09.10.2020
TU nimmt erneut an Dresdens Nachhaltigkeitsfestival teil
Die TU Dresden gestaltet mit sechs Veranstaltungen das UMUNDU-Festival für nachhaltige Entwicklung mit – in diesem 12. Jahr zum Thema „Müll - Von Resten und Ressourcen“.
Interview mit der Projektkoordinatorin Siv-Ann Lippert.
MS: Frau Lippert, in diesem Jahr findet das UMUNDU-Festival, das sich wechselnden Aspekten der Nachhaltigkeit widmet, bereits zum 12. Mal statt. Wie fing 2008 alles an?
SL: Das ist gerade 2020 eine spannende Frage, denn initiiert wurde das Konzept von Patrick Ribeiro, der in Dresden promovierte und das Thema Entwicklungspolitik bzw. Unterstützung der Nachhaltigkeit an die Öffentlichkeit bringen wollte. Dieses Jahr organisiert er in Lissabon das erste Umundu-Festival – es startet zeitgleich mit unserem. Am Martin-Luther-Platz nahm 2008 alles seinen Anfang als Infomarkt mit Ständen und einer lockeren Festivalstimmung. Daraus erwuchs später unser „Markt der Utopien“, der im Sommer stattfindet. Er bietet Musik, Street Food, Workshops und ein niedrigschwelliges Angebot, das die Themenwoche im Herbst ankündigt. Dort gibt es dann zuerst ein Symposium, das inhaltlich in die Tiefe geht und Sachverständige auf große Fragestellungen antworten lässt. Die Dekanin Frau Professor Dornack von der TU wird dort die Perspektiven für eine Welt ohne Müll diskutieren. In der darauffolgenden Woche können alle Dresdner Umweltinitiativen und auch die TU ihre Angebote zum Thema einbringen. Das Umundu-Team koordiniert alles.
MS: Mit der Riesa Efau haben Sie einen starken Partner für Ihr Anliegen gefunden. Gibt es ein Format mit diesem Themenreichtum auch andernorts?
SL: Das Symposium findet immer an einem anderen Veranstaltungsort statt, den wir mit einbinden wollen. Die Riesa Efau bringt sich mit etwas Besonderem ein: alte Schmalfilme zum Thema „Trash“. Unser Format mit Markt, Symposium und Festivalwoche ist als Konzept tatsächlich einzigartig. Aber natürlich berät man sich mit anderen Bildungsfestivals, die während der letzten drei oder vier Jahren in den großen Städten Fuß gefasst haben.
MS: Neben der TU als Kooperationspartner in Sachen Nachhaltigkeit haben Sie viele weitere bekannte Redner - die Nestler GmbH, Podemus Werke, Greenpeace, den SPD Umweltstammtisch, oder die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Wie kam Ihr Netzwerk zustande?
SL: Das Festival ist inzwischen gut bekannt und beinahe ein Selbstläufer. Unsere Kooperationspartner lassen sich aus unserem Online-Podcast und -Archiv rekapitulieren. Das ist zu einem gewissen Grad ein Portfolio unserer Qualität und schafft Interesse. Auf Professoren gehen wir in der Regel zu, teilweise erreichen uns aber Anfragen zur Mitgestaltung. Die TUUWI ist seit über sechs Jahren kontinuierlich dabei, aber es gibt sie schon seit 1989. Der Kontakt zu Studierenden lag nah, schließlich waren sie unsere erste Zielgruppe. Seitdem ist das ein produktiver Austausch und eine verlässliche Zusammenarbeit.
MS: Darauf ein wenig zum Inhalt des diesjährigen Festivals: Es heißt ja, Deutschland sei besonders versiert im Umgang mit der Müllproblematik. Was unterscheidet das Müllproblem der Wohlstandsgesellschaft von dem der dritten Welt?
SL: Die Perspektive, die wir darauf haben. Hierzulande fehlt der weiterführende Gedanke nach der Entsorgung: Warum existieren diese Mengen von Müll? Welche Ressourcen stecken darin? Während bei uns das Bewusstsein fehlt, liegt es jenseits des globalen Nordens an einer ganz anderen Stelle: Müllexporte belasten dort die Umwelt noch stärker und verschlechtern jede Entwicklungslage. In Ihrer Frage stecken viele Teilthemen, zu deren Aufarbeitung ein Perspektivwechsel auf beiden Seiten provoziert werden muss.
