15.05.2025
Living Labs in der Medizin schaffen eine sichere Testumgebung für digitale Innovationen im Gesundheitswesen
In einer neuen Publikation in der Fachzeitschrift „Science Advances“ stellen Forschende vom Else Kröner Fresenius Zentrum (EKFZ) für Digitale Gesundheit der TU Dresden in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Klinische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Dresden und Mitgliedern der Ethikkommission der TUD einen Fahrplan für die Umsetzung sicherer, regelkonformer „Living Labs“ in der Medizin vor. Die Autor:innen betonen die Bedeutung flexibler und sicherer Rahmenbedingungen, um Innovationen in der digitalen, KI-gestützten Gesundheitsversorgung zu beschleunigen.
Living Labs: Entwicklung und Erprobung von Innovationen in kreativer, praxisnaher Umgebung
Living Labs in der Medizin sind reale, kooperative Umgebungen, die dazu dienen, neue Technologien unter nahezu klinischen Bedingungen zu testen. Moderne digitale Geräte sind zunehmend flexibel, vernetzt und voneinander abhängig. Living Labs bieten eine wertvolle Möglichkeit, um zu untersuchen, wie Patient:innen oder medizinisches Fachpersonal mit digitalen Innovationen – wie beispielsweise künstlicher Intelligenz (KI), mobilen Gesundheits-Apps und tragbaren Sensoren – in klinischen Arbeitsabläufen interagieren. Durch die Erfassung der Nutzerperspektiven und Ergebnisse in einem frühen Entwicklungsstadium tragen Living Labs dazu bei, dass digitale Anwendungen sowohl praktisch sind als auch einen Mehrwert für Patient:innen haben.
Die Flexibilität, die Living Labs auszeichnet, steht jedoch oft im Widerspruch zu den starren Strukturen der derzeitigen EU-Rechtsvorschriften für Medizinprodukte, die ursprünglich nicht für digitale und adaptive Technologien konzipiert wurden. „Living Labs stehen in einem natürlichen Spannungsverhältnis zur Regulierung“, erklärt Rebecca Matthias, Mitautorin der Veröffentlichung und wissenschaftliche Mitarbeiterin am EKFZ für Digitale Gesundheit. „Flexibilität und Sicherheit schließen sich jedoch nicht aus. Flexibilität in der Bewertung sowie in der Interaktion mit den Patient:innen geht Hand in Hand mit Sicherheit und ethischen Leitplanken.“
Die Veröffentlichung stützt sich auf die Erfahrungen des Teams beim Aufbau eines Living Labs am Dresdner Universitätsklinikum zur Erforschung von Multipler Sklerose (MS). „Unser MS Living Lab ist ein sich ständig weiterentwickelndes Konzept, das in kontinuierlichem Austausch mit allen Beteiligten, einschließlich der Ethikkommission und der Aufsichtsbehörden, steht, um Sicherheit und Compliance zu gewährleisten, ohne dabei die Innovation zu behindern“, sagt Prof. Tjalf Ziemssen, Leiter des Zentrums für Klinische Neurowissenschaften an der Neurologischen Klinik des Dresdner Universitätsklinikums Carl Gustav Carus.
Digitale Gesundheitstechnologien erfordern neue Ansätze für deren Bewertung
Die Veröffentlichung zeigt auf, wie Living Labs – insbesondere solche, die in Universitätskliniken eingebettet sind – wesentliche Sicherheits- und Ethikstandards einhalten und gleichzeitig digitale Innovationen fördern können. Die Autor:innen argumentieren, dass Umgebungen wie Living Labs und „Regulatory Sandboxes“ – die Entwickler und Aufsichtsbehörden zusammenbringen, um neue Technologien sicher zu testen – für künftige Gesundheitstechnologien unerlässlich sind. Der EU AI Act schreibt die Einrichtung von mindestens einer Regulatory Sandbox pro Mitgliedsstaat bis August 2026 vor und unterstreicht damit die Dringlichkeit der Entwicklung strukturierter, ethischer und skalierbarer Experimentierräume.
Anders als herkömmliche medizinische Geräte entwickeln sich KI-gestützte digitale Gesundheitstechnologien im Laufe der Zeit weiter und erfordern häufig laufende Anpassungen auf Grundlage neuer Daten. Diese Dynamik macht es den Entwicklern schwer, ihre Tools in vollständig realistischen klinischen Arbeitsabläufen zu bewerten, insbesondere unter den derzeitigen regulatorischen Bedingungen. Infolgedessen werden wichtige Aspekte wie Benutzerfreundlichkeit, Integration in bestehende Krankenhaussysteme und Zusammenspiel mit anderen Geräten oft übersehen. Durch einen sicheren Rahmen für ethische und rechtskonforme Studien können Living Labs dazu beitragen, diese Herausforderungen zu überwinden. Sie unterstützen die Sammlung umfangreicher, realer Daten und helfen den Entwicklern, die Bedürfnisse von Patient:innen und medizinischem Fachpersonal besser zu verstehen, was letztlich die sichere Umsetzung innovativer Ideen in die klinische Praxis beschleunigt.
„Die EU hat eine ehrgeizige regulatorische Vision skizziert, um bei der sicheren und ethischen Kontrolle der KI in der Medizin eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Dies erfordert mutige und gut finanzierte Strategien, die kontrollierte Studien unterstützen und Innovationen fördern. Mit der richtigen Unterstützung können Umgebungen wie Living Labs die Kluft zwischen Regulierung und Innovation überbrücken und sicherstellen, dass sich digitale Gesundheitslösungen auf sinnvolle und ethische Weise weiterentwickeln und letztlich den Patient:innen und den Gesundheitssystemen zugutekommen“, sagt Prof. Stephen Gilbert, Professor für Medical Device Regulatory Science an der TUD und Mitautor der Studie.
Publikation
Stephen Gilbert, Rebecca Mathias, Anett Schönfelder, Magdalena Wekenborg, Julia Steinigen-Fuchs, Anja Dillenseger, Tjalf Ziemssen: A roadmap for safe regulation-compliant Living Labs for AI and digital health development. Science Advances, 2025.
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adv7719
Else Kröner Fresenius Zentrum (EKFZ) für Digitale Gesundheit
Das EKFZ für Digitale Gesundheit an der TU Dresden und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden wurde im September 2019 gegründet. Es wird mit einer Fördersumme von 40 Millionen Euro für eine Laufzeit von zehn Jahren von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung gefördert. Das Zentrum konzentriert seine Forschungsaktivitäten auf innovative, medizinische und digitale Technologien an der direkten Schnittstelle zu den Patientinnen und Patienten. Das Ziel ist dabei, das Potenzial der Digitalisierung in der Medizin voll auszuschöpfen, um die Gesundheitsversorgung, die medizinische Forschung und die klinische Praxis deutlich und nachhaltig zu verbessern.
Kontakt
EKFZ für Digitale Gesundheit
Anja Stübner und Dr. Viktoria Bosak
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: +49 351 – 458 11379
digitalhealth.tu-dresden.de