22.03.2022
NanoCar Race II. Rennen der Moleküle: Acht Teams aus drei Kontinenten treffen sich zum kleinsten Rennen der Welt
TU Dresden und IPF schicken einziges deutsches Team ins Rennen
Beim Begriff „24-Stunden-Rennen“ denken viele an Le Mans, an Daytona, oder auch den Nürburgring. Vor dem inneren Auge erscheinen möglicherweise Bilder von bunten Autos, die rasend schnell vorbeiziehen, begleitet von ohrenbetäubendem Lärm und dem Geruch verbrannter Hochleistungs-Treibstoffe. Doch beim NanoCar Race ist alles anders! Und mittendrin ein Team der TU Dresden.
Das total andere 24-Stunden-Rennen
Ende März findet in Toulouse am französischen CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique - Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) das zweite NanoCar Race statt. Bei diesem Rennen der besonderen Art istso ziemlich alles anders ist als bei den klassischen Autorennen! Genaugenommen sitzen eigentlich nur die Rennpilot:innen dort, während sich die „Rennstrecken“ weltweit verteilt in acht verschiedenen Laboren befinden – eins davon an der TU Dresden. Und die teilnehmenden „Autos“ sind sehr, sehr klein – Moleküle aus 50 bis 200 Atomen, in der Größe von wenigen Nanometern. Um diese Dimensionen zu begreifen, hilft vielleicht folgender Vergleich: Ein menschliches Haar hat eine Dicke von rund 70.000 Nanometern.
Ein Mikroskop als Motor?
In dieser Winzig-Welt lässt sich natürlich nichts mehr mit dem bloßen Auge oder mit klassischen Mikroskopen erkennen – es braucht dafür ganz besondere Hightech-Maschinen, sogenannte Rastertunnelmikroskope (englisch „scanning tunneling microscope“ – STM). Diese gleiten mit einer sehr feinen Mess-Spitze (Sonde) über die jeweilige Probe. Aufgrund der angelegten Spannung zwischen Sonde und Probe lassen sich mittels quantenmechanischem Effekt Erkenntnisse über die Oberflächenstruktur des untersuchten Objekts machen – und zwar mit einer Auflösung bis zur Größe von einzelnen Atomen! Doch beim NanoCar-Rennen dienen die STMs nicht nur der Beobachtung der winzigen Rennwagen, sondern sie sorgen auch für deren Fortbewegung. Denn mittels der angelegten Spannung lassen sich Moleküle auch bewegen, wenn sie einen geeigneten Aufbau haben.
Hier liegt für die Rennteams also der Schlüssel zum Sieg: Welches Molekül eignet sich am besten, um innerhalb der 24 Stunden möglichst weit voran zu kommen? „Weit“ ist hier natürlich auch wieder ein relativer Begriff – die zurückgelegten Strecken werden im besten Fall einige Nanometer betragen. Dennoch scheuen die Organisator:innen des Rennens keine Mühen, um alles wie bei einem richtigen Sportevent erscheinen zu lassen! Es gibt einen 24-Stunden-Livestream, unterbrochen von Reportagen zu den einzelnen Teams sowie der Übertragung offizieller Statements aus Politik und Wissenschaft. Und im Anschluss gibt es natürlich eine standesgemäße Siegerehrung! Das erste Nanocar-Rennen fand im April 2017 statt und wurde von mehr als 100.000 Menschen weltweit live auf dem YouTube-Kanal verfolgt.
Grundlagenforschung, in zugängliches Format verpackt
Was alles wie ein großer Spaß klingt, hat natürlich einen ernsthaften wissenschaftlichen Hintergrund. Die Forschung an beweglichen, gezielt steuerbaren Molekülen ist Grundlagenforschung, die eines Tages verschiedenste Anwendungen ermöglichen könnte. Auch wenn es heute wie Science-Fiction klingt, in Zukunft verteilen solche Nano-Autos vielleicht medizinische Wirkstoffe im menschlichen Körper, dienen als Motoren bei der Verrichtung von Arbeiten winziger Minimaschinen oder werden als alternative Methode zur Berechnung von komplexen Problemen eingesetzt.
Organisiert wird das zweite internationale Nanocar-Rennen innerhalb des EU-geförderten FET OPEN Projekts „MEMO“ (Mechanics with Molecules). Die Projektleitung liegt bei Dr. Francesca Moresco, Leiterin der Gruppe „Single Molecule Machines“ (SMM) am Center for Advancing Electronics Dresden (cfaed) an der TU Dresden.
Das Dresden-Team
Natürlich sind die Dresdner:innen auch mit einem eigenen Nanocar am Start: Zum Dresdner Team GAzE (German Azulene Explorer) gehören neben der SMM-Gruppe (Koordinator:innen und Pilot:innen) auch Dr. Franziska Lissel und Oumaima Aiboudi (Functional Electronic Materials-Gruppe am Leibniz Institut für Polymerforschung Dresden - IPF) für die chemische Synthese, sowie Dr. Dmitry Ryndyk (TU Dresden, Professur für Theoretische Chemie / Leibniz-Institut für Werkstoffwissenschaften IFW), zuständig für Modellrechnungen.
