01.08.2007
Dresdner Wissenschaftler entwickeln industrielle Produktion molekularbiologischer Medikamente
In industriellem Maßstab vermehrte Ribonukleinsäure-Moleküle (englisch: ribonucleic acid - RNA) können perspektivisch unerwünschtes Zellwachstum - beispielsweise bei Tumoren - wirksam blockieren. Um diese neue Therapieoption weiterzuentwickeln, erhält das Forscherteam um Dr. Jacques Rohayem vom Dresdner Institut für Virologie der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden rund 1,3 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium. Mit dem Projekt "siROX: Advanced siRNA Technologies" gehören die Dresdner Wissenschaftler als einziges ostdeutsches Team zu den sieben Siegern des Wettbewerbs "Go-Bio". Der Preis bestätigt den erfolgreichen Profilierungskurs von Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum: Nachdem beide Institutionen bereits in harten Wettbewerben unter anderem Fördergelder für ein Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK OncoRay) und ein Onkologisches Spitzenzentrum erhielten, wird nun ein weiteres Projekt in großem Maßstab unterstützt, das die Grundlagenforschung in der Krebstherapie mit der frühzeitigen Überführung der Ergebnisse in die Krankenversorgung verknüpft.
Weltweit arbeiten bereits mehrere Forscherteams daran, mit therapeutischen RNA-Molekülen das Tumorzellwachstum gezielt zu blockieren, und so Patienten zu therapie-ren. Um das innovative Prinzip jedoch intensiver zu testen, fehlt es den Medizinern derzeit noch an Produktions-Know-how: Die Tagesdosis der benötigten "small interfering ribonucleic acid" (siRNA) würden für einen erwachsenen Tumorpatienten etwa 2,4 Millionen Euro kosten und enorme Laborkapazitäten blockieren. Das Team um Dr. Rohayem will diese Summe in den kommenden Jahren um den Faktor 132.000 auf 18 Euro senken. Dazu setzt der Virologe in den letzten Jahren gewonnenes Wissen ein, das auf den ersten Blick kaum Anknüpfungspunkte zur Tumortherapie zu besitzen scheint. Bisher galt seine Aufmerksamkeit hauptsächlich hoch gefährlichen Viren wie dem Vogelgrippevirus H5N1, dem Ebola-Virus, aber auch dem Norovirus, der weltweit häufigsten Ursache von viralem Brechdurchfall. Um diese auszuschalten, studierte er mit Kollegen des hierzu ins Leben gerufenen internationalen Netzwerks "VIZIER" Strukturen und Vermehrungsmechanismen der Viren. Aus den Erkenntnissen dieser Grundlagenforschung heraus können mit Hilfe eines neu charakterisierten viralen Enzyms im Labor RNA-förmige Moleküle - von den Wissenschaftlern siRNA getauft - hergestellt und vermehrt werden. Diese binden an eine Botschafter-RNA (auch "messenger RNA" genannt) der Tumorzelle und schalten damit beispielsweise ein Tumorprotein aus. Durch diesen Eingriff lässt sich das ungezügelte, den Patienten bedrohende Tumorwachstum blockieren. Diese Therapieform lässt sich nicht nur bei Krebsleiden erfolgreich anwenden, sondern auch bei Virusinfektionen und neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer oder bei Störungen des Stoffwechsels.
Das siROX-Projektvorhaben ist auf die Behandlung von Krebserkrankungen fokussiert. PD Dr. Achim Temme aus dem siROX-Team wendet spezielle therapeutische siRNAs an, um das Wachstum von Tumoren in vitro aber auch bei Versuchsmäusen erfolgreich zu unterbinden. Mit dem Glioblastom hat sich der Biologe aus der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Uniklinikums eine der heimtückischsten Krebserkrankungen ausgewählt: Die Mehrzahl der an diesem Hirntumor erkrankten Patienten stirbt innerhalb des ersten Jahres. Zwar lassen sich die Tumore chirurgisch entfernen, doch es verbleiben immer einzelne Krebszellen im Gehirn, die dann ungestüm weiter wachsen. Weder Strahlen- noch Chemotherapien können dies wirksam stoppen. Mit den Versuchen konnte Dr. Temme nachweisen, dass der Einsatz von den auf das Glioblastom ausgerichteten siRNA das Ausbreiten der Krebszellen wirksam verhindert.
Um dieses wissenschaftliche Ergebnis auf eine breitere Basis zu stellen, bedarf es weiterer Studien an diesem Tumor und auch anderen Erkrankungen. Dies ist nur möglich, wenn sich siRNA schnell und kostengünstig herstellen lassen. Die Perspektive, dies in einem industriellen Maßstab zu gewährleisten, ist eines der Erfolgskriterien für das Dresdner Projekt "siROX" gewesen: Das Bundesministerium hatte den Wettbewerb Go-Bio ausgeschrieben, um unternehmerisch denkende Wissenschaftler zu fördern. Deshalb gehörte zu dem 150 Seiten starken siROX-Antrag ein Businessplan inklusive einer Marktstudie. Die Chancen, mit dem Konzept von Dresden aus eine Vorreiterrolle einzunehmen und den Weltmarkt zu erobern, stehen nicht schlecht. Das liegt an dem hohen Tempo, in dem die medizinische Innovation vorangetrieben wird: Die Grundlagen für die neue Therapieform wurden erst vor einem knappen Jahrzehnt entdeckt. Die US-amerikanischen Wissenschaftler Andrew Fire und Craig Mello hatten seinerzeit noch an einem Fadenwurm experimentiert. Doch die Perspektiven, die sich daraus ergeben, trafen weltweit auf größte Anerkennung und brachten ihnen 2006 den Medizin-Nobelpreis ein. Und das Tempo der Wissenschaftler zieht weiter an: Dr. Rohayems Projektplan zielt darauf, dass bereits in sechs Jahren eine so genannte Phase-I-Studie starten könnte, in der erste Patienten mit siRNA behandelt werden.
Das von Dr. Rohayem geleitete Forschungsprojekt ist ein erneuter Beleg für die erfolgreiche Ausrichtung von Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum, sowie weiteren in Dresden ansässigen Forschungseinrichtungen. Insgesamt 85 Anträge wurden bundesweit im Rahmen des Wettbewerbs "Go-Bio" eingereicht. Davon kamen elf aus Sachsen, darunter allein fünf aus Dresden. Nur Bayern als Top-Wissenschaftsstandort weist eine noch höhere Bewerberzahl auf. Ausschlagend für den Erfolg des Dresdner Antrags ist unter anderem das eng geknüpfte Netzwerk der biomedizinischen Forschung in der sächsischen Landeshauptstadt. Durch eine weitere enge Zusammenarbeit mit dem Forschungslabor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, aber auch mit den Experten des Universitäts KrebsCentrums strebt Dr. Rohayem an, Tumorpatienten mit der siRNA-Therapie zu behandeln.
Nähere Informationen für Journalisten:
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
Institut für Virologie
Dr. Jacques Rohayem
Tel.: 0351 458-6200, Fax: -6314
www.tu-dresden.de/medviro