontrolliert werden, das heißt, dass Letermovir so wenig giftig für den geschwächten Körper war, dass weniger Nebenwirkungen auftraten als bei Patienten, die gar keinen Wirkstoff erhielten. Ein typisches Beispiel für Patienten-nahe Forschung mit raschen, positiven Effekten für die Betroffenen. In den vergangenen Jahren entwickelte sich am Standort der Hochschulmedizin Dresden die translationale Krebsforschung zu einem international sichtbaren Forschungsschwerpunkt. Heute (8. Mai 2014) veröffentlichte das aus den USA und Deutschland stammende Forscherteam im führenden Fachblatt „The New England Journal of Medicine“ (DOI: 10.1056/NEJMoa1309533) seine bahnbrechenden Ergebnisse. Das Editorial der Ausgabe widmet sich zusätzlich eingehend der Arbeit – ein Zeichen für die hohe Qualität und Relevanz der Studie.
„Mit dem Wirkstoff Letermovir können wir die für Gesunde ungefährlichen, aber für Immungeschwächte höchst gefährlichen Zytomegaloviren, auch als Humanes Herpes-Virus 5 bekannt, wirkungsvoll unterdrücken. Zerstören lassen sich diese evolutionsgeschichtlich gesehen uralten Stämme im Körper nicht“, erklärt Prof. Ehninger. Die bei bisherigen Wirkstoffen bei der Virus-Unterdrückung auftretenden schweren Nebenwirkungen sind aufgrund eines völlig neuartigen Wirkmechanismus auf zellulärer Ebene bei Letermovir je nach Wirkstoffmenge kaum noch oder gar nicht mehr zu beobachten. „In der abschließenden Zulassungs-Studie dürfen wir deshalb den Probanden bereits am Tag der Knochenmarkstransplantation Letermovir verabreichen und die Viren früher bekämpfen – wegen der bei hergebrachten Wirkstoffen hervorgerufenen Nebenwirkungen war bisher erst an Tag 30 nach dem Eingriff eine Medikation zu verantworten, um die geschwächten Patienten nicht einem zu hohen Risiko auszusetzen.“
Eine Neuinfektion mit oder die Reaktivierung von bereits vorhandenen Zytomegaloviren (CMV) können bei immungeschwächten Menschen schwerwiegende Problemen verursachen. Es kann zu einer CMV-assoziierten Darmentzündung mit starkem Durchfall, Leber- oder Lungenentzündungen kommen, bei nierentransplantierten Menschen kann eine starke CMV-Reaktivierung zu einer Transplantats-Funktionsverschlechterung und womöglich sogar zum Verlust des Transplantates führen. Bei 30 Prozent der AIDS-Patienten, die keine hochaktive antiretrovirale Therapie erhalten, befällt das Virus die Netzhaut und führt zum Erblinden. Die Infektion mit dem Zytomegalovirus ist außerdem mit Bluthochdruck und Arteriosklerose verbunden.Der von den Wissenschaftlern in Dresden, Houston, Wuppertal, Münster, Würzburg, Iowa, Chicago und Stanford in einer umfangreichen klinischen Studie im Auftrag der Firma AiCuris getestete Wirkstoff Letermovir wirkt an anderer Stelle als derzeit genutzte Viren-Blocker: Diese haben die DNA-Polymerase, also die Vervielfältigung der Viren-DNA, durch Ausschalten eines bestimmten Eiweiß-Bausteins behindert. Dieser Baustein wird aber auch im restlichen Körper und nicht nur bei der Viren-Vermehrung benötigt. Dadurch kommt es zu teilweise erheblichen Nebenwirkungen wie eine Hemmung der Blutbildung oder Nierenfunktionsstörungen.
Mit der multizentrischen Studie wurde auch offenbar, dass die Virus-Testung in den Kliniken stärker entsprechend der Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO standardisiert werden muss. In wenigen Fällen wurden während der Studie Blutproben ermittelt, bei denen Kliniken einen noch nicht reaktivierten Virus diagnostizierten, im zentralen Studienlabor aber genau diese Reaktivierung nachgewiesen wurde. Eine zuverlässige und genaue Diagnostik dieser Parameter ist aber unabdingbar für den rechtzeitigen und richtig dosierten Einsatz virushemmender Mittel.
The New England Journal of Medicine, May 8, 2014,
vol. 370, no. 19: Letermovir for Cytomegalovirus Prophylaxis
in Hematopoietic-Cell Transplantation; Roy F. Chemaly,
M.D., Andrew J. Ullmann, M.D., Susanne Stoelben, M.D., Marie
Paule Richard, M.D., Martin Bornhäuser, M.D., Christoph Groth,
M.D., Hermann Einsele, M.D., Margarida Silverman, M.D.,
Kathleen M. Mullane, M.D., Janice Brown, M.D., Horst Nowak,
Ph.D., Katrin Kölling, M.Sc., Hans P. Stobernack, D.V.M., Peter
Lischka, Ph.D., Holger Zimmermann, Ph.D., Helga
Rübsamen-Schaeff, Ph.D., Richard E. Champlin, M.D., and Gerhard
Ehninger, M.D., for the AIC246 Study Team
DOI: 10.1056/NEJMoa1309533
Informationen für Journalisten:
Universitäts KrebsCentrum des Universitätsklinikums
und der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU
Dresden
Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger, geschäftsführender
Direktor
Tel.: 0049 (0) 351 458 4190
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