Das Dresdner Nanocar hat einen Kern aus Azulen, der für ein hohes Dipolmoment sorgt, während seitliche Gruppen die Entkopplung von der Oberfläche unterstützen. Azulen ist ein blauer aromatischer Kohlenwasserstoff, der in Kosmetikprodukten und als Färbemittel verwendet wird. Die bekannteste natürliche Azulenverbindung kommt in der Kamille vor und wurde schon im 15. Jahrhundert als tiefblaues ätherisches Öl bei der Wasserdampfdestillation der Kamille gewonnen.
- NanoCar Race II, 24.3.2022, 11 Uhr bis 25.03.2022, 11 Uhr, CEMES-CNRS G. Dupouy-Campus Toulouse (Frankreich)
- Livestream: https://youtu.be/ofwBAOi01_o
Liste der qualifizierten Teams für das Nanocar Race II:
- StrasNanocar (University of Strasbourg / France)
- SanCar (CFM-CSIC San Sebastian and University of Santiago de Compostela/ SPAIN)
- GAzE (TU Dresden and IPF Dresden, Germany)
- Rice-Graz NanoPrix (University of Graz, Austria / Rice University, USA)
- NANOHISPA (IMDEA Madrid, Spain)
- TOULOUSE-NARA (CNRS and University of Toulouse, France / NAIST Nara, Japan)
- Ohio Bobcat Nanowagon (Ohio University, USA)
- NIMS-MANA (NIMS-MANA Tsukuba, Japan)
Hintergrund: Nanocar
Nanocar-Fahrer:innen nutzen den Elektronenfluss eines Rastertunnelmikroskops (STM), um ihre Moleküle zu bewegen, typischerweise bei jedem Impuls um ca. ein Zehntel Nanometer, so dass das Nanocar-Rennen in einem sehr kleinen Maßstab stattfindet. Bestehend aus etwa 50 - 200 Atomen mit einer lateralen Größe von einigen Nanometern ist ein Nanocar ein Molekül mit einer unterscheidbaren Vorder- und Rückseite. Aufgrund seiner chemischen Struktur kann sich das Nano-Auto auf einer Oberfläche bewegen, wenn Elektronen von der STM-Spitze es durchfließen. Der Antriebsmechanismus kann entweder unelastisch (durch die Anregung von Schwingungsmodi oder durch strominduzierte Strukturveränderungen) oder dipolar sein, d. h. durch die Abstoßung oder Anziehung zwischen dem Nanocar und der STM-Spitze.
Über das MEMO-Projekt
Das im Oktober 2017 gestartete europäische FET OPEN-Projekt MEMO (Mechanics with Molecules) hat das Ziel, Einzelmolekül-Maschinen auf einer Oberfläche zu konstruieren und zu testen, um die Rotation und die von einem Einzelmolekül-Motor geleistete Arbeit direkt auf atomarer Ebene zu steuern. MEMO wird die erste Miniaturisierungs-Roadmap für mechanische Molekülmaschinen erstellen. Das MEMO-Projekt wird von Dr. Francesca Moresco an der TU Dresden / cfaed koordiniert und bringt sechs Partner aus der Spitze der europäischen Forschung zur Entwicklung von Molekülmaschinen und Nanofabrikation zusammen: die Technische Universität Dresden (TU-Dresden) in Deutschland, das Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Frankreich, die Agencia estatal consejo superior de investigaciones cientificas (CSIC) in Spanien, die Universität Graz in Österreich, die Université de Liège in Belgien und die University of Manchester im Vereinigten Königreich. www.memo-project.eu
Über das cfaed - Center for Advancing Electronics Dresden
Das cfaed ist ein Forschungscluster an der Technischen Universität Dresden (TUD). Als interdisziplinäres Forschungszentrum für Perspektiven der Elektronik ist es an der TUD als Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung angesiedelt und integriert Mitglieder aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie der TU Chemnitz. Der Cluster widmet sich den Grundlagen zukunftsfähiger Informationstechnologien, die mit den heutigen siliziumbasierten Bauelementen nicht möglich wären. Um seine Ziele zu erreichen, verbindet der cfaed den Wissensdurst der Naturwissenschaften mit der Innovationskraft der Ingenieurwissenschaften. www.cfaed.tu-dresden.de
Presseanfragen:
TU Dresden, Center for Advancing Electronics Dresden:
Dr. Francesca Moresco
Gruppenleiterin Single Molecule Machines Group
Tel.: +49 351 463-43968
Matthias Hahndorf
Wissenschaftskommunikation
Tel.: +49 351 463-42847
E-Mail:
Medien-Downloads: https://cloudstore.zih.tu-dresden.de/index.php/s/y8KLAtaY5k6tkFp