MS: Das klingt, als ob die schiere Verfügbarkeit von Produkten die Müllproblematik auslöst. Wird umgekehrt ein Ressourcenmangel das Problem zwangsläufig mindern?
SL: Ja und nein. Der Ressourcenmangel wird dazu führen, dass wir uns mit dem Problem auseinandersetzen. Das geschieht bereits in Form des Urban Mining: Welche Rohstoffe haben wir in den großen Städten vorrätig und wie können wir diese Ressourcen wiederverwenden, statt sie zu ersetzen?
MS: So kurz nach dem Feiertag zur Wiedervereinigung erinnert das ein wenig an die DDR, die ja als Zeit der Entbehrungen verschrien wird: Mangel ist makelhaft und muss vermieden werden…
SL: Absolut. Sich einzuschränken wird damit assoziiert, die Freiheit zu verlieren. Aber die Wiederverwendung von zum Beispiel Plastik bedeutet für uns keine wirkliche Einschränkung. Es gibt tatsächlich sehr viele Beispiele, wo wir vom pfleglichen Umgang mit unseren Dingen und vom Tauschen und Teilen profitieren können. Genau um dieses Umdenken geht es: Pflege und Wiederverwendung sind kein Makel. Unser Umgang mit den Produkten und die Auseinandersetzung mit der Thematik, was mein Konsum bedeutet, ist die wichtigste Dimension.
MS: Aber nützt beispielsweise das private Upcycling als Widerstand gegen das Warenangebot? Plastikblumenkübel werden ja dennoch an die Baumärkte geliefert.
SL: Natürlich haben diese Unternehmungen nur einen Zweck, wenn es viele tun. Gute Beispiele setzen sich aber fort. Das Ziel wäre eine gesamtgesellschaftliche durchdachte Perspektive auf die tatsächliche Notwendigkeit der angebotenen Produkte, ihre Reparierbarkeit und das komplette, möglichst energiearme Recycling – dann nähern wir uns auch der Utopie von Zero Waste.
MS: Dann bleibt aber noch das Problem der geplanten Obsoleszenz. Inzwischen ist zur Reparatur gerade elektrischer Geräte ein Expertenwissen vonnöten, das der Laie nicht kompensieren kann. Oder professionelle Reparaturen übersteigen den Preis einer Neuanschaffung.
SL: Hierbei ist die Politik in der Pflicht, die gegebenenfalls unter Druck gesetzt werden muss. Bildung ist immer nur ein einzelner Baustein und der Einzelne kann nur bis zur eigenen Handlung agieren. An diesem Punkt kommt eine ganze Verwertungskette an ihre Grenze. Stefan Schridde hat das Thema Obsoleszenz – also den geplanten Verschleiß von Dingen – auf vielen Ebenen untersucht und stellt es am 10.10. im Symposium vor.
MS: Aus welchem Grund sind viele Verpackungen mit solchen absurden Mengen von Kunststoff angereichert?
SL: Ganz einfach, weil es geht. Es existiert noch keine ausreichende Reglementierung von Seiten der Politik, die Umsetzung wird nicht kontrolliert und in der Bevölkerung ist kaum ein Bewusstsein dafür da. Außerdem entstehen keine negativen Kosten. Im Gegenteil: es erzeugt Profit, da Produkte in Plastik bevorzugt gekauft werden. Gefällt ein Artikel, setzt genau dieser Gedankenprozess nicht ein.
MS: Dann scheint es, als wäre der Kunststoff allein der größte Problemherd. Wächst der Plastik-Boom seit den 1960-ern weiter und wird die nächste Generation etwas daran ändern?
SL: Gerade im Austausch mit Schülern bin ich erstaunt, wie viel Bewusstsein für diese Problematik bei ihnen besteht. In der jüngeren Bevölkerung, die ihre Kaufkraft erst entwickelt, setzt ein Umdenken ein, das einen gravierenden Wandel verspricht. Sie finden Plastik nicht mehr „genial“, weil sie schon aus der Kindheit davon übersättigt sind. Und ob Kunststoff der Problemherd ist… Das Problem ist die extrem lange Abbauzeit, weniger das Plastik. Tatsächlich macht es kaum einen Unterschied, ob ich eine Papiertüte nur einmal benutze oder eine Plastiktüte – der Herstellungsaufwand ist ähnlich. Aber die Mikroplastik bleibt: Sie zerkleinert sich im Wasserkreislauf immer mehr und ist kaum herauszufiltern, das ist unverhältnismäßig aufwändig. Sie überhaupt in das Meer zu entsorgen ist die Gefahr für die Lebewesen – aber dafür fehlen belastbare Langzeitstudien. Die Problematik ist ja dennoch bekannt – nur mittlerweile leider zu einer Mammutaufgabe mutiert.
