30.04.2021
Wegschauen gilt nicht
Tag der gewaltfreien Erziehung: Ist doch selbstverständlich? Leider nein.
Für viele Kinder gehört Gewalt in der Erziehung noch immer zum Alltag. Diese Situationen beginnen manchmal bereits dann, wenn es laut wird, mit Gesten. Gewalt ist nicht immer nur ein Schlag. Das Recht auf gewaltfreie Erziehung ist unter anderem in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verankert; in Deutschland seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch. Viele Generationen sind mit Gewalt, Zurechtweisungen und Unterordnung aufgewachsen. Auch in Deutschland ist nach wie vor die Angst bei vielen Eltern vorhanden, dass ihre Kinder zu „Tyrannen“ werden könnten, wenn sie diese nicht „ordentlich“ erziehen.
Aber was heißt gewaltfreie Erziehung? Was bedeutet Vertrauen und Zuwendung in Familien?
Gewaltfrei aufwachsen bedeutet natürlich, dass Kinder keine Schläge oder andere Misshandlungen erfahren. Einsperren zum Beispiel, oder auch nur der berühmte „Klaps auf den Hintern“, denn der habe „uns ja auch nicht geschadet!“. Aber auch noch etwas anderes verdient Aufmerksamkeit: Viele Kinder erleben seelische Gewalt. Sie hören regelmäßig verletzende abwertende Worte von den Menschen, die Ihnen am vertrautesten sind, vielleicht sogar beständige Vorwürfe oder Schuldzuweisungen für die Schwierigkeiten, die die Eltern in ihrem eigenen Leben empfinden. Sie hören angstmachende Drohungen über Strafen, Trennungen oder Heime, wenn sie nicht „gehorchen“. Vielleicht lernen sie so zu gehorchen, aber eines lernen sie nicht: Vertrauen! Vertrauen in sich und in die Beziehungen, die sie im späteren Leben eingehen. Beziehungen, in denen ständig die inneren Alarmsysteme „scharf gestellt“ sind.
Die Gründe für Gewalt von Eltern ihren Kindern gegenüber sind vielfältig. Manche sind sich des Unrechts bewusst, wenn ihnen die "Hand ausrutscht" oder das Kind mit harschen Worten „zurechtgestutzt“ wird, manche verharmlosen, rechtfertigen oder unterstützen diese Maßnahmen offen. Gleichzeitig haben die allermeisten Eltern den Wunsch, ihre Kinder zu selbstsicheren Personen zu erziehen, die sich dem Leben gewachsen fühlen. In der Erfahrung der Helfer entsteht Gewalt meist dann, wenn Eltern sich nicht anders zu helfen wissen. Vielleicht haben sie selber eben nicht erlebt, wie es anders sein kann. Vielleicht sind sie in manch' herausfordernder Phase des Kindes überfordert, wenn gleichzeitig der Alltag noch unglaubliche Anstrengungen bereithält. Vielleicht fehlt noch ein Fünkchen an Wissen und Verständnis um zu erkennen, dass sie als Eltern ihren Kindern anders gegenübertreten können und vielleicht sogar müssen.
Vertrauen und Zuwendung in Familien bedeutet, Kinder als eigenständige Personen mit all ihren Stärken und „Schwächen“ wahrzunehmen und zu unterstützten. Ihnen zuzutrauen ihren Weg zu gehen, nicht den gewünschten Weg der Eltern, aber auch Misserfolge, „Fehlverhalten“ aus einer Erwachsenenperspektive zu begleiten und einzuordnen. Kinder wollen Teil einer Gemeinschaft sein und suchen sich dafür, je nach dem Erlebten, ihre Wege.
Ebenso vielfältig wie die Gründe können auch die Hilfen für die Familien sein. Kinderärzte, Kitas, Schulen und Beratungsstellen vermitteln, einen passenden Kontakt zu Helfern. Voraussetzung dafür ist: Sprechen Sie Ihre Sorgen und Nöte an! Gleiches gilt für Menschen, die erleben, dass Kinder in ihrem Umfeld gewaltsamer Erziehung ausgesetzt sind. Anonyme Beratung erhalten Sie unter: 0800-1110550 („Nummer gegen Kummer“ Kinderschutzbund)
Denn: Wegschauen gilt nicht!
Informationen für Journalisten:
Dr. med. Eva Seeger
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie
Psychiatrische Institutsambulanz