16.09.2013
Neubau des spätgotischen „Schlingrippengewölbes“ in der Dresdner Schlosskapelle
In den letzten Tagen hat das Dresdner Schloss erneut für
große Aufmerksamkeit gesorgt: nach gut zweijähriger Bauzeit
konnte die neu errichtete Gewölbedecke der ehemaligen
Schlosskapelle der Öffentlichkeit übergeben werden. Die im 16.
Jahrhundert errichtete Kapelle ist im historischen Gedächtnis
Sachsens und in der europäischen Wahrnehmung nicht nur als
Monument protestantischen Kirchenbaus, sondern auch als Zentrum
frühbarocker Musikkultur fest verankert. Die prächtige Decke
des Kapellenraums bildete ursprünglich ein kunstvolles
spätgotisches Gewölbe, dessen Rippen doppelt gekrümmt waren.
Solche „Bogenrippengewölbe“ oder „Schlingrippengewölbe“
bildeten einen Höhepunkt in der Kunstfertigkeit des
spätgotischen Gewölbebaus.
Die Gewölbedecke in der Schlosskapelle wurde nun unter
maßgeblicher Beteiligung von PD Dr. Stefan Bürger und Dr. David
Wendland, Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU
Dresden, wieder neu errichtet. Die Realisierung dieses wohl
einmaligen Vorhabens brachte zwei große Herausforderungen mit
sich, die in der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen
Planern und Wissenschaftlern bewältigt werden konnten. Zum
einen ist das historische Vorbild nur sehr spärlich
dokumentiert: neben fragmentarischen archäologischen Befunden
existiert lediglich eine zeichnerische Darstellung des
Innenraums, auf der auch das Gewölbe zu sehen ist. Hier konnte
mithilfe vergleichender Studien und vor allem mit dem Wissen um
die Entwurfsprozesse spätgotischer Gewölbe eine Hypothese
entwickelt werden, die mit den vorhandenen Befunden gut
zusammenpasst.
Zum andern wurden Konstruktionen dieser Art seit 450 Jahren
nicht mehr errichtet, auch sind über ihre Planung und Bau keine
ausreichenden Informationen aus Quellen verfügbar, so dass die
Entwurfsprinzipien, geometrische Konzeption, Tragkonstruktion,
Detaillierung und bautechnische Realisierung geklärt werden
mussten. In einem integrierten Entwurfsprozess wurde in der
Zusammenarbeit zwischen Architekten, Tragwerksplanern und
Wissenschaftlern eine Schalenkonstruktion aus unbewehrtem
Mauerwerk entwickelt, die formal und strukturell den
vergleichbaren erhaltenen Gewölbekonstruktionen der Spätgotik
entspricht. Auch die Realisierung dieser komplexen
Konstruktion, die in historischer Bauweise freihändig ohne
Schalung erfolgte, bedurfte der intensiven Unterstützung
seitens der beratenden Wissenschaftler direkt auf der
Baustelle. Begleitend wurden zwei Belastungsversuche durch das
Otto-Mohr-Laboratorium der TU Dresden durchgeführt.
Die Wiederherstellung eines Gewölbes, das insofern authentisch
ist, als der Entwurfsprozess, die verwendeten Materialien und
der handwerkliche Herstellungsprozess dem Original entsprechen,
gelang vor dem Hintergrund der laufenden Forschungen an der TU
Dresden zur Architektur der Spätgotik – am Institut für Kunst-
und Musikwissenschaft hat sich in den letzten Jahren in
zahlreichen Forschungsprojekten (u.a. „Figurierte Gewölbe
zwischen Saale und Neiße“, „Werkmeister der Spätgotik“,
„Spätgotische Zellengewölbe“, „Die Mittelalterliche Kirche als
Baustelle“, „REGothicVaultDesign“) eine der führenden
Forschungsgruppen auf diesem Gebiet herausgebildet –, sowie zur
Geschichte des Konstruierens, speziell zur historischen Technik
des Gewölbebaus. Auch die Entwicklung einer experimentellen
Schalenkonstruktion aus Mauerwerk (der Versuchsbau stand bis
vor Kurzem auf dem Campus der TU Dresden) stellt eine wichtige
Grundlage für die Konzeption der jetzt neu errichteten
Gewölbedecke dar.
Informationen für Journalisten:
Prof. Stefan Bürger,
apl. Professor an der Professur für Christliche Kunst der
Spätantike und des Mittelalters,
Tel.: 0351 463-35790,
Dr.-Ing. David Wendland,
Projektleiter ERC Starting Grant „REGothicVaultDesign“,
Tel.: 0351 463-36071,