MS: Dann ist Müll eine Frage der Sozialisation. Gleichwohl gehört er zur kulturellen Identität des Menschen. Hat sich also nur die Substanz des Mülls in den letzten 100 Jahren verändert?
SL: Die ersten Müllspuren finden sich als vergrabene Tierknochen oder Asche. Diese Dinge sind Teil des Naturkreislaufs und daher kein Problem. Aber Kunststoff und Atommüll vergehen nicht. Vor allem muss die Menge reduziert werden, weil Müll eine Platzfrage nach sich zieht.
MS: Und wann kommt der Müll zu uns zurück, Frau Lippert?
SL: Das ist eine politische Fragestellung. Eigentlich sollte das Verursacherland recyceln. Doch zumeist wird nach Polen oder China transportiert, auch wenn letzteres offiziell keinen Müll mehr annimmt. Ich denke, dass sich in den nächsten fünf Jahren politisch entscheiden wird, welche Richtung die Gesellschaft im Umgang mit ihrem Müll einschlägt.
MS: Da schließt meine nächste Frage an: auf welchem Weg will das Festival von der Theorie zu praktischen politischen Ansätzen gelangen?
SL: In der Festivalwoche bieten wir viele Möglichkeiten für den Einzelnen. Workshops beschäftigen sich damit, wie ich mein eigenes Reinigungsmittel herstelle oder Baumaterialien aus Häusern nutzen kann. Auf dieser Ebene gibt es viele Veranstaltungen, die Perspektiven und Optionen in unserem Alltag aufzeigen.
MS: Abschließend: Mit welcher Besucherzahl rechnen Sie, gerade im Hinblick auf die Corona-Pandemie?
SL: Normalerweise erreichen wir bis zu 4000 Menschen mit dem gesamten Festival. Corona hat uns vor allem den „Markt der Utopien“ im Frühjahr erschwert. Wir haben das Konzept komplett auf den Kopf gestellt. Sonst haben wir mit dieser Aktion an die 400 Menschen erreicht – dieses Jahr nur 50 – wenn auch auf einer ganz anderen qualitativen Ebene. Das Symposium am Wochenende übertragen wir deshalb auch online und hoffen, dass das gut genutzt wird. Wir rechnen daher mit 2000 Teilnehmern für das komplette Festival. Außerdem sprechen wir wegen der begrenzten Plätze eine Reservierungsempfehlung aus.
Wer vom 09. – 17. Oktober an den zahlreichen Gesprächen, Workshops, Filmabenden und Denkfabriken teilnehmen möchte, findet das Programm auf https://umundu.de/programm2020 und kann per Mail mit Angabe der Veranstaltungstitel und des Namens unter reservieren. Spenden vor Ort sind möglich.
Die Veranstaltungen der TU sind:
- Samstag, 10. Oktober, 18:00 – Prof. Christina Dornack – Die zirkuläre Gesellschaft. Herausforderungen und Perspektiven für eine Welt ohne Müll (Riese Efau Motorenhalle)
- Montag, 12. Oktober, 18:30 – TUUWI & INKOTA Netzwerk e.V. – Death by Design. Die dunkle Seite der IT-Industrie (Zentralkino)
- Dienstag, 13. Oktober, 17:00 – Dr. Ines Herr – TU-Campusrundgang zum Thema Müll (StuRa-Baracke TU Dresden)
- Dienstag, 13. Oktober, 17:00 – QUABIS-Team TU Dresden – Workshop Nachhaltigkeit im Miteinander (Louise-Malwina)
- Mittwoch, 14. Oktober, 17:00 – TUUWI – Workshop Richtig Müll trennen und Tricks zur Müllvermeidung (Rosenwerk)
Kontakt für Journalisten:
Siv-Ann Lippert (Sukuma Arts e.V.)
Telefon: 0351 - 262 77 179